Indianer Vs. Zombies
Von Lutz GranertDie Mi’kmaq sind vor allem im Nordosten von Kanada beheimatet. Mit etwa 170.000 Stammesanhängern bildet das indigene Volk in den Provinzen Québec, Ontario, Neufundland und Labrador eine kleine Minderheit, die im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder der Willkür und Unterdrückung der „Weißen“ ausgesetzt war. So kam es etwa im Juni 1981 zu einem gewaltsamen Zusammenstoß zwischen den Behörden und den Mi'kmaqs, als bewaffnete Polizeitruppen aus Québec im Restigouche-Reservat aufmarschierten, um bei den Indigenen eine strenge Einschränkung des Fischereirechts durchzusetzen. Da der Handel mit Lachs den Mi'kmaq jedoch traditionell als zentrale Einkommensquelle dient, kam es zu heftigen Auseinandersetzungen.
Die 45-minütige Dokumentation „Incident At Restigouche“ hat dieses Ereignis aufgearbeitet – und gehört zu den frühesten und prägendsten Kindheitserinnerungen des indigenen Filmemachers Jeff Barnaby, der selbst in einem Reservat der Mi'kmaq in der kanadischen Provinz Québec aufgewachsen ist. In seinem Horror-Thriller „Blood Quantum“ nimmt Barnaby die gewalttätigen Vorfälle zum Ausgangspunkt für eine bitterböse Abrechnung mit der feindlichen Invasion der „Weißen“, die diesmal nicht in Form von das Christentum verbreitenden Siedlern, sondern in Gestalt lechzender Zombies ins Land der Indianer einfallen.
Bereit für den Kampf.
Das Mi'kmaq-Reservat „Red Crow“ im Jahr 1981: Als Stammesführer Old Gisigu (Stonehorse Lone Goeman) gerade frisch gefangenen Lachs ausweidet, traut er seinen Augen nicht: Die toten Fische springen auch ohne Gedärme weiter quicklebendig umher. Schon wenige Monate später wandeln Untote mit Hunger nach Menschenfleisch durch die Straßen und die Zivilisation ist nahezu ausgelöscht. Nur die Mi'kwaq-Indianer sind aus irgendeinem Grund immun gegen den Zombie-Virus und verteidigen sich in einem zur Festung umgerüsteten Containerdorf gegen den nicht abreißen wollenden Strom von hilfesuchenden Weißen und schlurfenden Zombies...
Jeff Barnaby will seinen Film durchaus als Kommentar zum Kolonialismus verstanden wissen – und tatsächlich bietet „Blood Quantum“ gerade dann einen geradezu sardonischen Humor auf, wenn hier indigene und englisch-französische Kultur aufeinanderprallen: Müssen die Mi'kmaq zu Beginn des Films noch Ewigkeiten warten, bis sich selbst nach einem Notruf mal ein herbeigerufener Krankenwagen in ihr Reservat „verirrt“, ist es natürlich eine bittere Ironie, dass es nun die Weißen sind, die verzweifelt um Einlass betteln – und selbst dann nicht von ihrem nun überfälligen Gefühl der Überlegenheit ablassen können: Als die Torwächter in ihrer Stammessprache diskutieren, wie sie im Fall eines gebissenen jungen Mädchens verfahren sollen, faucht der Vater sie wütend an: „Speak English!“
Eine Anspielung auf die bis 1996 bestehenden kanadischen Residential Schools, in denen von den Kindern der indigenen Bevölkerung ebenfalls das Sprechen in englischer Sprache verlangt wurde, während ihnen christliche Werte eingeimpft wurden und sie mit ihrer eigenen Kultur brechen mussten. Dieses dunkle Kapitel kanadischer Geschichte verhandelte Jeff Barnaby bereits in seinem preisgekrönten Spielfilmdebüt „Rhymes For Young Ghouls“ (2013), in der die junge Indianerin Aila mit ihren einstigen Lehrern abrechnet. Dieses Rachemotiv kehrt nun auch in „Blood Quantum“ zurück, in dem sich zumindest ein Teil der Mi'kmaq der möglicherweise infizierten Weißen im Camp durch einen Massenmord in einer Kirche entledigen will.
Zombies killen mit dem Samurai-Schwert.
Trotz der Verweise auf den Kolonialismus und seine Folgen sowie eines spürbaren Bemühens um Authentizität (indigenen Schauspieler, gedreht wurde on location im Kahnawake- und Listuguj-Reservat in Québec) besinnt sich Regisseur und Drehbuchautor Barnaby in der zweiten Hälfte trotzdem zunehmend auf die erprobten Mechanismen des Genres zurück: Der Überlebenskampf wandelt sich, nachdem das Containerdorf von den Zombies überrannt wurde, zur temporeichen Flucht vor den Untoten. Diese wird von einigen saftigen Splatter-Szenen mit zerrissenen und ausgeweideten Körpern gesäumt, in denen das Kunstblut nur so spritzt. Die Grenzen zur unfreiwilligen Komik werden dabei jedoch ebenso überschritten wie bei einigen gut gemeinten, aber albern anmutenden Dialogen: So tröstet ein Vater in spe seinen Bruder, dem gerade von einer infizierten Punkerin der Penis abgebissen wurde, mit dem Hinweis, dass er ja trotzdem noch eine Familie haben könne.
Sowieso konzentriert sich Barnaby vor allem im letzten Viertel trotz hohen Tempos zu sehr auf einen weniger spezifischen, so schon häufiger gesehenen Familienkonflikt, in der jeder Beteiligte sein Opfer bringen muss. Das erinnert dann plötzlich viel mehr an eine melodramatische Folge von „The Walking Dead“ als an George A. Romeros gesellschaftskritische „Of The Dead“-Trilogie („Night Of The Living Dead“, „Dawn Of The Dead“, „Day Of The Dead“) – und das ist gerade nicht die Stärke von „Blood Quantum“, der trotz dieser fragwürdigen Abbiegung auf der Zielgeraden dennoch zu den aufregenderen Neuzugängen zum eigentlich längst übersättigten Zombie-Genre gehört.
Fazit: „Blood Quantum“ liefert neben einigen deftigen Splatter-Einlagen zwar durchaus auch bittere Kommentare zum skandalösen Umgang mit der indigenen Bevölkerung Kanadas, arbeitet diese aber nicht weiter aus, sondern konzentriert sich mit fortlaufender Spieldauer stattdessen auf einen nur halbgaren Familienkonflikt. Zwar zählt der Film auch so schon zu den besseren Zombie-Thrillern der jüngeren Vergangenheit, aber es wäre eben auch noch eine ganze Ecke mehr drin gewesen.
Wir haben „Blood Quantum“ auf den Fantasy Filmfest White Nights gesehen.