Von der DDR ist nichts übriggeblieben
Von Antje WesselsDer Lausbube und Pechvogel Alfons Zitterbacke gehörte zu den populärsten Kinderbuchfiguren der DDR. In den von Gerhard Holtz-Baumert 1958 erfundenen Abenteuergeschichten tritt der weltraumbegeisterte Schüler mit dem merkwürdigen Nachnamen regelmäßig von einem Fettnäpfchen ins nächste und verursacht dabei mal mehr, mal weniger absichtlich Chaos. Der Regisseur Konrad Petzold adaptierte „Alfons Zitterbacke“ bereits 1966 als episodische Familienkomödie für die große Leinwand. Mitte der Achtzigerjahre wurden die Geschichten zudem in Form einer sechsteiligen Fernsehserie umgesetzt. Seither sind mehr als 30 Jahre vergangen. Grund genug für Regisseur und Co-Autor Mark Schlichter („Nullachtfuffzehn“), die zeitlosen Abenteuer des deutschen ‚Michel aus Lönneberga‘ ins Hier und Jetzt zu übertragen. In „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ spielt der DDR-Hintergrund des ewigen Tollpatsches allerdings keine Rolle mehr. Stattdessen legt Schlichter ein Kinderabenteuer vor, das nach seinem Transport in die Jetztzeit allerdings ähnliche Schwachpunkte aufweist, wie viele andere um Aktualität bemühte Familienfilmproduktionen auch.
Wenn er groß ist, möchte der elfjährige Alfons Zitterbacke (Tilman Döbler) unbedingt Astronaut werden. An den Wänden seines Kinderzimmers hängen Poster von Alexander Gerst und seinem Raumfahrerkollegen Sergej Krumov (Bürger Lars Dietrich). Nach der Schule baut Alfons mit Feuereifer an seiner Wasserstoffrakete für den Fluggeräte-Wettbewerb. Doch der ehrgeizige Visionär handelt sich immer wieder Ärger ein, obwohl er für viele seiner Missgeschicke gar nichts kann: Die Erwachsenen in seinem Umfeld, egal ob Eltern (Alexandra Maria Lara, Devid Striesow) oder Lehrer (Thorsten Merten, Katharina Thalbach, Louis Held), erkennen das in Alfons schlummernde Genie einfach nicht. Stattdessen bekommen sie immer nur mit, wenn Alfons‘ Pläne schieflaufen, etwa wenn er aus Versehen fast die Schule in Brand steckt oder ein Aprilscherz auf Kosten seines Vaters so richtig daneben geht. Doch zum Glück hat Alfons Freunde, vor allem Benni (Leopold Ferdinand Schill) stand bisher immer treu an seiner Seite. Doch als sich Alfons eines Tages mit der neuen Mitschülerin Emilia (Lisa Moell) anfreundet, ist Benni derart eifersüchtig, dass er sich schließlich sogar auf die Seite von Alfons‘ Erzfeind Nico (Ron Antony Renzenbrink) schlägt...
So ein Flugobjekte-Wettbewerb ist genau Alfons' Ding!
In den Büchern sowie den bisherigen Verfilmungen wurde Alfons Zitterbacke noch regelmäßig mit dem abwertenden Reim „Zitterbacke – Hühnerkacke“ gehänselt. In „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ stimmen der Oberstänkerer Nico und seine Clique dagegen regelmäßig einen Rap an und Beatboxen dazu, um ihrem Mitschüler mit dem komischen Namen zu sagen, wie wenig sie von ihm halten. Das wirkt allerdings etwas bemüht auf „hip“ getrimmt. Auch an anderer Stelle wird deutlich in Richtung Zeitgeist geschielt, was aber nur selten zu authentischeren Szenen führt. Stattdessen wäre der Film wohl um einiges charmanter, ja zeitloser geworden, wen man einfach auf den aufgesetzten Jugendslang von Alfons und seinen Mitschülern verzichtet hätte.
Zugleich versuchen die Macher, dem leichtfüßigen Tonfall der Vorlage auch in ihrer 2019er-Fassung treu zu bleiben. Dabei wird allerdings nie so recht klar, an wen sich „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ letztlich genau richten will: Alfons und seine Mitschüler sind um die elf Jahre alt und haben sich in der Schule sowie in ihrem persönlichen Umfeld auch schon mit entsprechenden Problemen herumzuschlagen. Es werden sogar Themen angeschnitten, dann aber nicht zu Ende geführt, die für noch reifere Emotionen stehen. Etwa das immer wieder angedeutete, zum Finale hin aber einfach fallengelassene Alkoholproblem von Alfons‘ Vater. Dann wiederum ist „Alfons Zitterbacke – Das Chaos ist zurück“ aber auch voll von Holzhammer-Slapstick, der sich eher an Zuschauer im Vorschulalter zu richten scheint. Da legt Alfons mal das Chemielabor in Schutt und Asche (inklusive einem äußerst miesen Feuer-Trickeffekt) oder löst immer wieder chaotische Kettenreaktionen (Stichwort: Baumarkt) aus. Der fragwürdig-infantile Höhepunkt ist schließlich eine ausgiebige Kotzeinlage auf einem Jahrmarkt.
Katharina Thalbach stiehlt ihren Kollegen als Schulleiterin immer wieder die Show!
Gerade die jüngeren Zuschauer dürften an diesem Slapstick-Feuerwerk ihre Freude haben – und an dieser Stelle trifft Mark Schlichter auch den Kern der Vorlage. Doch die Verknüpfung mit der im Ansatz sehr sensibeln Story rund um einen über alle Maße fantasievollen, aber stets missverstandenen Visionär („Wurden nicht alle großen Erfinder anfangs ausgelacht?“, fragt Emilia eines Nachmittags ihren Freund Alfons und bringt damit die potenziell vorhandene erzählerische Dimension des Films auf den Punkt) gelingt ihm zu selten. Anstatt sich zwischen den ausladenden Gag-Eskapaden auch Zeit für solche Facetten zu nehmen, kommen genau diese so wichtigen Momente viel zu kurz. Dabei spielen – im Gegensatz zu den oft überfordert wirkenden und dadurch hölzern agierenden Jungdarstellern – die Erwachsenen allesamt sehr solide auf. Vor allem Alexandra Maria Lara („25 km/h“) und Devid Striesow („Ich bin dann mal weg“) funktionieren hervorragend als Mutter-Vater-Gespann, während Katharina Thalbach („100 Dinge“) als verzweifelt um Disziplin bemühte Schulleiterin die meisten Szenen stiehlt.
Fazit: Vor allem ganz junge Zuschauer werden die ausladenden Slapstick-Eskapaden zu schätzen wissen. Das Potenzial der im Kern vielversprechenden Geschichte wird hingegen kaum ausgeschöpft.