Dogman
Ja, es gibt sie noch, die kleinen, filmischen Meisterwerke, welche sich am klassischen Erzählkino orientieren und leider zu selten ihren Weg zu einem größeren Publikum finden. So auch der jetzt angelaufene Film ,,DOGMAN“, dessen Handlung vom Regisseur Matteo Garrone nach Calabrien, dem industriell und sozial unterentwickelten ,,Mezzogiorno“ Italiens verlegt wird und die Geschichte des Hundesalon- Besitzers Marcello (Marcello Fonte) schildert, welcher als Coiffeur kleiner und großer Vierbeiner, mehr schlecht denn recht, seinen spärlichen Lebensunterhalt bestreitet und versucht mit alltagspragmatischem Spürsinn sich selbst und seine Tochter Alida (Alida Baldari Calabria) über die Runden zu bringen. Marcello hat gelernt, mit allerlei Hunden, so auch mit den starken und bissigen dieser Spezies umzugehen und diese Fähigkeit soll ihm gegen Ende der Geschichte noch von Vorteil sein und ihm womöglich das Leben retten. Marcello lebt getrennt von seiner Frau und sieht seine geliebte Tochter nur an den Wochenenden an denen er ihr etwas Besonderes bieten möchte. Für Alida erhofft er sich eine bessere Zukunft und hierfür benötigt er Geld, welches er sich durch kleine Drogendeals und auch als Fahrer bei einem Wohnungseinbruch quasi nebengewerblich hinzuverdient. Marcello’s einziger Kunde bei seinen Drogengeschäften ist der gewalttätige und skrupellose Ex-Boxer Simone (Edoardo Pesce), welcher für ihn auch den Beschützer macht, solange er mit kleinen Kokain- Päckchen versorgt wird. Den Zuverdienst verprasst der gutherzige Marcello jedoch nicht eigennützig, sondern investiert die wenigen Euros in kleine Tauchausflüge, gemeinsam mit seiner Tochter, in welchen er mit ihr Hand in Hand gleichsam abtaucht aus der Trostlosigkeit des Alltags in die phantastische Wunderwelt der Korallen und ihren Meeresbewohnern der Adriatischen Küste. Damit ermöglicht er ihr zumindest für eine kurze Zeit einen Blick auf das Schöne in der Welt. Jedem Tauchgang erfolgt jedoch unweigerlich das Auftauchen an die Oberfläche und somit das erneute Eintauchen in die erbarmungslose Welt des (Über)Lebenskampfes in dieser zementierten Welt der uneingelösten Versprechen auf Wohlstand und sozialen Aufstieg. Dieses fragile Gleichgewicht des sich Durchwurstelns und der alltäglichen Improvisation kommt notwendig an ihr Ende, als der zunehmend vom Koks abhängige Simone immer gewalttätiger agiert und somit das prekäre Sozialgefüge der lokalen Männerrunde, welches wohl aus Tagelöhnern und kleinen Gewerbetreibenden zusammengewürfelt ist, zum Kippen zu bringen droht. Doch wer wäre im Stande und überhaupt, wie könnte dieser brandgefährliche Simone, um die sprichwörtliche Ecke gebracht werden? In dieser heiklen Situation nötigt Simone Marcello durch Gewaltandrohung an, einem Durchbruch durch eine hohle Wand in Marcello’s Hundesalon in das angrenzende Gold-Barankauf Geschäft zu beteiligen. Marcello befindet sich in einem kaum lösbaren Dilemma. Der dilettantische Plan wird durchgeführt und der Verdacht einer Mittäterschaft fällt schnell auf auf Marcello selbst. Der mit diesem Fall betraute Polizei-Kommissar versucht im Verhör den Beschuldigten Marcello mit einer Haftverschonung im Gegenzug für dessen schriftliche Bezeugung zu ködern, welche Simone als Haupttäter überführt. So steht er vor der zweifelhaften Wahl, seinen eigenen Kopf, zumindest für eine ungewisse Zeit, durch eine Kooperation mit der Polizei zu retten oder dieses Opfer eben nicht zu bringen, um den Preis seines sozialen Selbstauslöschung aus der lokalen Gemeinschaft der Kleingewerbetreibenden und Gelegenheitsarbeiter und zwar als einer der den Dienst an der Gemeinschaft mit der Beseitigung von Simone, wohlgemerkt auf eigenes Risiko, verweigert hat. Eine schier ausweglose Situation für den armen Marcello. Er unterschreibt nicht und verbüßt an Simones statt eine 1-jährige Haftstrafe. Dieser hat Marcello für diesen ,,Freundschaftsdienst“ wohl vorab den Erhalt von 10 000 Euro nach seiner Haftentlassung versprochen. Marcello übersteht die harte Haftzeit, wohl auch auf Grund seiner antrainierten Fähigkeit, mit den schweren Jungs im Knast-Alltag und somit mit ,,bissigen Hunden“ zurechtzukommen. Er zerbricht auch innerlich nicht an dieser Erfahrung und nach seiner Entlassung fordert er von Simone die ihm versprochene Summe und geht dabei, erwartungsgemäß, leer aus. Die Dynamik der Beziehung dieser beiden so unterschiedlichen Charaktere setzt ab dann eine unheilvolle und tragische Spirale der Gewalt in Gang, welche in die Ermordung Simones durch den körperlich unterlegenen, jedoch mitunter auch durch seine Erfahrungen im Knast, selbstbewusster und zielstrebiger gewordenen Marcello, endet. Gleich dem