Der bessere "e-m@il für dich"
Von Oliver KubeBei romantischen Filmen hängt (fast) alles an der Chemie der Schauspieler. Glaubt man ihnen ihre Gefühle füreinander, dann drückt man ihnen auch die Daumen. Glaubt man sie nicht, sitzt man teilnahmslos davor und ärgert sich über den kitschigen Schmarrn. Regisseurin Vanessa Jopp („Der fast perfekte Mann“) hat bei ihrem mit leisem Humor gewürzten Liebesdrama „Gut gegen Nordwind“ diesbezüglich schon mal die denkbar besten Vorrausetzungen, denn mit Alexander Fehling und Nora Tschirner schickt sie nicht nur zwei der sympathischsten und populärsten hiesigen Akteure ins Rennen, bei den beiden hat es ja auch abseits der Kamera gefunkt. Zugleich handelt es sich bei dem als Vorlage dienenden Bestseller von Daniel Glattauer aber um einen Brief- oder besser gesagt einen E-Mail-Roman. Das bedeutet, dass das Duo trotz des romantischen Anbändelns (so gut wie) keine gemeinsame Zeit auf der Leinwand verbringt. Eigentlich nicht die beste Voraussetzung für große Gefühle. Eigentlich ...
Eines Tages erhält der im Beruf erfolgreiche, in der Liebe aber eher glücklose Sprachwissenschaftler Leo (Alexander Fehling) eine E-Mail von einer fremden Frau. Offenbar liegt ein Fehler vor. Denn die Absenderin Emma (Nora Tschirner) möchte einfach nur ein Zeitschriften-Abonnement kündigen. Leo klärt sie mit einigen kurzen, wohlgewählten Worten über ihren Irrtum auf. Damit sollte die Angelegenheit eigentlich erledigt sein. Ist sie aber nicht, denn Emma antwortet ähnlich geistreich und es entwickelt sich ein Schriftverkehr zwischen den beiden, der zunächst nur amüsant ist, aber bald auch immer vertrauter und persönlicher wird. Irgendwann beginnt aus der digitalen Freundschaft mehr zu werden - und das, obwohl er nicht von seiner Ex-Freundin Marlene (Claudia Eisinger) loskommt und sie glücklich mit Bernhard (Ulrich Thomsen) verheiratet ist. Bald können Leo und Emma es nicht mehr erwarten, dass eine neue Nachricht des jeweils anderen in ihrem virtuellen Briefkasten landet. Doch obwohl sie es kaum noch ertragen können und sogar in derselben Stadt wohnen, beschließen sie, „vernünftig“ zu bleiben und sich im realen Leben besser nicht zu treffen ...
Leo verliebt sich am Laptop in die Worte einer ihm unbekannten Frau ...
Den Einstieg verbringt Jopp exklusiv damit, dem Publikum die ein wenig deprimierende Welt von Leo zu schildern. Echte Bewegung kommt in seinen Alltag erst hinein, als mit Emma, die er bald nur noch Emmi nennt, jemand in sein Leben tritt, die eine ebenso große Leidenschaft für die Kraft der Worte hegt wie er. Was, wenn diese Frau, die er noch nie persönlich getroffen hat, seine Seelenpartnerin ist? Durch die Anonymität des Schriftverkehrs kann er sich wirklich öffnen und kommt seinem Wunsch nach echtem Verständnis oder Geborgenheit, die seine egoistische Ex-Freundin ihm nicht geben konnte, so im virtuellen Austausch erheblich näher als in der analogen Welt. Das spürt auch das Publikum, das den sensiblen Mann in diesen frühen Szenen wirklich kennenzulernen scheint.
Es soll eben nicht nur einfach irgendein warmer Körper sein, an den er sich anschmiegen kann. Es sind Emmas Intellekt, ihr Witz und ihr Einfühlungsvermögen, die ihn (und mit ihm den Zuschauer) zum Träumen bringen. So lässt er eine im wahrsten Sinne des Wortes greifbare, dazu noch ausgesprochen attraktive Kollegin seiner als Model arbeitenden Schwester Adrienne (Ella Rumpf) abblitzen, um lieber virtuell mit seiner Brieffreundin zu kommunizieren. „Emmi zu schreiben ist wie Emmi zu küssen“, erklärt er seine Gedankengänge der sich um ihren ein paar Jahre älteren Bruder sorgenden Adrienne.
