Blutig, gruselig und herrlich skurril
Von Oliver KubeGenre-Kenner schätzen Richard Stanley noch immer für sein eigenwilliges Opus „Dust Devil“ aus dem Jahr 1992. Ansonsten ist der Südafrikaner vor allem dafür bekannt, dass er vier Jahre später - mitten in der Produktion des letztlich dennoch desaströs gescheiterten Marlon-Brando-Vehikels „D.N.A. - Experiment des Wahnsinns“ – vom Studio gefeuert und durch John Frankenheimer ersetzt wurde. Nach einigen Dokus beziehungsweise Kurzfilm-Projekten saß Stanley nun für den SciFi-Horror-Thriller „Die Farbe aus dem All“ endlich wieder für einen abendfüllenden Spielfilm auf dem Regiestuhl - und präsentiert uns ein furios gelungenes Comeback!
Nathan (Nicolas Cage) und Theresa Gardner (Joely Richardson) leben mit den Teenagern Benny (Brendan Meyer) und Lavinia (Madeleine Arthur) sowie dem kleinen Jack (Julian Hilliard) seit kurzem auf einer Farm in Neuengland. Nathan baut Tomaten und Pfirsiche und hat zudem eine Alpakazucht gestartet. Mitten in den nicht immer einfachen Alltag der Familie kracht eines Nachts ein Meteorit. Der unmittelbar neben ihrem Haus eingeschlagene Fels aus einer anderen Welt hat offenbar besondere Eigenschaften. So strahlt er nicht nur in einer ungewöhnlichen Mischung aus pink und violett, sondern scheint auf alles in näherer Umgebung einen starken Einfluss zu haben. Plötzlich sprießen seltsame Pflanzen aus dem Boden, elektronische Geräte funktionieren nicht mehr, erstaunlich große Insekten schwirren herum, Lebensmittel verderben viel zu schnell, während aus dem Brunnen auf dem Hof Stimmen zu hören sind. Nicht einmal auf den linearen Ablauf der Zeit ist noch Verlass...
Es wird pink...
Vor allem dank seiner Mutter und deren Begeisterung für den legendären Horror-Schriftsteller machte Richard Stanley schon als Kind Bekanntschaft mit H.P. Lovecraft (1890-1937) und dessen gruselig-atmosphärischen Werken. Speziell die vom Autor selbst zu seinen Lieblingen gezählte Cosmic-Horror-Kurzgeschichte „Die Farbe aus dem All“ (wurde bereits 2011 als deutscher Indie-Produktion „Die Farbe“ verfilmt) hatte es ihm schon damals sehr angetan. Stanley hat die Story nun selbst adaptiert und sie in Portugal mit seinem Lieblingsschauspieler Nicolas Cage in der Hauptrolle umgesetzt – und das passt, denn „Die Farbe aus dem All“ ist erneut ein wilder Ritt, der vor allem Anhänger des psychedelischen Cage-Wahnsinns „Mandy“ besonders gut gefallen dürfte.
Der Film startet mit hochästhetischen, mystisch anmutenden Aufnahmen eines menschenleeren Waldes, dann eines Sees und schließlich des wolkenverhangenen Himmels – alles im Zwielicht. Dazu zitiert die sanft aber intensiv sprechende Stimme von Elliott Knight aus dem Off Auszüge der ersten, die düstere Stimmung des gesamten Textes schon perfekt vorwegnehmenden Absätze von Lovecrafts brillanter Kurzgeschichte aus dem Jahre 1927. Die ruhigen, dabei doch irgendwie bedrückend und bedrohlich wirkenden Bilder werden vom leise flirrenden, langsam und stetig in eine ähnliche emotionale Richtung anschwellenden Elektro-Score von „Hereditary“-Komponist Colin Stetson begleitet. Die mutig modern, dennoch sehr sensibel eingesetzten Klänge kann man durchaus als Sinnbild für die gelungene Verlegung der in der Vorlage im 19. Jahrhundert stattfindenden Handlung in die Gegenwart verstehen.
Als erste Figur trifft das Publikum Lavinia, von Madeleine Arthur („To All The Boys I've Loved Before“) mit einer stimmigen Mischung aus Trotz und Unsicherheit verkörpert, die in einem altmodischen Gewand am Ufer eines Sees ein paganistisches Ritual vollzieht. Stanley wird bei einem späteren Blick in das Zimmer des Mädchens eine Taschenbuchausgabe des von Lovecrafts erfundenen Zauberbuchs „Necronomicon“ auf dem Nachttisch, an ihrem Bettpfosten baumelnde Pentagramm-Geflechte und ein an der Wand hängendes Poster der zur letzten Jahrtausendwende semi-populären, finnischen Deathrocker Babylon Whores zeigen. Ob und wie Lavinias okkulte Spielereien mit den folgenden Ereignissen zusammenhängen, lässt der Film vorerst offen. Es ist nur einer von vielen, meist geschickt eingebauten roten Heringen im Verlauf von „Die Farbe aus dem All“.
Eine ordentliche Portion skurrilen Humor tragen – zumindest zu Beginn! – die Alpakas, die die Familie auf ihrer Farm hält, bei. Die stoischen Vertreter der eigentlich in den Anden ansässigen Kamelart schauen einfach herrlich bedröppelt aus der Wolle, wenn Cage sie mit ein paar schnippischen Bemerkungen melkt oder sie einfach nur so auf der Wiese herumstehen. Auch ein von Kult-Kiffer Tommy Chong („Viel Rauch um nichts“) gespielter, in einem zur Gardner-Farm gehörenden Waldstückchen hausendender und – was sonst? – gern mal einen Joint durchziehender Althippie namens Ezra sorgt mit seinem Erscheinen für gelegentlich leichtere Momente zum Einstieg.
