Die Geschwister der Familie Hoffmann - Stefan (Lars Eidinger), Julia (Nele Müller-Stöfen) und Tobias (Hans Löw), alle in den mittleren Jahren um die 40, treffen sich in irgendeinem Lokal, um kurz zu besprechen, was in naher Zukunft familiär so ansteht. Schon in der ersten Einstellung wird klar, dass der Film frei nach dem Motto “So isses, das Leben”inszeniert wurde. Als Betrachter ist man unangenehm nah dran und drin am und im Geschehen. Fast schon dokumentarische Realitätsnähe ist ein Stilmittel des Films.
Die erste Szene scheint ungeschnitten, irgendwie belanglos und doch sagt sie so viel über die Geschwister aus. Sie umspannt den in drei Kapitel und Schlussakkord unterteilten Film wie ein unsichtbares Band. Allen Geschwistern ist ein Kapitel gewidmet. Und trotzdem ist es kein typischer Episodenfilm, sondern ein Familienfilm, der als großes Ganzes durchaus funktioniert.
Stefan ist der selbsternannte Lebemann der Familie. Pilot, Frauenheld, Porschefahrer, Vater ohne wirkliche Vaterpflichten. Ausgerechnet er erleidet einen schweren Hörsturz, kann seinem Beruf nicht mehr nachgehen, kann sein Leben, so wie er sich erträumt, nicht weiterleben. Er weiß das, lebt aber zunächst weiter in einer Welt, die es so für ihn nicht mehr geben wird. Das schnelle Leben im Pomp, in irgendwelchen Hotelbars, auf irgendwelchen Partys, ohne große private Verpflichtungen, umgeben von Luxus und schönen, jungen Frauen, ist vorbei. Stefan’s Kapitel endet im Bett einer Nachbarin, die sich so gar nicht für den tollen Lebemann Stefan zu interessieren scheint. Zeit für menschliche Beziehungen auf Augenhöhe?
Julia, die überfürsorgliche Hundeliebhaberin, die das Treffen der Geschwister zu Beginn schon nach zwei Minuten verlässt, weil ihr Hund Rocco allein im Auto sitzt, reist mit ihrem Mann nach Turin. Worum geht es? Versöhnung, Wiedergeburt längst verschütteter Gefühle? Was veranlasst Julia dazu, ihren Rocco, den sie in ihrem Bemutterungswahn an sich nicht mal 5 Minuten alleine im Auto lassen will, eine Zeitlang ihrem verantwortungsscheuen Bruder Stefan zu überlassen? Herrlich wie Rocco Stefan die Bude vollscheißt, weil er sich nicht wirklich kümmert.
In Turin trifft Julia - wie das Schicksal so spielt - auf einen kleinen herrenlosen Hund, der vor ihren Augen angefahren wird. Fortan kümmert sie sich mit aller Liebe und Hingabe um den kleinen Fratz. Sehr zum Unbehagen ihres Mannes. Bei einem Treffen mit einem alten Freund, der in Turin lebt, kommt ans Tageslicht, dass Julia und ihr Mann vor kurzer Zeit ihren kleinen Sohn verloren haben. Die Reise nach Turin sollte auch eine Zeit des Loslassens werden. Aber kann sie das? Wie von Sinnen klammert sie sich an den kleinen Streuner Nero. Julia erleidet schliesslich einen Zusammenbruch. Aber eines schönen Morgens hat sie sich besonnen, nimmt alle Kraft zusammen und lässt den kleinen Hund wieder frei. Schluss mit übertriebener Hundeliebhaberei, die letztlich eine Übersprungshandlung ist. Zeit loszulassen, um Platz für Neues zu schaffen.
Tobias reist zu seinen Eltern, einem alternden Ehepaar der unteren Mittelschicht. Der Vater ist ein alter, kranker, sturer Mann, der versucht, zu ignorieren, wie es um ihn steht. Einen Arzt braucht er nicht. Die Mutter tut es ihm gleich. Wenn beide so gut wie möglich versuchen, zu verdrängen, passiert das Unvermeidbare vielleicht nicht, bleibt alles so wie es ist. Aber ist das so? Schliesslich sitzen wir alle im gleichen Boot, sind alle auf der gleichen Reise, immer stramm auf Kurs in Richtung der untergehenden Sonne. Und aufgehalten hat das Boot noch keiner.
Tobias muss schmerzlich feststellen, dass man nichts am Ausgang der Geschichte ändern kann. Sein Vater stirbt in seinen Armen. Zu lange hat er sich festgeklammert, weder seine schwindende Kraft noch die Veränderungen um ihn herum akzeptieren können. Zu spät erkennt er, dass man etwas tun muss wenn man nicht möchte, dass einen das Leben erbarmungslos auf halber Strecke zurücklässt. So ist das Leben nun mal.
Tobias ist der ewige Student, der immer allen hilft, aber dabei irgendwann alleine auf der Strecke bleibt, weil er sich und seine Bedürfnisse darüber vergisst. Alle ziehen weiter, lassen ihn, die gute Seele, ohne es böse zu meinen, alleine zurück. Großartig vor allen Dingen die Szene in der Kneipe, in der Tobias an eine Clique junger Leute gerät, die einfach nur feiern wollen, ihn am Ende einfach sitzen lassen und weiterziehen. In das gleiche Horn bläst auch sein Vater in einer seiner letzten Ansagen. Kümmere dich um dich selbst, nicht ständig um die Angelegenheiten Anderer. Nimm Andere nicht wichtiger als dich selbst. Mach voran.
Am Ende kommen alle wieder zusammen. Die Geschwister, ihre Partner, die Mutter und Witwe. Sie feiern im Krankenhaus die Geburt einer Tochter, die Julia zur Welt gebracht hat. Das Leben geht immer weiter.
Brillianter Film, der in leisen Tönen das normale, und nebenbei gesagt auch höchstdeutsche Leben einer Familie der unteren Mittelschicht reflektiert und das Leben aller Protagonisten an spannenden Schnittstellen ihres Lebens seziert. Tolles Ensemble. Tolle Regiearbeit. Wenn man sich auf All My Loving einlassen kann, wird man zwangsläufig eingesogen und sich irgendwo in dem Spiegel wiederfinden, in den man hier zwangsläufig blicken muss. „So isses, das Leben“. Man kann nicht so tun, als gehöre man nicht dazu. Arthouse-Kino per Excellence. Ich fand, es war ein aufregender Film. Aber Vorsicht, das liegt sehr im Auge des Betrachters. Aber so ist das bei Arthouse-Filmen.