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    A Private War
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    A Private War

    Bei den Oscars zu Unrecht übergangen

    Von Jens Balkenborg

    Was treibt Journalisten an, sich als Kriegsreporter freiwillig in umkämpfte Krisenregionen zu begeben? Völlig selbstloser Idealismus, ganz im Dienst der Wahrheit? Geltungssucht, Wahnsinn oder gar infernalische Hybris? Die Antwort muss irgendwo dazwischen liegen. Marie Colvin jedenfalls, die wohl bekannteste Kriegsreporterin der Welt, vereinte all das in sich. Einerseits wurde sie gefeiert für ihre investigativen Höllenritte im Ersten Golfkrieg, in Indonesien oder während des Bürgerkriegs in Syrien, in dem sie 2012 auch ums Leben kam. Andererseits war die Frau mit der charakteristischen Augenklappe eine Traumatisierte mit Alkoholproblemen. In seinem Spielfilmdebüt „A Private War“ setzt der preisgekrönte Dokumentarfilmer Matthew Heineman („Cartel Land“) ihr mit einer fantastischen Rosamunde Pike in der Hauptrolle ein eindrückliches filmisches Denkmal.

    Als Reporterin der Sunday Times reist Marie Colvin (Rosamund Pike) rund um den Globus und berichtet aus Kriegsgebieten. Sie interviewt Diktatoren und lebt in ständiger Todesangst. In Sri Lanka verliert sie während eines Angriffs sogar ihr linkes Auge und trägt fortan eine schwarze Augenklappe. Zuhause schlägt sie sich mit ihrem Redakteur Sean Ryan (Tom Hollander), noch mehr aber mit einer posttraumatischen Belastungsstörung und ihren Alkoholproblemen herum. Sie wird von Albträumen geplagt und findet sich im „normalen“ Leben einfach nicht mehr zurecht. Daran ändert auch ihr späterer Lebensgefährte Tony Shaw (Stanley Tucci) nichts. Colvin sucht ständig die nächste Geschichte und hat mit dem Fotografen Paul Conroy (Jamie Dornan) einen ähnlich getriebenen Mitstreiter an ihrer Seite. 2012 reist das Duo nach Syrien, um aus dem Bürgerkrieg zu berichten. In Homs eskaliert die Situation...

    Weder Pathos noch Kitsch

    Das auf dem Vanity-Fair-Artikel „Marie Colvin’s Private War“ von Marie Brenner basierende Drama hätte in den Händen eines anderen Regisseurs schnell eine in Pathos getränkte Heldengeschichte werden können. Doch Heineman inszeniert stattdessen ein vielschichtiges, nüchtern erzähltes Biopic, bei dem er sogar auf Musik oder sonstiges Brimborium fast gänzlich verzichtet. In seiner fragmentarisch gehaltenen Erzählung folgen wir Colvin nach Sri Lanka und in weitere staubige, vom Kugelhagel zerrissene Gegenden. Es sind Szenen der Beklemmung, die der langjährige Dokumentarfilmer nicht als große Schlachten, sondern als Momente des persönlichen Horrors in Szene setzt. Dass Heineman vor den einzelnen Episoden Zwischentitel setzt, die gleich einem Countdown auf die Geschehnisse in Homs zulaufen, da eine fast schon unnötige Zuspitzung. Der Regisseur findet so unmittelbare Bilder, dass es dramatische Verstärker wie diese gar nicht braucht.

    „A Private War“ - der Titel des Films ist hier absolut wörtlich zu verstehen: Denn neben den Szenen aus den Krisenregionen zeichnet der Regisseur das komplexe Psychogramm einer Frau, die mit sich selbst im Krieg steht. „Ich hasse es, in Kriegsgebieten zu sein, aber ich muss es mit eigenen Augen sehen“, sagt Marie Colvin einmal und deutet damit nur die ganze Palette an Widersprüchlichkeiten der Figur an, die Heineman für sein Biopic niemals glattbügelt. Seine Version der Reporterin ist innerlich zerrissen, sie ist über-idealistisch, zerfressen von Ehrgeiz. Sie kann nicht mit und zugleich nicht ohne ihren Job, der ihr Panikattacken, Albträume und Alkoholprobleme beschert, der sie kaputt macht und ihr letztlich zum Verhängnis werden wird. Klassischer amerikanischer Heldenkitsch sieht jedenfalls anders aus, die Landesflagge dekorierte nur einmal unübersehbar den Hintergrund.

    Markenzeichen Augenklappe: Marie Colvin besucht wieder ein Krisengebiet.

    Die größte Attraktion von „A Private War“ ist aber Rosamund Pike (oscarnominiert für „Gone Girl“). Ob kriechend im Staub, mit Reibeisenstimme selbstbewusst delegierend, zerstört und betrunken in der Heimat, die Schauspielerin verkörpert die Reporterin mit einer einnehmenden (auch physischen) Präsenz, der man sich kaum entziehen kann. Das sie dafür keine Oscarnominierung abbekommen hat, ist eigentlich nur damit zu erklären, dass sich den Film einfach nicht genügend der wahlberechtigten Academy-Mitglieder angesehen haben. Wie sehr auf den Punkt die Britin agiert, wird allerspätestens klar, wenn in einer kurzen Archivaufnahme die originale Marie Colvin über den Bildschirm flackert. „Du wirst nirgendwo hinkommen, wenn du die Angst anerkennst“, erklärt sie da direkt in die Kamera. Weiter erzählt sie, dass die Angst sie normalerweise erst heimsucht, nachdem die Gefahr schon vorüber ist. Nur in Homs ist es dazu nicht mehr gekommen.

    Fazit: Mit „A Private War“ gelingt Matthew Heineman der Spagat zwischen packendem Psychogramm und beklemmendem Antikriegsfilm. Auch dank einer großartigen Rosamund Pike, die selten besser gespielt hat.

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