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    Hillbilly-Elegie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Hillbilly-Elegie

    Netflix erklärt nicht Donald Trump

    Von Björn Becher

    Nachdem „Hillbilly-Elegie: Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise“ 2016 erschien, brauchte es nur wenige Monate bis zum viel diskutierten Bestseller. Denn dann kamen die Präsidentschaftswahlen mit dem Sieg von Donald Trump und die autobiografische Geschichte galt plötzlich als „Erklärung“, als Darstellung jener „Abgehängten“ im sogenannten Rust Belt, die mit ihren Stimmen dem Anti-Politiker zum Sieg verhalfen. Vier Jahre später erscheint die Verfilmung des Buches ebenfalls rund um die Präsidentschaftswahl. Während aktuell vor allem darüber berichtet wird, dass Trump seine Wahlniederlage nicht anerkennt, sondern mit lauten Behauptungen Verschwörungsmythen streut, geht ein wenig unter, dass ihn sogar noch mehr Menschen gewählt haben als vor vier Jahren…  

    Auch in Ohio gewann Trump erneut die Stimmen der sogenannten „Abgehängten“, obwohl er in vier Jahren die ihnen gegenüber gegebenen Versprechen weder umgesetzt noch gar erfüllt hätte. Über Ron HowardsHillbilly-Elegie“ wird aber ganz sicher nicht in diesem Zusammenhang diskutiert werden. Niemand wird das Netflix-Drama als irgendeine Erklärung für die ungebrochene Popularität des Republikaners heranziehen. Das liegt nicht nur daran, dass Howard konsequent jeden Anflug von Politik aus seiner Adaption verbannt hat, sondern vor allem daran, wie unglaublich langweilig und platt sein vorab als hochkarätige Oscar-Kost gehandeltes Drama ist.  

    Glenn Close und Amy Adams stehen bereits im Oscar-Fokus.

    Obwohl J.D. Vance (Gabriel Basso) aus ärmlichen Verhältnissen stammt, studiert er gegen jede Wahrscheinlichkeit an der Elite-Uni Yale Jura. Das teure Studium kann er sich kaum leisten, obwohl er gleich drei Nebenjobs hat. Da erreicht ihn ein Telefonanruf, mit dem ihn seine Vergangenheit einholt. Seine Schwester Lindsay (Haley Bennett) informiert ihn, dass ihre Mutter Bev (Amy Adams) nach einer Heroin-Überdosis im Krankenhaus liegt. Kurz entschlossen setzt sich J.D. ins Auto und macht sich auf in die Heimat, die er glaubte, hinter sich gelassen zu haben.  

    Im ländlichen Ohio, wo es nach dem Niedergang der örtlichen Fabrik kaum noch Arbeitsplätze gibt, trifft er gerade ein, als seine Mutter aus der Klinik fliegen soll, weil sie keine Krankenversicherung hat. Verzweifelt müssen J.D. und Lindsay eine alternative Unterbringung finden. Während sich der junge Mann immer wieder an seine Jugend (hier nun: Owen Asztalos) und an seine Großmutter, seine Mamaw (Glenn Close), erinnert, läuft ihm noch aus einem anderen Grund die Zeit davon: Spätestens am Abend muss er die 10-Stunden-Fahrt zurück antreten, denn am nächsten Tag hat er den letzten Termin für ein Vorstellungsgespräch bei einem der begehrten Sommer-Kanzlei-Jobs, den er finanziell braucht, um sein Studium fortsetzen zu können...  

    Der Terminator haut Politisches weg

    Konsequent haben „Apollo 13“-Regisseur Ron Howard und Drehbuchautorin Vanessa Taylor („Game Of Thrones“, „Shape Of Water“) jeden Anflug von politischer Diskussion aus „Hillbilly-Elegie“ gestrichen. Das geht sogar so weit, dass es fast schon direkt kommentiert wird. Als das einzige Mal eine Prise Politik erwähnt wird, weil der kleine J.D. im TV einen Bericht über die Lewinsky-Affäre schauen will, schmettert das seine Mamaw ab: Es läuft lieber weiter ihr geliebter „Terminator 2“ in Dauerschleife.  

    Das ist zwar weniger interessant, kann man aber so machen, weil man sicher auch ein möglichst großes Publikum mitnehmen und nicht ähnliche Kontroversen wie die Vorlage erzeugen wollte. Die rief schließlich sogar heftigen Widerstand, allen voran von eher liberaler Seite, hervor. Wer dies alles zu umschiffen versucht, muss aber das Familiendrama, welches stattdessen den kompletten Fokus einnimmt, wenigstens gut umsetzen. Und das ist ganz und gar nicht der Fall.

