Potter mit den Pistolenpfoten
Von Christoph PetersenMan(n) stelle sich mal folgende Situation vor: Eines Morgens wachst du auf und jemand hat dicke fette Schrauben durch deine Fingergelenke gebohrt, um damit zwei stattliche Knarren – mit jeweils exakt 50 Schuss Munition – an deinen Händen zu befestigen! Ein schrecklicher Gedanke, denn wie zum Teufel soll man so noch den Touchscreen seines Handys bedienen? (Spoiler: mit der Nase natürlich.) Aber der wahre Albtraum beginnt ohnehin erst am Pissoir: Nicht nur kriegt man seinen Schniedel nicht richtig zu fassen, man muss auch höllisch aufpassen, sich nicht selbst die Kronjuwelen wegzuschießen (und ja, man sieht in der entsprechenden Szene auch kurz Daniel Radcliffes – vermutlich prothetischen – Harry Potter).
Mehr als zehn Jahre nach „Crank“ und „Shoot 'Em Up“ legt der neuseeländische Filmemacher Jason Lei Howden mit „Guns Akimbo“ nun einen eigenen hyperkinetischen, superbrutalen High-Concept-Actioner vor, der zunächst einmal mit seiner völlig abgefahrenen Pistolenpfoten-Prämisse aufhorchen lässt! Aber selbst wenn die folgenden eineinhalb Stunden mit einigen schön kranken Ideen und einer kaum noch nachzuvollziehenden Anzahl von Kopfschüssen aufwarten, erreicht „Guns Akimbo“ niemals diesen unwiderstehlichen frenetischen Fluss, der die oben genannten Vorbilder auszeichnet – und wenn man nicht gnadenlos mitgerissen und wie in einer Waschmaschine herumgeschleudert wird, dann fällt einem eben auch sehr viel leichter auf, wie platt und pubertär der wild-brutale Reigen in vielen Momenten doch ist.
Für Miles ist es nicht leicht, der Aufforderung der Cops nachzukommen, die Waffen fallen zu lassen - die Dinger sind an den Händen festgeschraubt!
Miles (Daniel Radcliffe) würde gerne richtig geile Videospiele entwickeln. Stattdessen reicht es aber nur für einen Job als Programmierer für ein Free-to-Play-Mobile-Game mit einem total süßen Eichhörnchen. Seinen Frust reagiert der Single, der seine Comic-Zeichnerin-Ex Nova (Natasha Liu Bordizzo) noch immer auf Instagram stalkt, abends online ab: In Kommentarspalten piesackt er Internet-Trolle, um sich dann an ihren berechenbar zurückprasselnden Beleidigungstiraden zu ergötzen. Aber dann gerät Miles mit seinen Provokationen an den Falschen …
… nämlich an den Superkriminellen Riktor (Ned Dennehy), der mit seiner Organisation den Real-Murder-Live-Stream „Skizm“ betreibt: In diesem treten irgendwelche Verbrecher oder Psychos im Zweikampf gegeneinander an, während die ganze Welt vor ihren Laptops und Mobiltelefonen dabei zusieht (also quasi „The Running Man“ trifft „Nerve“). Und nun wird eben auch Miles – mit seinen frisch angeschraubten Pistolen – zu einem unfreiwilligen Kandidaten. Ihm bleiben ab sofort 24 Stunden, um seiner Widersacherin Nix (Samara Weaving) den Garaus zu machen…
Der Film spielt in Shrapnel City – angelehnt an die gleichnamige fiktive Stadt aus dem provokanten Macho-Shooter „Duke Nukem 3D“. Trotzdem erinnert die erste Szene, in der Nix und ihre Skizm-Gegner aus Autos unter anderem mit einer Minigun herumballern, viel mehr an die neueren Vertreter des Mega-Franchises „Grand Theft Auto“. Selbst wenn im Wohnzimmer von Miles ein „Rambo 2“-Poster hängt und ihm ein Jean-Claude-Van-Damme-Kracher an einer Stelle das Leben rettet, zitiert Jason Lei Howden auf einem visuellen Level vor allem die gängigen Stilmittel von Videospielen – von freidrehenden Kamerafahrten über virtuelle Einblendungen bis hin zu extremen Zeitlupen. Das Problem ist nur, dass das sehr uneinheitlich geschieht – so entwickelt sich nie ein durchgängiger inszenatorischer Fluss, stattdessen bleiben die meisten Szenen für sich stehen. Und da gilt dann wie sooft: Manche funktionieren, andere brechen auseinander.
