Ein Talkmaster zerhackt seinen Stiefsohn
Von Lars-Christian DanielsIm Februar 2016 kündigte der Hessische Rundfunk für die Stadt Kassel einen „Event-Tatort“ an. Eine Idee, die andere Sender schon früher hatten: Während der MDR an Weihnachten 2013 den „Tatort: Die fette Hoppe“ mit Nora Tschirner und Christian Ulmen ins Rennen schickte (und die beiden danach dauerhaft engagierte), hatte der SWR bereits einen „Event-Tatort“ mit Heike Makatsch abgedreht, der zu Ostern 2016 ausgestrahlt wurde: Als der enttäuschende „Tatort: Fünf Minuten Himmel“ dann beim Publikum durchfiel und auch noch Til Schweigers Kino-Tatort „Tschiller: Off Duty“ floppte, war von dem Projekt in Kassel lange nichts mehr zu hören. Nun geht „Tatort: Das Monster von Kassel“ doch noch auf Sendung, vom Label „Event-Tatort“ ist jedoch keine Rede mehr: Der HR schickt seine Frankfurter Kommissare einfach gen Norden, statt dort neue Ermittler zu installieren. Auch hinter der Kamera hat sich viel geändert: Die ursprünglich eingeplante Geschichte von Drehbuchautor Michael Proehl wurde durch ein Skript von Stephan Brüggenthies und Andrea Heller ersetzt, und statt Sebastian Marka sitzt Umut Dag („Risse im Beton“) auf dem Regiestuhl. Der inszeniert einen sehr ordentlichen Krimi mit einem starken Antagonisten – die ganz große Spannung will sich dabei aber nicht einstellen.
Die Frankfurter Hauptkommissare Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) werden von ihrem Vorgesetzten Fosco Cariddi (Bruno Cathomas) auf einen besonders grausamen Fall angesetzt: In der Mainmetropole wurden Leichenteile gefunden, die der Mörder in Plastiksäcke verpackt und im Müll entsorgt hat. Unter Mithilfe von Gerichtsmediziner Lorenz (Michael Stange) finden die Ermittler heraus, dass es sich beim Opfer um den 17-jährigen Luke Rohde aus Kassel handeln muss, dessen Stiefvater ein berühmter Mann ist: Talkshow-Moderator Maarten Jansen (Barry Atsma). Der führt mit Lukes Bruder Max (Justus Johanssen) und seiner Gattin Kirsten Rohde-Jansen (Stephanie Eidt) ein idyllisches Familienleben. Gegenüber den vielen Fans seiner Show gibt sich Jansen geschockt – doch als die Kommissare nach Kassel reisen und ihn gemeinsam mit der ortskundigen Kollegin Constanze Lauritzen (Christina Große) verhören, kristallisiert sich heraus, dass eigentlich nur Jansen seinen Sohn ermordet haben kann. Doch wo liegt das Motiv?
Grausamer Fund in Kassel - ein 17-Jähriger in Plastiktüten.
Aus „Das Monster von Kassel“ hätte ein richtig fesselnder Krimi werden können – aber irgendwie hat man hier von Beginn an das Gefühl, dass gleich in mehrerer Hinsicht mehr möglich gewesen wäre. Da wäre zunächst die Täterfrage, die gar nicht erst gestellt wird: Zwar sehen wir den Täter anfangs noch maskiert in einem Regenmantel mit Kapuze die Leiche zerhacken, aber schon wenige Minuten nach der stimmungsvoll-düsteren Auftaktsequenz blicken wir dem brutalen Mörder mitten ins Gesicht, als Jansen an einer Ampel warten muss und sein Zeitplan aus dem Tritt gerät. Auch sein Motiv ist durch den entlarvenden KTU-Fund nach einer knappen Stunde zu erahnen – die fehlenden Details kann sich der Zuschauer schon zu diesem Zeitpunkt zusammenreimen. Und dann ist da noch die Stadt Kassel, die in hochsommerlicher Sepia-Ästhetik eingefangen wird: Wenngleich die ortskundigen Zuschauer den einen oder anderen Schauplatz des Krimis wiedererkennen dürften (z.B. die Berliner Brücke, über die Brix radelt), bietet „hessisch Sibirien“ für die Geschichte wenig Mehrwert. Der Film hätte ebenso gut in Frankfurt spielen können – als Wahlheimat eines vielbeschäftigten TV-Stars wie Jansen wäre das auch glaubwürdiger gewesen.
So lebt der 1094. „Tatort“ vor allem von der Frage, wie es den Ermittlern gelingen wird, dem Täter das Handwerk zu legen – und ausgerechnet hier stehlen sich die Filmemacher etwas unbefriedigend aus der Affäre. Etwas Ähnliches ließ sich (zum Ärger vieler Zuschauer) bereits im letzten Frankfurter „Tatort: Der Turm“ beobachten, und so wäre es vielleicht die bessere Entscheidung gewesen, die Identität des Mörders doch geheim zu halten und die Geschichte als klassischen Whodunit mit finalem Twist anzulegen. Die Figuren in Jansens Umfeld hätten jedenfalls Potenzial für falsche Fährten geboten – neben Lukes ungleichem Bruder Max gibt schließlich auch Jansens junge Nachbarin Therese (Sofie Eifertinger) gegenüber der Polizei nicht alles preis. Einen wahren Seelenstriptease legt hingegen Kripo-Chef Cariddi hin, der wohl zum letzten Mal im Frankfurter „Tatort“ zu sehen ist, weil er ein Poetik-Stipendium (!) in Südamerika erhalten hat: Der seltsame Vorgesetze mit dem Faible für Literatur (das er 2017 im schwachen „Tatort: Land in dieser Zeit“ ausleben durfte) vertraut sich beim Paartanz im Büro dem Assistenten Jonas (Isaak Dentler) und Brix‘ Mitbewohnerin Fanny (Zazie de Paris) an – eine völlig absurde und rätselhafte Szene, die in diesem Krimi wie ein Fremdkörper wirkt.
Der Talkmaster-Täter ist schnell gefunden - aber warum hat er es getan?
„Das Monster von Kassel“ hat als dialoglastige Kreuzung aus Whydunit und Howcatchem aber auch Stärken, und die werden vor allem beim Blick auf die Besetzungsliste deutlich: Während Margarita Broich und Wolfram Koch eine im positiven Sinne routinierte Vorstellung geben und in Kassel – zum Beispiel im Rahmen eines gescheiterten Essens beim Asiaten – auch einige Lacher verbuchen, läuft Barry Atsma dank seiner charismatischen Performance als aalglatter Antagonist zu ähnlich großer Form auf wie in der vielfach prämierten Miniserie „Bad Banks“. Zwar ist seine Rolle als TV-Moderator Jansen nicht ganz so exzentrisch und überheblich geraten wie sein Investmentchef Gabriel Fenger in der von ZDF und arte co-produzierten Fernsehproduktion, doch mit seinen eiskalten Lügen und seiner frauenverachtende Durchtriebenheit sammelt der Bösewicht gleich reihenweise Antipathie-Punkte. Während Atsma zum ersten Mal in der Krimireihe mit von der Partie ist, hat Christina Große scheinbar ein „Tatort“-Abo gebucht: Seit März 2018 war die Schauspielerin allein in vier verschiedenen Nebenrollen zu sehen, bleibt als Kasseler Kollegin vor Ort aber diesmal relativ blass.
Fazit: Umut Dags „Das Monster von Kassel“ ist weit weniger spektakulär als sein Titel es nahelegt, bietet aber zumindest solide Krimi-Unterhaltung und einen charismatischen Bösewicht.