... und wieder traut sich keiner, das Popcorn anzurühren
Von Christoph PetersenAnmerkung der Redaktion: Diese Kritik wurde bereits im März 2020 und damit geschlagene 15 Monate vor ihrer Veröffentlichung geschrieben. Trotzdem haben wir darauf verzichtet, größere Anpassungen vorzunehmen, sondern uns dazu entschieden, sie als „Zeitdokument“ einer vergangenen „Ära“ einfach mal so stehen zu lassen.
Sich einen „A Quiet Place“-Film im Kino anzuschauen, ist schon in normalen Zeiten etwas Besonderes. Den ersten Teil habe ich damals etwa in einer Pressevorführung in New York gesehen. Dort saßen mehr als 200 Leute in einem vollgepackten Saal – alle mit Popcorn, gab‘s ja für Journalisten umsonst. 90 nahezu mucksmäuschenstille Minuten später standen die allermeisten Tüten beim Rausgehen noch immer unangetastet herum. Nur die wenigsten hatten es gewagt, in dieser atmosphärisch dichten Stille auch nur kurz zu rascheln. Bei „A Quiet Place 2“ war die Erfahrung nun sogar noch surrealer: Die Berliner Pressevorführung fand nämlich im März 2020 wenige Stunden nach der Corona-bedingten Verschiebung des Films und damit nur wenige Tage vor der (ersten) deutschlandweiten Komplettschließung der Kinos statt.
Bei der apokalyptischen Eröffnungssequenz, in der die Geschichte der Familie Abbott zurück zu Tag 1 der Alien-Invasion springt, musste wohl jeder im Saal sofort daran denken, wie merkwürdig und bedrückend die Stimmung da draußen auf den Straßen der wirklichen Welt gerade ist. Ich habe keine Ahnung, wie sich dieser Text liest, wenn die Kritik dann hoffentlich in einem halben Jahr oder so tatsächlich zum Kinostart des Films veröffentlicht werden kann – war die Situation damals übertriebene Panikmache oder der Anfang einer gewaltigen Katastrophe? Aber wie dem auch sei: Ich hoffe, ihr seid alle gesund – und könnt wieder mit der nötigen Unbedarftheit ins Kino! Denn Fans des ersten Teils sollten auch die Fortsetzung, erneut geschrieben und inszeniert von John Krasinski, möglichst nicht verpassen.
Evelyn Abbott (Emily Blunt) muss sich nach den Geschehnissen des Vorgängers ein neues sicheres Zuhause suchen ...
Nach dem dramatischen Finale von „A Quiet Place“ muss Evelyn Abbott (Emily Blunt) gemeinsam mit ihren Kindern Regan (Millicent Simmonds) und Marcus (Noah Jupe) von der Farm fliehen. Auch das Baby hat sie noch immer dabei – in einem selbstgebastelten Kasten mit Beatmungsgerät, der das Geschrei nicht nach außen dringen lässt. Schließlich töten die blinden außerirdischen Kreaturen mit den großen Ohren jeden, der auch nur den kleinsten Mucks macht. In einem verfallenen Industriegebäude stoßen de Abbotts auf Emmett (Cillian Murphy), den sie noch von früher kennen. Aber ist Emmett wirklich einer von den Guten? Und was hat es mit dem mysteriösen Radiosignal auf sich, von dem Regan glaubt, dass es auf eine sichere Insel vor der Küste hinweisen könnte?
Der erste „A Quiet Place“ ist ein High-Concept-Horrorfilm, der seine sehr spezifische Prämisse mit gnadenloser Effektivität und gewaltigem Einfallsreichtum durchexerziert – und deshalb haben wir uns nach dem Rollen des Abspanns auch nicht direkt eine Fortsetzung gewünscht, weil die besten Ideen (etwa ein Monopoly mit Stoffbällchen statt Holzhäusern) ohnehin schon abgefrühstückt zu sein schienen. Sogar John Krasinski selbst hat damals gesagt, dass er für ein eventuelles Sequel nicht zur Verfügung stünde – und sowieso solle man dann lieber die Geschichte einer anderen Familie erzählen, statt die Saga der Abbotts fortzuführen. Aber Pustekuchen! Nach einem weltweiten Einspielergebnis von 340 Millionen Dollar bei einem schmalen Budget von nur etwa 20 Millionen stand ziemlich schnell fest: Es muss „A Quiet Place 2“ mit denselben Schauspielern aus Teil 1 geben – und am Ende hat sich auch Krasinski bereiterklärt, als Regisseur und Autor hinter die Kamera zurückzukehren.