listenreichen Odysseus gelingt es Ihm, den körperlich weit überlegenen, jedoch tumben und von seiner Drogengier getriebenen Simone bei einem fingierten Drogen-Deal unter einem plausiblen Vorwand in einen für große Hunde vorgesehen Stahlkäfig zu locken und diesen zu verschließen. Simone gelingt es zwar sich mit seinen übermenschlichen Kräften noch einmal aus seiner misslichen Lage aus dem Käfig zu befreien, wobei es zum Kampf kommt und im Handgemenge von Marcello mit einer Eisenstange am Kopf schwer verletzt und mittels eines hydraulischen Kettenzuges stranguliert wird. Die Entsorgung der Leiche versucht er nun durch deren Verbrennen auf freiem Feld zu bewerkstelligen und fast scheint es, dass er hiermit nicht nur die Spuren seiner Tat verwischen will, sondern zur Besänftigung der über seine Tat erzürnten Götter ein Brandopfer bringen möchte. Noch während der Corpus Delicti brennt, drängen sich Marcello die Konsequenzen seiner Tat bohrend ins Bewusstsein. Mit dem Tod von Simone verliert er nicht nur seinen einzigen, wenn auch zweifelhaften Freund sondern auch seinen einzigen Drogen-Kunden. Kurzerhand entschließt er sich, das Feuer mit Lumpen zu ersticken um sein einziges Faustpfand quasi als nachholenden Treuebeweiss für seine soziale Reintegration nicht zu verlieren. Er schleppt die angekogelte Leiche mit letzten Kräften zum angestammten Ort des sozialen Miteinanders, einem Fußballplatz, auf welchem er zu früheren Zeiten beim gemeinsamen Spiel seinen Platz In der Mannschaft hatte und soziale Anerkennung erfahren durfte - doch der Platz ist leer. Es ist zu spät! Indem Marcello heldenhaft den das soziale Gefüge bedrohenden Löwen in Gestalt des Simone erlegt hat, ist er er auch zum Mörder geworden. Eine Wiederaufnahme in die Gemeinschaft bleibt ihm verwehrt. Mit diesem Bild des erschöpften und ratlosen Marcello in der Totale dieser unwirtlichen Stadt, endet auch die Geschichte und dieser Film. Regisseur Garrone wählt als kleinstädtische Kulisse seines Films ein namenloses, heruntergekommenes Kaff in Küstennähe, in welchem die Hoffnungslosigkeit und menschenfeindliche Perspektivlosigkeit ihrer Bewohner wohl ihren baulichen und stadtplanerischen Niederschlag gefunden haben. Die heruntergekommenen Behausungen und Geschäftsläden der hier lebenden Menschen erinnern in ihrer Trostlosigkeit an Überbleibsel bankrott gegangener Industriebetriebe. Bella Italia findet woanders statt. Die das italienische Flair suchenden Touristenströme sucht man hier vergeblich. Wer reich ist, hat solche Orte nie kennengelernt und wer arm ist, hat solche Orte nie verlassen können. Armut wird vererbt. Die herrschenden Ideologien des erfolgreichen Aufstiegs, der Prosperität und der sozialen Mobilität werden hier ad absurdum geführt. Marcello hat ein weiches Herz und versucht auch im harten Alltag seine Menschlichkeit zu bewahren. Er behandelt die ihm anvertrauten Hunde respektvoll und versteht es, mit viel Geduld, weißen Pudeln mit Kamm und Spray ein Krönchen zu drapieren. Er musste auch lernen, dass man in dieser erbarmungslosen Welt des Geldes Kompromisse machen muss, wenn man nicht unter die sprichwörtlichen Räder kommen möchte, auch wenn diese den eigenen moralischen Prinzipien widersprechen. Aber was heißt schon Moral! Etwas solch luxuriöses können sich ja bekanntlich nur die Reichen leisten. Marcello möchte sich mit seinen kleinen Geschäftchen nebenher keine goldene Nase verdienen, sondern seiner Tochter Alida etwas Besonderes bieten, vielleicht sogar eine bessere Zukunft, hier jedoch zunächst eine sonntägliche Ausnahme vom Alltag.Trotz Scheidung von seiner Frau möchte er ein guter und liebender Vater sein. Sein sprichwörtlicher Ritt auf der Rasierklinge lässt ihn mit der materiellen Gewalt seiner Welt in Konflikt geraten und manövriert ihn in Problemlagen, in welchen es für ihn rasch weder ein Vor noch ein Zurück mehr gibt. Er handelt pragmatisch, wohl wissend, das er der Gewalt dieser Welt und ihren Spielregeln hoffnungslos unterlegen ist. Die Dynamik der Verstrickungen lässt ihn schlussendlich zum Mörder werden, was den sozialen Tod durch Ausschluss unweigerlich mit sich zieht. Keiner der Protagonisten des Films verlässt am Ende das Spielfeld unbeschädigt. Soll oder kann man das Handeln von Marcello und aller anderen Akteure in diesem Film vorrangig entlang einem Massstab von Moralität messen und beurteilen? Regisseur Garrone versucht uns mit seinem Film eine Antwort zu geben, indem er das Entstehen persönlicher Gewaltverstrickungen nicht ausschließlich in seiner menschlichen und sozialen Tragik, sondern als Ergebnis sozialer Deklassierung zu verstehen hilft und hiermit als ein nur politisch zu lösendes Problem zur Diskussion stellt.