So schwarz auf weiß wirkt eine solche Zeile natürlich ziemlich cheesy. Aber der gerade für seine Leistung in „Das Ende der Wahrheit“ mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Fehling bringt sie absolut ernsthaft rüber, ohne beim Zuschauer peinlich berührtes Augenrollen auszulösen. „Emmi ist meine Flucht. Ich will mir das nicht mit der Realität versauen“, begründet er, warum es dennoch nicht zu einem Treffen kommen soll. Durchaus nachvollziehbar, dass Leo solchen Bammel davor hat. In seiner Vorstellung, in seiner Gedankenwelt ist Emma perfekt – und wie wir alle wissen, kann eben kein Mensch wirklich perfekt sein.
Es ist eine ziemlich clevere Idee, das Publikum ebenfalls möglichst lange exklusiv in Leos Illusion verharren zu lassen. Es dauert mehr als 40 Minuten, bis der Film erstmals die Perspektive wechselt und man auch die bisher nur als ihre E-Mails lesende Stimme präsente Emma zu Gesicht bekommt. Doch so großartig Nora Tschirner zu Anfang allein mit den Worten aus dem Off und im weiteren Verlauf dann für alle sichtbar auch ist, kann man es trotzdem auch ein wenig schade finden, dass eine so bekannte Schauspielerin für die Rolle gecastet wurde. Denn wer es nicht schon vorher wusste, weil er den Trailer oder ein Plakat gesehen (oder diesen Text gelesen) hat, wird sie wahrscheinlich sofort an ihrer Stimme und ihrem singulär-trockenen Tonfall erkennen; lange bevor sie zu sehen ist. Insofern wird sich die Spannung darauf, wie Emma wohl aussehen, sich bewegen oder geben mag, für die meisten Zuschauer leider gar nicht erst einstellen oder bereits sehr früh wieder verflüchtigen.
... wobei der Zuschauer zu dem Zeitpunkt (leider) schon längst weiß, dass Emma so aussieht.
Trotzdem ist es interessant, in der zweiten Hälfte mehr über die zuvor von Leo so idealisierte Emmi zu erfahren. Sie führt ein ganz normales, größtenteils harmonisches Leben mit ihrem vom wie üblich zuverlässig und präzise agierenden Dänen Ulrich Thomsen („Adams Äpfel“) verkörperten Dirigenten-Ehemann samt seiner Kinder aus erster Ehe und droht durch ihre Gefühle für Leo nun doch innerlich zu zerreißen. Auch sie realisiert, sich insgeheim nach etwas anderem, emotional größerem zu sehnen, das für sie nun von Leo repräsentiert wird. Aber auch Emmi hat Angst davor, dass die Realität ihrer Fantasie nicht gerecht werden könnte. Tschirner und Fehling gelingt es trotz der räumlichen Trennung eine absolut glaubhafte Korrelation ihrer Charaktere zu kreieren, die das Publikum berührt, mitfühlen und in manchen Momenten sogar mitleiden lässt.
Die zwei Schauspieler vermitteln, selbst wenn sie nur vor ihren Bildschirmen sitzen oder am Handy vor sich hin tippen, allein mit Blicken und Gesichtsausdrücken unheimlich viel an Gedanken, Gefühlen und auch Humor, während sie aus dem Off ihre Korrespondenz einsprechen. Die Intimität, die so zwischen den Charakteren heranwächst, ist voll und ganz nachzuvollziehen. Das geht so weit, dass man sich als Zuschauer tatsächlich als Teil davon fühlt. So kommt es zu einem effektiven, fast schon atemstockenden Moment, als plötzlich eine dritte Person in den Schriftverkehr eingreift, ja eindringt. Die dadurch herbeigeführte Wendung in der Figuren-Dynamik ist unerwartet, überraschend und dennoch so glaubhaft, dass sie sich völlig richtig anfühlt.
Bei aller Melancholie, die die Handlung sowie ihre Umsetzung mit ruhiger Kameraführung (Sten Mende, „Kidnapping Stella“), einem von eher sanften, verspielten Klängen bestimmten Score (Hauschka, „Was uns nicht umbringt“) und meist gedämpftem Licht über weite Strecken ausstrahlen, schafft Jopp es dennoch, eine gewisse Leichtigkeit beizubehalten, die das positive Gefühl des Verliebtseins illustriert. Diese Atmosphäre ist neben der – da haben wir sie wieder! – Chemie der Hauptdarsteller natürlich primär der von Drehbuch-Autorin Jane Ainscough („Ich bin dann mal weg“) einfallsreich adaptierten Geschichte geschuldet. Zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch einem mittels geschickter Schnitte (Andrew Bird, „Der Goldene Handschuh“) erzeugten, immer mal wieder unvermittelt anziehenden Tempo.
Fazit: Eine dank kluger Inszenierung und exzellentem Spiel eine ebenso berührende wie authentisch anmutende moderne Love-Story.