Bei der Rückkehr aus der – im Jahr 2017 zehnwöchigen – „Tatort“-Sommerpause pflegt die ARD eine ebenso inoffizielle wie altbewährte „Tradition“: Weil in Bundesländern wie Baden-Württemberg und Bayern Ende August noch Sommerferien sind, viele potenzielle Zuschauer im Urlaub weilen oder ihren Sonntagabend lieber im Freien als auf der Fernsehcouch verbringen, schickt Das Erste zum Auftakt gerne Ermittlerteams ins Rennen, bei denen ohnehin keine allzu hohe Einschaltquote zu erwarten ist. Waren es 2011, 2012, 2013 und 2015 jeweils die vergleichsweise weniger beliebten „Tatort“-Kommissare aus der Schweiz, beendeten 2014 ihre Kollegen aus Österreich die Sommerpause – nur 2016 machte die ARD zuletzt mal eine Ausnahme und ließ die populären Kölner Kommissare Ballauf und Schenk mit dem mittelprächtigen „Tatort: Durchgedreht“ eine starke Quote von fast zehn Millionen Zuschauern einfahren. Ein Jahr später dürfte sie wieder niedriger ausfallen: Den Startschuss für die „Tatort“-Saison 2017/2018 gibt Barbara Eders thematisch ausgefallener „Tatort: Virus“, in dem die Wiener Ermittler eine mit dem Ebola-Erreger infizierte Leiche finden und sich mehr schlecht als recht durch eine wild zusammengeschusterte Geschichte in bester „Outbreak“-Manier mühen.
In einem Steinbruch des idyllischen Bergdörfchens Pöllau in der Oststeiermark wird ein toter Westafrikaner (David Wurawa) gefunden. Um wen handelt es sich? Der Wiener Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), seine Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und der vor Ort zuständige Dorfpolizist Riedl (Stefan Pohl) finden zunächst keine Hinweise darauf, wer der Tote sein könnte und wer die Leiche beseitigen wollte. Den Steinbruch wollte der einflussreiche Betreiber Thomas Reuss (Martin Niedermair) sprengen lassen – angeblich, um Auflagen der Behörden zu erfüllen. Die Ermittlungen führen Eisner und Fellner zu Reuss‘ Bruder Albert (Andreas Kiendl), der als Arzt für eine Hilfsorganisation in Guinea tätig war und nun in der Steiermark einen Hof für Geflüchtete betreibt. Dort stoßen die Polizisten auf eine Mauer des Schweigens. Die fehlenden Spuren bei der Suche nach dem Mörder bleiben aber nicht ihre einzige Sorge: Bei der Obduktion der Leiche findet Professor Michael Kreindl (Günter Franzmeier) heraus, dass der Tote mit dem Ebola-Virus infiziert ist. Ein Seuchenkommando setzt ganz Pöllau unter Quarantäne – was die möglicherweise selbst infizierten Ermittler nicht davon abhält, mit Hochdruck nach einer verschwunden Flüchtlingsfamilie zu fahnden…
„Das ist irgendwie nicht ganz real“, resümiert Major Bibi Fellner nach der erschütternden Ebola-Diagnose des Wiener Pathologen – und auch der eine oder andere Stammzuschauer dürfte sich zu diesem Zeitpunkt vorkommen wie im falschen Film. Regisseurin Barbara Eder („Inside America“) und Drehbuchautor Rupert Henning („Nordwand“), der sein drittes Skript für die Krimireihe geschrieben hat, orientieren sich zwar einleitend noch am erfolgserprobten Whodunit-Prinzip und liefern routiniert vorgetragene Ermittlungsarbeit im Umfeld des Toten – mit dem Ausrufen des Notstands aber wandelt sich der 1026. „Tatort“ nach einer guten halben Stunde binnen Minuten von klassischer Sonntagskost mit politischer Botschaft zur ambitionierten Kreuzung aus Krimi, Komödie und Katastrophenthriller im Stile von „Outbreak“ oder „Contagion“. Das ist ein durchaus mutiger und nicht zwingend zum Scheitern verurteilter Ansatz – schließlich hat sich der „Tatort“ mit seinen mal mehr, mal weniger witzigen Beiträgen aus Münster oder Weimar, einigen tollen Arthouse-Krimis aus Wiesbaden und Frankfurt oder den amerikanisch angehauchten „Miniserien“ aus Dortmund und Berlin in den vergangenen Jahren ohnehin zu einer Spielwiese für Filmemacher mit Lust am Traditionsbruch entwickelt.
