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    Besties
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Besties

    Julia und Julia in der Pariser Vorstadt

    Von Michael Meyns

    Immer mehr französische Filme sind in den sogenannten Banlieues angesiedelt. So werden die Vororte von Paris genannt, in denen überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund leben. Sie erzählen meist von Vorurteilen, Rassismus und den Schwierigkeiten bei der Integration in die französische Gesellschaft. Auch Marion Desseigne-Ravel reiht sich mit „Besties“ hier ein – hat dabei aber auch kein Problem, direkt mit ihrem Debütfilm an verschiedenen Stellen anzuecken. Sie erzählt eine Julia-und-Julia-Geschichte rund um eine Mädchenclique, deren Zusammenhalt auf eine harte Probe gestellt wird, als sich eine von ihnen in ein Mädchen (dazu noch aus einer verfeindeten Clique) verliebt. Die Regisseurin beweist dabei eine große erzählerische Ambition und ein feines Gespür für atmosphärische Momente, macht dabei aber auch einige typische Debüt-Fehler.

    Die Teenagerin Nedjma (Lina El Arabi) lebt gemeinsam mit ihrer alleinerziehenden Mutter und ihrer jüngeren Schwester in einem Vorort von Paris. Ihre Clique ist eine eingeschworene Gruppe, die nicht nur Tag für Tag zusammen abhängt, sondern auch den Sommer gemeinsam an den Stränden der Normandie zu verbringen plant. Doch dann zieht die etwa gleichaltrige Zina (Esther Rollande) in die Nachbarschaft und um Nedjma ist es Geschehen. Zwischen den jungen Frauen beginnt eine zarte Liebesgeschichte, die nicht nur die Strukturen der Clique durcheinanderwürfelt, sondern auch gegen die ungeschriebenen Regeln des Viertels verstößt. Vom einen Moment auf den anderen ist Nedjma von der beliebten Freundin zur ausgestoßenen Lesbe geworden. Sie muss sich entscheiden: Zwischen ihrem Ruf und der Liebe…

    Nedjma (ganz rechts: Lina El Arabi) und ihre Clique verteidigen „ihre“ Bank im Park notfalls auch bis aufs Blut.

    Inzwischen bilden die französischen Banlieues-Filme mit Beiträgen wie zuletzt Ladj Lys „Die Wütenden - Les Misérables“ oder Romain Gavras „Athena“ fast schon ein eigenes Genre. Trotzdem begegnet Marion Desseigne-Ravel diesen vorurteilsbelasteten Vierteln in „Besties“ auf eine Weise, die durchaus ungewöhnlich ist – zum Beispiel, wenn sie anhand von Nedjma Mutter zeigt, dass die erste Generation der Migrant*innen oft sehr viel offener ist als die zweite Generation, die zwar komplett in Frankreich aufgewachsen ist, aber trotzdem zunehmend in einen (religiösen) Konservatismus abzudriften scheint. Zu Beginn wirkt die Protagonistin Nedjma noch ganz bei sich, wenn sie durch ihr Viertel streift, immer mit Musik im Ohr, hier einen Kumpel grüßt oder dort einen lässigen Spruch macht. Zusammen mit ihrer Clique ist sie stark, auch wenn sich diese Stärke vor allem darin zeigt, dass sie eine simple Bank im Park als ihr Eigentum verteidigt, auf der bloß nicht jemand anderes sitzen darf.

    Wie fragil der Zusammenhalt und das Selbstverständnis der Gruppe jedoch sind, zeigt sich schnell, als Zina im Viertel auftaucht. Sie ist die Cousine eines Mädchen aus einer rivalisierenden Clique – und allein das ist Anlass genug, Zinas Ruf zu zerstören. Mit einem Trick soll sie online als Schlampe diskreditiert werden, denn wer in den Sozialen Medien schlecht dasteht, der hat auch in der Realität verloren. Auch Nedjma ist um ihren Ruf bedacht, will stark wirken, auch wenn sie eigentlich viel sensibler ist, als es ihre harte Schale vermuten lässt. Wie alle Teenager*innen in „Besties“ verbringt sie viel Zeit online, hat fast ständig ihr Handy parat, hört Musik, chattet, kommuniziert via facetime.

    Nur auf dem Dach können Nedjma und Zina (Esther Rollande) wirklich sie selbst sein.

    So künstlich und entfremdet die Onlinewelt wirkt, so nah und intim sind ihre Begegnungen mit Zima, die meist auf einem Dach des Hochhauskomplex stattfinden, von wo aus man in die Ferne sehen und ein anderes Leben imaginieren kann. Etwas überhastet mutet es an, wie sich Nedjma in Zima verliebt – ein, zwei Blicke genügen, schon sind sie ein Paar. Auch später wirkt „Besties“ oft etwas holprig erzählt, Entwicklungen wirken mitunter weniger organisch als den Notwendigkeiten des Plots geschuldet. Viel stärker sind die atmosphärischen Momente, in denen mit Blicken erzählt wird. In diesen Szenen steht die zunehmende Isolation von Nedjma im Zentrum – ihre Ambivalenz, ihre Zerrissenheit und ihr innerer Kampf:

    Einerseits ist sie stark um ihren Ruf im Viertel bedacht, will auf keinen Fall eine Außenseiterin sein – und das bedeutet im konservativen Weltbild ihrer Altersschicht eben auch, auf Jungs zu stehen. Wie das mit ihrem Begehren für Zina in Einklang zu bringen ist? Das ist in dieser modernen Julia-und-Julia-Variation natürlich die zentrale Frage. Die Antwort, die Marion Desseigne-Ravel anbietet, ist durchaus überraschend – denn sie entspricht weder der Idee eines fatalistischen Shakespeare-Dramas, noch gibt es ein Märchen-Happy-End, in dem plötzlich alle ihre Fehler einsehen und sich vertragen. Das Ende von „Besties“ wird deshalb immer wieder als wenig progressiv (miss-)verstanden. Aber vielleicht ist es ja auch nur eine realistische Möglichkeit, in einer von Machoattitüden geprägten Welt eine lesbische Liebe zu leben. Um den schwierigen Versuch, unterschiedlichen Erwartungen gerecht zu werden, dabei aber zu sich selbst zu stehen, geht es bei „Besties“ am Ende – und zwar im Film genauso wie bei seiner Einordnung in die Reihe sonstiger Banlieues-Filme.

    Fazit: In ihrem Debütfilm „Besties“ erzählt Marion Desseigne-Ravel von einer jungen lesbischen Liebe in einem Pariser Banlieue. Das Ergebnis ist erzählerisch noch etwas holprig, aber thematisch ambitioniert und vor allem extrem atmosphärisch gefilmt – mit einem Ende, für das die Regisseurin bereits einige Kritik einstecken musste, das es aber auf jeden Fall wert ist, noch länger nach dem Abspann diskutiert zu werden…

    Wir haben „Besties“ bei der Französischen Filmwoche 2022 gesehen.

     

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