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    Marianne & Leonard: Words Of Love
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Marianne & Leonard: Words Of Love

    Mehr hingebogen als überzeugend argumentiert

    Von Oliver Kube

    Leonard Cohen gilt als einer der ganz großen Poeten der Rockmusik. Nicht ganz zu Unrecht sehen diverse Experten den 2016 verstorbenen Singer-Songwriter fast auf einer Stufe mit jemandem wie Bob Dylan. Die Spezialität des Kanadiers mit der ebenso sonoren wie warmen Stimme waren seine Texte über mal reale, mal fiktive, in dem begrenzten Rahmen eines Songs erstaunlich authentisch und komplex geschilderte Liebesgeschichten. An diesem Punkt setzt Nick Broomfield („Kurt & Courtney“, „Whitney: Can I Be Me“) mit seinem Dokumentarfilm „Marianne & Leonard: Words Of Love“ an. Der Brite schildert die erste große Beziehung des Künstlers und versucht sie dem Zuschauer dabei – letztlich leider nicht sonderlich überzeugend – als eine über Trennung und Tod hinausgehende Romanze für die Ewigkeit zu verkaufen.

    1960 verließ der junge Schriftsteller Leonard Cohen seine Heimat Montreal. Von einer kleinen Erbschaft kaufte er sich ein Häuschen auf der griechischen Insel Hydra, um dort zu wohnen und zu arbeiten. Hier lernte er die Norwegerin Marianne Ihlen kennen. Die beiden verliebten sich und sie zog mit ihrem kleinen Sohn bei Cohen ein. 1965 begann er dann wieder, den Großteil des Jahres in Kanada zu verbringen, während sie zurückblieb. Noch besuchte Leonard Marianne regelmäßig, bevor er dann 1967 nach New York ging, sich mit 33 als Musiker neu erfand und zum Weltstar avancierte. Einige seiner berühmtesten Songs wie „So Long, Marianne“ und „Bird On A Wire“ wurden durch die gemeinsame Zeit inspiriert. Die Doku soll zeigen, dass auch lange, nachdem sie kein Paar mehr waren, ein unsichtbares Band zwischen Cohen und Ihlen existierte, bis beide Leben innerhalb von drei Monaten, durch einen Ozean voneinander getrennt und seit Jahren ohne echten Kontakt zueinander, fast zeitgleich endeten...

    Leonard Cohen und seine erste große Liebe Marianne in den 1960er Jahren.

    „Meine Liebe zu ihm hat mich zerstört“, sagt Ihlen an einer Stelle. Das mag sie so empfunden haben. Andersherum war es aber wohl nicht so dramatisch. Cohen führte sein Dasein nach der Trennung weiterhin nach eigenem Gusto – genauso wie er es getan hatte, bevor er die Norwegerin kennenlernte. Sicherlich waren die fünf Jahre, die der Kanadier auf Hydra lebte, sehr intensiv. Aber als er sich entschied, wieder öfter ins „wahre Leben“ zurückzukehren und zunehmend mehr Zeit in seiner Heimat Montreal zu verbringen, zeigte sich nüchtern betrachtet schon, dass die tiefe, emotionale Bindung wohl eher einseitig war. Spätestens, als er seine Dichterkarriere mehr oder weniger beendete, nach New York ging und nur für kurze Trips auf die griechische Insel zurückkehrte, muss auch Ihlen offenbar geworden sein, dass diese verlängerte Urlaubsromanze nicht ein ganzes Leben anhalten würde. Er schrieb zwar Songs über sie, aber das tat er ebenso über andere Partnerinnen – zum Beispiel die Mutter seiner beiden Kinder Suzanne Elrod, Schauspielerin Rebecca De Mornay, seine enge Freundin Suzanne Verdal oder die Fotografin Dominique Issermann.

    Eine wenig überzeugende These

    Dabei macht Broomfield seine mittels Archivmaterial und aktuell gedrehter Interviews mit Zeitzeugen aufgestellte, rührselige These von der außergewöhnlichen Verbindung des Duos eigentlich schon selbst zunichte. Nach einer halben Stunde beginnt der Filmemacher nämlich damit, Cohens Produzenten, Begleitmusiker und anderes Personal vorzustellen, die ausführlich und für Fans durchaus interessant über ihre Zeit in Tonstudios und auf Tourneen reden. Näher beleuchtet werden zum Beispiel die Hintergründe von Cohens Passion für Auftritte in Psychiatrien, die Unterschlagung seines gesamten Vermögens durch seine Managerin, Begegnungen mit anderen Künstlern oder die offenbar erstaunlichen Qualitäten Cohens als Aufreißer schöner Frauen überall auf der Welt. Die andere der beiden Titelfiguren ist hier längst nur noch eine Randerscheinung, die hin und wieder – teilweise sehr bemüht und vom Regisseur forciert – lediglich per Off-Kommentar und mittels passend eingebauter Textfragmente aus Cohens Liedern mit bestimmten Ereignissen oder Zitaten in Verbindung gebracht wird.