Die Videospiel-Ästhetik wird übrigens auch bei den Gewaltdarstellungen übernommen – und so spritzen in den Shootout-Szenen meist sich stark ähnelnde CGI-Blutfontänen. Grundsätzlich passt diese Entscheidung sicherlich ins visuelle Konzept – aber so nutzt sich die Provokation natürlich auch ziemlich schnell ab und nach dem fünften Kopfschuss (also schon in den ersten Minuten) verliert die ausgestellte Hypergewalt drastisch an Wirkung. Eine (womöglich angestrebte) Kritik an der toxischen Gamer-Kultur fällt unterdessen schon deshalb flach, weil von den Szenen, in denen verschiedene Zuschauer des Skizm-Streams eingeblendet werden, nicht eine einzige auch nur halbwegs glaubhaft oder entlarvend geraten ist.
Miles bestreitet einen großen Teil seines unfreiwilligen Abenteuers im Bademantel: Sieht so die FSK-18-Version von "Ditsche" aus?
Zum Glück nimmt sich „Guns Akimbo“ aber selbst nicht ernst – und wer hätte vor zehn Jahren geglaubt, dass wir Harry Potter mal mit Pistolenhänden zwischen einer ausgeleckten Meth-Tüte und einem gebrauchten Kondom nach einem halben weggeworfenen Hotdog stochern sehen? So ist das Ganze zumindest angemessen kurzweilig – auch wenn einige Albernheiten wie etwa das Unterlegen der Gemetzel-Szenen mit bewusst unpassenden Popsongs ganz schön (über-)strapaziert werden. (Zumal solche Gags wie der Typ mit den Kopfhörern, der sich in voller Lautstärke „You Spin Me Round“ anhört, weshalb er von der blutigen Schießerei hinter sich absolut gar nichts mitbekommt, nun auch nicht mehr ganz so taufrisch sind.)
Bei den Popkultur-Zitaten hat sich Jason Lei Howden offensichtlich von Quentin Tarantino inspirieren lassen – nur ist er eben längst kein so guter Autor: Da sagt dann der eine Handlanger zum anderen, dass er nachher noch „The Walking Dead“ weiterschauen will – woraufhin der andere erwidert, dass er die Serie nicht schaut, weil sie ihm viel zu brutal sei. Bis hierhin ist das noch so semi-witzig. Aber dann wird der Gag auch noch zu Tode erklärt, wenn der erste maskierte Gangster nachfragt, wie das denn überhaupt sein könne, wo er doch schließlich selbst als Profikiller arbeite? Danke, die Ironie hätten wir sonst glatt verpasst! (Ähnliches gilt übrigens auch für Miles kugelsichere Weste: Jedes Mal, wenn sie ihm das Leben rettet, schiebt er sein T-Shirt hoch – nicht um selbst nachzusehen, ob alles in Ordnung ist, sondern um den Zuschauer daran zu erinnern, dass er eine trägt.)
Daniel Radcliffe („Escape From Pretoria“) nimmt man den Part als programmierender Popkultur-Nerd definitiv ab – zudem ist Miles lange Zeit glaubhaft überfordert mit den Pistolen an seinen Händen (auch wenn er später bei der Stürmung des Skizm-Unterschlupfs plötzlich und ohne Erklärung einen Kopfschuss nach dem anderen setzt). „Ready Or Not“-Shooting-Star Samara Weaving hat hingegen eine ziemlich undankbare Rolle:
Nachdem Nix erst einmal als Badass-Braut mit Minigun etabliert ist, wird ihr auf der Zielgeraden noch ein dramatischer Hintergrund angedichtet, den der Film aber selbst nicht ernst nimmt, weshalb die angepeilte Tragik vollkommen wirkungslos direkt wieder verpufft. Am ehesten in Erinnerung bleibt deshalb der irische (und in diesem Fall krude tätowierte) Charakterkopf von Ned Dennehy, der sich hier nach seinem Part als Brother Swan in dem psychedelischen Nic-Cage-Fiebertraum „Mandy“ nachdrücklich für weitere Psycho-Rollen empfiehlt.
Fazit: „Guns Akimbo“ kommt an Vorbilder wie „Crank“ oder „Shoot 'Em Up“ trotz angemessen kranker Prämisse nicht heran – einer dieser zumindest recht kurzweiligen Filme, die trotz einer Freigabe nur für Erwachsene wohl vor allem die Altersklasse 12 - 16 richtig cool finden wird.