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    Retribution
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Retribution

    Das ultimative Berlin-Sightseeing – mit 'ner Bombe unterm Hintern!

    Von Christoph Petersen

    Die Story, wie der einstige Charaktermime Liam Neeson im Alter von 56 Jahren plötzlich einen zweiten Karriere-Frühling als Action-Star erlebte, wurde nun wirklich schon oft genug erzählt. Aber haben Hollywoods Produzent*innen aus dem Umstand, dass „96 Hours – Taken“ bei seinem Kinostart 2008 mehr als das Neunfache seines 25-Millionen-Dollar-Budgets einspielen konnte, tatsächlich die richtigen Schlüsse gezogen?

    Sicherlich ist der Entführungs-Thriller längst ein moderner Arschtritt-Klassiker – aber in der ikonischsten Szene des Films verprügelt der für „Schindlers Liste“ oscarnominierte Nordire nicht etwa seine Widersacher, sondern droht ihnen lediglich am Telefon: „I don't have money, but what I do have are a very particular set of skills. Skills I have acquired over a very long career. Skills that make me a nightmare for people like you.

    Als ob Matt Turner (Liam Neeson) mit der Bombe unter seinem Allerwertesten nicht schon genug durchmachen würde, glauben die Behörden auch noch, dass er selbst hinter der ganzen Sache steckt.

    Jetzt, 15 Jahre später, kommt endlich der Film, in dem nicht in erster Linie seine Action-Qualitäten, sondern diese Baritone-Telefonstimme im Zentrum steht: Zwar sehen wir Liam Neeson in der ersten Szene von „Retribution“ beim Einprügeln auf einen Boxsack – aber das ist nur das frühmorgendliche Workout für den in Berlin tätigen Investment-Banker Matt Turner, bevor er den Rest des Films komplett hinter dem Steuer seines Wagens (und eben immer wieder auch am Handy) verbringen wird. Der Grund dafür ist eine Bombe unter dem Fahrersitz, die eine fremde Stimme hochgehen zu lassen droht, wenn Matt nicht genau das tut, was sie ihm sagt …

    … und wem der Plot jetzt bekannt vorkommt, der liegt nicht falsch: Schließlich wurde der Stoff auch schon auf Spanisch („Anrufer unbekannt“), auf Deutsch („Steig. Nicht. Aus!“) und auf Koreanisch („Hard Hit“) verfilmt. Aber aller guten Dinge sind ja vielleicht nicht drei sondern vier – und so legt „Predators“-Regisseur Nimród Antal nun auch noch eine englischsprachige Variante nach, die allerdings nicht etwa in New York oder London, sondern wie auch schon Christian Alvarts „Steig. Nicht. Aus!“ mit Wotan Wilke Möhring erneut in Berlin spielt: Beginnend mit einer Explosion vor dem Brandenburger Tor entpuppt sich „Retribution“ als einziger feuchter Touri-Traum, der einen an so ziemlich allen Sehenswürdigkeiten der deutschen Hauptstadt vorbeiführt.

    Berlin, als hätte es Christopher Nolan durch die Mangel gedreht

    Die Wegfindung ergibt dabei nur selten Sinn: Wer sich in Berlin auch nur ein klitzekleines Bisschen auskennt, wird schnell mitkriegen, wie der Protagonist an der einen Ecke der Stadt um die Kurve fährt und plötzlich an einer ganz anderen Ecke wieder herauskommt – und manchmal zeigen sogar die Aussicht aus der Windschutzscheibe und der Blick in den Rückspiegel kilometerweit voneinander entfernte Orte. Man könnte fast meinen, Berlin wäre vor Drehbeginn in bester „Inception“-Manier einmal neu zusammengefaltet worden („Lola rennt“ lässt grüßen). Aber ganz ehrlich: Für Berlin-Kenner*innen erhöht das den Unterhaltungswert nur – und der Rest kriegt es eh nicht mit.

    Zumindest alle deutschen Zuschauer*innen können hingegen gemeinsam Lachen, wenn der geheimnisvolle Mann am Telefon ausgerechnet die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn als zentralen Stützpfeiler seines perfiden Plans benennt. Na, da wünschen wir viel Glück! Auch ein aus dem Nichts auftauchender Antifa-Protest mit den nichtssagend-generischsten Protestschildern, die man sich nur vorstellen kann, steuert noch ein gewisses (wenn diesmal auch unfreiwilliges Humorpotenzial bei). Dabei profitiert „Retribution“ massiv davon, einen Schauspieler mit der Präsenz eines Liam Neeson am Steuer zu haben – und die Teenie-Kids auf der Rückbank (Jack Champion, Spider aus „Avatar 2: The Way Of Water“, und Lilly Aspel, die junge Diana aus „Wonder Woman“) sind immerhin nicht allzu nervig.

    Die plötzlich pflastersteinwerfenden Antifa-Demonstrant*innen halten ihre Schilder auch im Film alle so, dass man bloß nicht sehen kann, was auf den Transparenten steht.

    Der Thriller-Plot selbst bietet unterdessen auch im vierten Anlauf solide Spannung mit einem Hauch von Gesellschaftskritik und Familiendrama – wobei sich Drehbuchautor Chris Salmanpour („FBI: Most Wanted“) für sein erstes Kino-Skript ein ganz neues Twist-Ende ausgedacht hat, das sich – mit Ausnahme der angesprochenen Pünktlichkeits-These in Bezug auf die Deutsche Bahn – erstaunlich stimmig und ohne größere Logikprobleme in den erprobten Plot einfügt. Ich würde drauf tippen, dass das neue Finale vielen Zuschauer*innen sogar besser gefallen wird als die etwas beliebige Auflösung im Original.

    Der Ungar Nimród Antal, der sich 2003 gleich mit seinem dunkelschwarzhumorigen Mystery-Action-Debüt „Kontroll - Jeder muss bezahlen“ für höhere Hollywood-Aufgaben empfohlen hat, erweist sich auch bei „Retribution“ einmal mehr als sauberer Regie-Handwerker (vom kurios zusammengefalteten Berlin vielleicht mal abgesehen). Anders als bei anderen Beschränkter-Raum-Thrillern wie „Nicht auflegen!“ oder „Buried“ könnte man hier fast vergessen, dass (fast) der ganze Film nur in einem Auto spielt – so sehr variiert der Film die Kameraeinstellungen im und aus dem Wagen. Nur tatsächlich erinnernswerte Action-Setpieces, die sucht man hier trotzdem vergeblich.

    Fazit: Solide unterhaltender Kino-Thriller, an dem vor allem Berlin-Junkies und Fans von Liam Neesons Telefonstimme ihre Freude haben werden.

     

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