Nachdem der Vorgänger fast ausschließlich auf einer kleinen Farm gespielt hat, war eigentlich klar, dass sich diese totale Konzentration auf einen Schauplatz in der Fortsetzung nicht wird durchhalten lassen. Aber es ist Krasinski hoch anzurechnen, dass er sich mit Hilfe des höheren Budgets nun nicht hemmungslos austobt, sondern ganz im Gegenteil weiterhin eine erstaunliche Zurückhaltung walten lässt. Nur ganz am Anfang, wenn „A Quiet Place 2“ kurzzeitig zum Beginn der Invasion zurückspringt, wo bei einem örtlichen Kinder-Baseballspiel zunächst eine trügerische Normalität herrscht, lässt er es anständig krachen. Das allerdings mit einer solchen inszenatorischen Finesse, von der sich Roland Emmerich und Co. ruhig mal eine Scheibe abschneiden könnten. Ich gebe jedenfalls zu: Ich habe erst beim fünften Mal bemerkt, dass da im Trailer gerade ein *fucking* Alien aus der Scheibe des Busses herauskrabbelt! So sehr habe ich mich auf die Panik in den Augen der mit ihrem Auto rückwärtsrasenden Emily Blunt konzentriert…
Anschließend verfolgt „A Quiet Place 2“ über weite Strecken zwei parallele Handlungsstränge: Während sich Regan und Emmett auf die Suche nach Rettung machen, bleiben Evelyn, Marcus und das Baby in der Industriehalle zurück. Dabei wirken einige der Spannungsszenarien zwar schon etwas konstruiert: Eine große Rolle spielt zum Beispiel ein schall- und luftdichter Ofen, der sich aber nur von außen öffnen lässt, was auch in exakten regelmäßigen Abständen gemacht werden muss, weil sonst der Sauerstoff für die Eingeschlossenen knapp wird. Aber Krasinski hat sich in den vergangenen zwei Jahren als Regisseur noch einmal weiterentwickelt – und inszeniert solche Momente inzwischen mit einer derart selbstsicheren Präzision, dass sie trotz der nicht ganz so eleganten Vorbereitung zuverlässig voll einschlagen. Und wir reden hier übrigens tatsächlich von intensiver Spannung – und nicht von billigen Jump Scares.
... und trifft dabei auf einen alten Bekannten (Cillian Murphy), bei dem sich niemand sicher sein kann, ob man ihm trauen sollte oder nicht.
Das hohe Maß an Intensität hat – wie schon im Vorgänger – auch diesmal wieder viel mit der nicht nur für einen Horrorfilm herausragenden Leistung der Schauspieler zu tun. Nicht umsonst wurde Emily Blunt („Jungle Cruise“) für „A Quiet Place“ als ernstzunehmende Kandidatin für eine Oscarnominierung gehandelt – gerade in diesem Genre eine absolute Seltenheit. Der einzige größere Neuzugang zum Cast ist Cillian Murphy („The Dark Knight“), der ein Stück weit an die Stelle von John Krasinskis Familienvater tritt – nur ist Emmett eben kein unbedingter Sympathieträger, sondern eine extrem ambivalente Figur, die man zwar mag, der man dank Murphys undurchsichtigem Spiel aber immer auch alles zutraut. Der Spannung schadet diese Doppelbödigkeit jedenfalls ganz sicher nicht.
Das Drehbuch zu „A Quiet Place 2“ hat auch wieder einige dieser genialen kleinen Einfälle, wenn es darum geht, sich zu überlegen, was es überhaupt für eine Welt bedeutet, wenn niemand mehr ein Geräusch machen darf. Allerdings sind diese längst nicht mehr so eng getaktet wie noch im ersten Teil – dafür ist hier alles auf Spannung und Intensität ausgerichtet. Das erkennt man schon daran, dass auf jeglichen überflüssigen dramaturgischen Schnickschnack verzichtet wird – und das gilt erst recht für das Ende. Wenn alles gesagt ist, kann man sich jede weitere Szene, die da in einem typischen Film noch folgen würde, eben besser einfach direkt sparen – auch das spricht für das unverschämte Selbstbewusstsein, dass sich der ehemaligen Sitcom-Sympath Krasinski („The Office“) inzwischen als Regisseur angeeignet hat.
Fazit: In gewisser Weise ist „A Quiet Place 2“ ein typisches Größer-weiter-schneller-Sequel. Aber John Krasinki weiß sich dabei so weit zu beherrschen, dass die spezifischen Stärken der Geräuschlos-Prämisse weiter voll durchschlagen, während er sich inszenatorisch sogar noch einmal weiterentwickelt und sein Drehbuch zudem kein erzählerisches Gramm zu viel an den Knochen hat. Wenn schon eine „A Quiet Place“-Fortsetzung, dann doch gerne so.