Der permanente Wechsel des Erzähltons und die vielen albernen Zwischenspiele, die den ernsthaften Anspruch der Geschichte kolossal untergraben, brechen dem stellenweise durchaus spannend inszenierten „Tatort“ aber früh das Genick. Exemplarisch dafür sei dieser Aspekt genannt: Als ein Ermittler befürchtet, mit dem Ebola-Virus infiziert zu sein, mündet das zunächst in tränenreiche Todesangst und panische Blicke – schon in einer der nächsten Szenen aber wird mit den Kollegen fleißig über die umgehend eingeleiteten Isolationsmaßnahmen gewitzelt, obwohl von den Ärzten noch keine abschließende Diagnose getroffen wurde. Ein derart wilder Stimmungsmix kann selbst im gewohnt humorvollen „Tatort“ aus Wien kaum funktionieren. Dafür hat der Film aber andere Stärken: Der Pathologe Kreindl (Günter Franzmeier) muss sich in Sachen Arroganz („Wirf dich in den Staub vor meiner forensischen Kompetenz!“) noch nicht mal vor dem populären „Tatort“-Kollegen Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) aus Münster verstecken, der überzeichnete Einsatzleiter Dr. Klaus Rottensteiner (Markus Schleinzer) besticht mit seiner herrisch-hysterischen Art und auch der stark gespielte Showdown in den idyllischen Bergen der Steiermark, den die Filmemacher elegant mit der bedrückenden Vorgeschichte in Westafrika verknüpfen, kann sich sehen lassen.
Ansonsten wirkt im „Tatort: Virus“ vieles unrund: Die Nebenfiguren im Flüchtlingshof kommen bei der Vorgeschichte zu kurz und auch die fest zum Austro-„Tatort“ gehörenden Sidekicks schwächeln. Assistent „Fredo“ Schimpf (Thomas Stipsits), der im letzten Wiener „Tatort: Wehrlos“ erstmalig in den Mittelpunkt rückte, bleibt diesmal ebenso blass wie Sektionschef Ernst Rauter (Hubert Kramar): Während Schimpf für müde Gags zur mangelnden Fitness der Polizeibeamten herhalten muss, scheint ausgerechnet Rauter von allen im Revier am schlechtesten über das Ausmaß der Katastrophe informiert zu sein. Bei Eisner und Fellner wiederum wechseln sich Licht und Schatten ab: So authentisch und verbissen sich die Kommissare bei einem schweißtreibenden (und absolut köstlichen) Trainingskampf auf der Sportmatte in die Haare kriegen, so gekünstelt und konstruiert wirkt das hektische Vorbereiten eines Geburtstagsdinners, bei dem sich Fellner wenig später in Slapstick-Manier in den Finger schneidet. Nach der in den vergangenen Jahren zu beobachtenden Häufung enttäuschender Folgen wie dem „Tatort: Sternschnuppe“ oder dem „Tatort: Gier“ verfestigt sich damit der Eindruck, dass die Wiener Kommissare ihre besten Jahre trotz vieler bissiger Dialoge hinter sich haben – vielleicht braucht es aber auch nur einfach mal wieder ein richtig gutes Drehbuch.
Fazit: Barbara Eders „Tatort: Virus“ ist eine mutige Kreuzung aus Krimi, Komödie und Katastrophenthriller, die trotz einiger guter Ansätze im Gesamtergebnis nicht ganz überzeugt.