... und pinker ...
Etwa ab der Mitte der knapp zweistündigen Laufzeit beginnt es dann so richtig rundzugehen. Als Zuschauer ist man zu diesem Zeitpunkt bereits voll involviert. Denn sämtliche tragenden Figuren haben interessante Eigenheiten (außer vielleicht der dauerkiffende Slackersohn Benny). Ebenso hilft der subtil eingestreute Humor sowie die einfallsreiche, sich aber nie in den Vordergrund drängende Kameraarbeit von Steve Annis („I Am Mother“) beim Aufbau in Richtung Höhepunkt. Es macht Laune, nun eigene Theorien zu entwickeln, was zur Hölle da wirklich abgehen könnte. Und während man so grübelt, sorgen zwei bis drei so simple wie effektive Jump-Scares dafür, dass die Gedanken nicht allzu weit abdriften. Zumal ohnehin kaum jemand darauf kommen dürfte, was ihn/sie hier genau an Wahnsinn erwartet. Nicht einmal Lovecraft-Kenner, die dennoch zufriedengestellt werden dürften.
Die Spezialeffekte sehen - bei einem Gesamtbudget von kolportierten zwölf Millionen Dollar - freilich nicht durchgehend nach einem State-Of-The-Art-Blockbuster aus, sind allerdings verdammt clever eingesetzt. Stanley arbeitet mit allem, was die Palette hergibt: natürlich mit CGI, aber auch mit traditionellen Methoden wie prosthetischem Make-up, grellem Licht und extremen Close-ups. In einigen Momenten überlässt er es dem Publikum, sich mittels seiner Vorstellungskraft das ganze Bild einfach selbst zu malen. Egal, ob das nun eine künstlerische Entscheidung war oder fehlendem Geld geschuldet ist – es funktioniert. Dem einen oder anderen Zuschauer dürfte es zusätzliche Freude bereiten, es Ezra und Benny gleichzutun und sich ordentlich zu benebeln. Das muss jedoch nicht sein, um Spaß an der Tour de Force zu haben.
Nicolas Cage spielt die erste Hälfte des Films noch erstaunlich ruhig und kontrolliert. Er gibt glaubhaft einen liebevollen, vernünftig erscheinenden Vater und Ehemann. Erst nachdem es zu einem blutigen Haushaltsunfall kommt, beginnt seine, vom Oscar-Preisträger („Leaving Las Vegas“) in dieser Sequenz mit genau dem richtigen Maß an Sarkasmus ausgestattete Figur herrlich genervt, seine Kinder zurechtzuweisen und dabei so langsam Schwung zu holen. Keine Bange also: Fans seiner mittlerweile zum Markenzeichen gewordenen Over-the-Top-Performances bekommen auch dieses Mal wieder einige krasse Ausraster von Cage zu sehen. Stichwort: Autoärger.
Regisseur Stanley ist ein bekennender langjähriger Fan des „Con Air“-, „The Rock“- und „Face/Off“-Stars. Als er seine Drehbuch-Version der Lovecraft-Vorlage verfasste, schwebte ihm Cage bereits als Nathan vor. Stanleys Lieblingsauftritt des Mimen stammt aus der pulpigen Blutsauger-Komödie „Vampire's Kiss - Ein beißendes Vergnügen“. Als es tatsächlich zur Kooperation des Duos kam, wies Stanley seinen Star an, seinen Performance-Stil von damals noch einmal zu rekreieren. Mit dem Ergebnis, dass der Schauspieler seine beste und vielschichtigste Leistung seit „Mandy“ abliefert.
... und immer pinker!
Auch in Bezug auf die Intensitätskurve des gesamten Films gibt es Parallelen zum Festival-Hit von Panos Cosmatos. Stanley lässt sein Werk geschickt von einem übernatürlichen, psychedelisch-psychologischen SciFi- und Mystery-Thriller hin zu groteskem Körperhorror im Stil von David Cronenberg mutieren. Fans von „Nip/Tuck“-Star Joely Richardson seien hiermit gewarnt, denn ihr Liebling muss gerade in letzterer Kategorie einiges mitmachen.
Und obwohl die Optik sowie inszenatorische Herangehensweise sehr anders sind, ist auch eine zumindest thematische Verwandtschaft zu „Auslöschung“ zu bemerken: „Die Farbe aus dem All“ dreht dabei in allen Belangen mächtig auf, ohne komplett zu übertreiben. Vor allem das jeweils zum richtigen Moment gedrosselte Tempo trägt dazu bei, dass die reichlich durchgeknallte Geschichte fast schon glaubhaft wirkt – natürlich nur im Rahmen eines streckenweise extrem blutigen und fiesen Alien-Monster-Schlachtfests mit Potenzial zum Kultfilm...
Fazit: „Mandy“ trifft „Auslöschung“ als Alien-Monster-Gemetzel: Da steigt die Stimmung nicht nur bei Nicolas-Cage-Fans! Nur Alpaka- und Joely-Richardson-Liebhaber sollten das Wahnsinnstreiben besser mit Vorsicht genießen.