    Ein weiteres Beispiel für den Versuch, aus etwas mehr zu machen, als es letztendlich war, ist eine Aufnahme vom 1970 vor über 600.000 Besuchern chaotisch über die Bühne gegangenen Rockfestival auf der Isle Of Wight. Eine beiläufige, LSD-schwangere Bemerkung, die Cohen als Intro zu einem Song äußert („I hope she is here“), wird von Broomfield gleich drei Mal gezeigt, um ihre angebliche Relevanz zu unterstreichen.

    Verband die beiden tatsächlich ein Band weit über das Ende der Beziehung hinaus?

    In seinen Interviews mit Leuten aus dem Musikgeschäft versucht Bloomfield, immer wieder die Rede auf Marianne zu bringen. Allzu viel Erhellendes haben die Gesprächspartner zu dem Verhältnis aber nicht zu sagen. Ist ja auch kein Wunder, schließlich haben sie es gar nicht oder nur kurz miterlebt, als die Norwegerin versuchte, jeweils für eine Weile in Montreal und New York erfolglos doch noch einmal mit Cohen zusammenzuleben. Gelegentlich leitet der Regisseur seine Konversationspartner regelrecht an, um mit ihren Zitaten Futter für seine speziell in diesen Momenten konstruiert wirkende Prämisse zu liefern. US-Liedermacherin Julie Felix, die einige Male mit dem Sänger auftrat und mit Ihlen befreundet war, legt er etwa mehr oder weniger in den Mund, welch „großartige Muse“ Marianne auch für sie gewesen sei.

    Wirklich nervig wird es, wenn Broomfield sich selbst in die Erzählung einbaut beziehungsweise hineinzwängt. Der Brite hatte Ihlen tatsächlich Ende der 1960er auf Hydra kennengelernt, als Cohen bereits längst fort war. Mehrfach kann er es sich nicht verkneifen zu erwähnen, dass er für kurze Zeit ebenfalls einer ihrer zahlreichen Lover gewesen sei. Er zeigt uns eine alte Postkarte von ihr und berichtet von einem Besuch ihrerseits bei sich in Cardiff, während dem sie ihn ermutigt habe, seinen ersten Kurzfilm zu realisieren. Schwupps, war sie nun auch seine Muse...

    Abdriften ins Voyeuristische

    Zudem balanciert Broomfield gelegentlich gefährlich auf Messers Schneide, was den guten Geschmack angeht. Private Amateuraufnahmen von Ihlen im Zuschauerraum bei Cohens Oslo-Konzert im Jahre 2009 haben trotz Wackler und offensichtlich effekthaschender Zeitlupen noch etwas Anrührendes. Vor allem, als die über 70-Jährige sogar verträumt mitsingt, als ihr einstiger Lebenspartner vor fast 10.000 Menschen „So Long, Marianne“, sein weltbekanntes Abschiedslied für sie, anstimmt. Sie dann kurz darauf schluchzend und mit Beatmungsschlauch in der Nase auf dem Sterbebett zu sehen, als ein Freund ihr einen letzten, kurzen Email-Gruß Cohens vorliest, strotzt dann allerdings nicht nur vor blankem Voyeurismus, sondern ist regelrecht creepy.

    Vielleicht wäre eine Doku über die Insel und die Typen, die dort lebten (dann gerne inklusive Cohen!), mit einer Schilderung dessen, was aus ihnen und ihren Familien geworden ist, spannender gewesen als die mystifizierte Lovestory eines charismatischen, weltbekannten Musikers und einer schönen, aber furchtbar traurigen Blondine. Archivbilder und aktuelle, mit Kameradrohnen gefilmte Aufnahmen präsentieren die heute von knapp 2.000 Menschen bewohnte Insel südwestlich von Athen als sonnenüberflutetes Paradies. Was Anfang der 1960er eine Art Prä-Hippie-Künstlerkolonie mit Strand, Meer, freier Liebe, jeder Menge Drogen und kreativer Freiheit war, wurde scheinbar vielen der in dem Umfeld aufgewachsenen Kinder später im Leben zum Verhängnis.

    Die einstige Prä-Hippie-Künstlerkolonie auf der griechischen Insel Hydra.

    Mariannes Sohn Axel etwa, für den der Sänger eine Zeit lang den Ersatzvater gab, musste in eine geschlossene Anstalt eingewiesen werden, in der er laut Broomfield bis heute lebt. Zudem starben drei der vier Sprösslinge von Cohens dortigem Mentor, dem australischen Schriftsteller George Johnston, jung an Alkoholismus beziehungsweise einer Überdosis oder begingen Suizid, nachdem die Eltern mit ihnen das Eiland verlassen hatten. Broomfield behauptet, dies sei nur die Spitze des Eisbergs. Wahrscheinlich wäre ein solcher Streifen aber längst nicht so einfach zu vermarkten gewesen.

    Fazit: Am interessantesten sind die eher als Füllmaterial gedachten Momente dieser Doku. Die vom Regisseur plump forcierte, konstruierte und manipulierte Liebesgeschichte fängt dagegen recht bald an zu nerven.

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