Als die Amerikaner am Abend vor Halloween 1938 das Radio aufdrehten, trauten sie ihren Ohren kaum: Mörderische Aliens waren im Land eingefallen! Die vermeintliche Katastrophennachricht löste eine veritable Massenhysterie aus. Doch was klang wie eine Live-Reportage über eine Außerirdischen-Invasion, war in Wahrheit das fiktive Hörspiel „Krieg der Welten“, das Regisseur Orson Welles („Citizen Kane“) nach dem später auch mehrmals verfilmten Science-Fiction-Roman von H.G. Wells in Szene gesetzt hatte. Diese berühmte Anekdote aus der Mediengeschichte nutzt Regisseur Jody Lambert in seiner vergnüglichen historischen Komödie „Brave New Jersey“ nun als Katalysator, um das Leben in einer verschlafenen Kleinstadt auf den Kopf zu stellen: Lullaby, New Jersey liegt ganz in der Nähe des vermeintlichen Alien-Landeplatzes - und im Ort nimmt jeder die Sendung für bare Münze.
30. Oktober 1938. In der US-Kleinstadt Lullaby geht Bürgermeister Clark Hill (Tony Hale) kleineren Arbeiten nach, der Unternehmer Paul Davison (Sam Jaeger) plant die Eröffnung seiner automatisierten Melkanlage, Lehrerin Peg Pricket (Anna Camp) verlobt sich mit Chardy Edwards (Matt Oberg) und Reverend Ray Rogers (Dan Bakkedahl) kommt mal wieder zu spät und angetrunken zum eigenen Gottesdienst. Die Kleinstadtroutine am Sonntag vor Halloween wird jäh durch das abendliche Radioprogramm unterbrochen: „Krieg der Welten“ läuft und die aufgeschreckten Einwohner fangen in Erwartung der mordenden Marsianer an, den Widerstand zu organisieren. Captain Ambrose P. Collins (Raymond J. Barry), Veteran der Schützengräben des Ersten Weltkriegs, übernimmt das Kommando. Davison lässt seine Ehefrau Lorraine (Heather Burns) und Tochter Ann (Grace Kaufman) sitzen. Die resolute Peg überdenkt ihre Verlobung, während der schüchterne Clark endlich seine Chance bei der verlassenen Lorraine gekommen sieht. Denn noch ahnt niemand, dass die Alien-Invasion nur ein Hörspiel ist...
„Brave New Jersey“ ist eine locker-leichte Ensemblekomödie, in der Langfilmdebütant Jody Lambert das Jahr 1938 im ländlichen New Jersey mit besonders viel Gespür für das Zeit- und Lokalkolorit lebendig werden lässt. Insbesondere das damalige Verhältnis zwischen den Geschlechtern stellt er sehr feinfühlig und klarsichtig dar: Die Männer sind ihren Frauen gegenüber nicht sehr aufmerksam und interessieren sich kaum dafür, wie diese sich fühlen – das erscheint hier zwar als historischer Normallfall, aber eben nicht als Idealzustand. Wenn der Unternehmer seiner Frau befiehlt, seine Schuhe zu polieren, und Chardy seine Verlobte Peg mehr oder weniger als seinen Besitz betrachtet, als wäre sie ein Möbelstück, dann werden die problematischen Strukturen aufgedeckt, ohne dass einzelne Figuren verteufelt würden.
Die Horrormeldungen aus dem Radio ändern dann alles: Unter den Einwohnern von Lullaby wächst das Bewusstsein, dass dies ihre letzte Nacht auf Erden sein könnte und viele von ihnen handeln danach. Der im immer gleichen Trott festgefahrene Bürgermeister Clark, ein ewiger Loser und besserer Laufbursche von Unternehmer Davison, fühlt sich beispielsweise endlich ermutigt, Lorraine seine Zuneigung zu offenbaren. Denn insgeheim hegt er schon seit Jahren zärtliche Gefühle für die Frau des mächtigsten Mannes im Ort. Lehrerin Peg hingegen erledigt beim Aufbau der Barrikaden „Männerarbeit“, findet daran durchaus Gefallen und flirtet nebenbei mit dem Landarbeiter Sparky (Evan Jonigkeit), der auf sie in der apokalyptischen Atmosphäre dieser Nacht anziehender wirkt als ihr Verlobter Chardy. Es kommt auf ihre Initiative zu einem entrückten Hollywoodkuss, mit dem nicht nur die Magie alter (Kino-)Tage beschworen wird, sondern auch ein neues weibliches Selbstverständnis.
Aber nicht nur verborgene Sehnsüchte bringt Regisseur Lambert überzeugend zum Vorschein, auch die Oberflächen sind bei ihm stimmig gestaltet: Das gilt für Kostüme und Ausstattung ebenso wie für die leicht schrullige und naive Kleinstadt-Atmosphäre im Ganzen. Dazu tragen auch die Darsteller ganz wesentlich bei. Besonders stark ist Raymond J. Barrys („Training Day“) Darstellung des abgebrühten Weltkriegsveteranen Captain Collins, der in der Krise förmlich aufblüht und mit Autorität und Überzeugung das Kommando übernimmt. Zu seinen Glanzmomenten gehören herrlich skurrile Ansprachen, in denen er versucht, die Einwohner auf einen Kampf um Leben und Tod einzustimmen. Aber irgendwie ist der alte Offizier längst aus der Zeit gefallen, nicht alle hören ihm aufmerksam zu und einige scheinen nur zu denken: Endlich ist mal was los in Lullaby!
Barry ist der eine Darsteller, der aus dem durchweg überzeugenden Ensemble von „Brave New Jersey“ heraussticht. Der andere ist der wunderbare Tony Hale. Der Star aus „Veep“ und „Arrested Development“ hat hier endlich mal eine Filmhauptrolle und versieht den leicht verpeilten, aber herzensguten Bürgermeister fernab aller Trottelklischees mit echten und auch widersprüchlichen Gefühlen zwischen unterdrückter Wut und natürlichem Sanftmut. Mit seiner fürsorglichen Art hebt er sich in den Augen der verlassenen Lorraine angenehm von ihrem oft unausstehlichen Ehemann Paul ab. So trägt Hale emotional den Film und so weist sein Clark Hill den Männern den Weg in die Zukunft.
Fazit: Die sympathische Komödie „Brave New Jersey“ illustriert auf charmante Weise, was der (scheinbar) bevorstehende Weltuntergang unter den Bewohnern einer verschlafenen Kleinstadt so alles anrichten kann.