    Die Familie steht im Vordergrund.

    Mit dem Vorschlaghammer geht Ron Howard an jede Szene ran, um uns einzubläuen, wie sich alles darstellt. Das zeigt sich schon bei einem Yale-Dinner, an dem J.D. zu Beginn teilnimmt. Da ist der Außenseiter natürlich nicht nur überfordert, weil es plötzlich zwei mögliche Weißweine zur Auswahl gibt und muss seine Freundin Usha (Freida Pinto) anrufen, weil so viele Gabeln auf dem Tisch liegen, sondern es herrscht auch gleich noch betretenes Schweigen am Tisch, als er seine Herkunft offenbart.  

    Doch selbst das reicht nicht. Nachdem er das Eis mit einer Anekdote bricht, dass seine Vorfahren am Start der berühmten „Hatfield & McCoys“-Fehde beteiligt waren (die Mini-Serie mit Kevin Costner darüber hat natürlich eine andere Dinner-Gästin gesehen), eskaliert das Gespräch doch noch: J.D. wird von oben herab behandelt und wehrt sich. Die Szene endet (wie übrigens sehr viele Sequenzen in diesem Film) damit, dass eine Figur laut wird.

    Die Rückblenden-Struktur killt Emotionales

    Selbst der (im Gegensatz zur chronologisch erzählten Vorlage) verschachtelte Aufbau ist unnötig plump. Da fragt Lindsay ihren Bruder beim Versuch der Einlieferung der Mutter in eine Entzugsklinik, ob er sich daran erinnert, wie es damals war, als dies das erste Mal geschehen ist. Schwenken auf das Nachdenken, sich Erinnern ausdrückende Gesicht von Schauspieler Gabriel Basso und Schnitt zurück auf die dazu genau passende Rückblende in die Vergangenheit. Deren Erzählung nimmt im Verlauf des Films übrigens immer größeren Raum ein.  

    Immer wieder zerstört die Struktur sogar Emotionen, weil es Howard und Taylor mit der passenden Zuordnung übertreiben. Das geht sogar so weit, dass eine Konfrontation mit der Polizei bei der Bev verhaftet zu werden droht, erst als Rückblende von J.D. beginnt, dann aber auf dem Höhepunkt der Konfrontation abgebrochen wird. Wenn man schon gar nicht mehr dran denkt, dass da was war, wird sie viel später im Film plötzlich als Flashback von Mamaw (die wir selbst innerhalb einer Rückblende von J.D. sehen) zu Ende erzählt. Die Wirkung ist hier längst aber eine rein lehrhafte.

    Mamaw hilft ihrem Enkel.

    Immer wieder schimmert ein erhobener Zeigefinger durch, wie es die Kraft der Familie schaffen kann, Probleme zu lösen. Der Höhepunkt ist eine platte Montage, nachdem der junge J.D. nach diversen erfolglos verhallenden Ansprachen seiner Oma endlich zur Einsicht kommt. Was ist passiert? Er hat beobachtet, wie sie bei der Lieferung der Hilfseinrichtung „Essen auf Rädern“ um mehr bettelt, weil sie sich nun auch ihrem Enkel kümmern muss. Und sieht dann anschließend noch, wie sie das ohnehin schon kleine Essen sorgsam teilt, damit zwei Portionen daraus werden.  

    Da setzt sich der kleine J.D. direkt beeindruckt hin, holt endlich den Taschenrechner raus und macht seine Hausaufgaben ... und schmeißt danach noch allen ablenkenden Scheiß weg, beendet den Umgang mit seinen Loser-Freunden, fängt an, in einem Supermarkt zu jobben und in der Bibliothek zu büffeln. Direkt kommen auch die guten Noten rein. Grundstein für den sozialen Aufstieg gelegt - in 30 Sekunden untermalt mit euphorischer Musik von Hans Zimmer! Wer muss da nur eine Minute an ein besseres Bildungs- oder Gesundheitssystem denken? Das ist dann doch (ungewollt) politisch, die Kraft des American Dream in Reinkultur.

    Die Schauspielleistungen verstecken Menschliches

    So bleiben am Ende die zwei Schauspielerinnen im Zentrum des Films. Amy Adams raucht und schreit viel, Glenn Close raucht noch mehr und wirft mit bissigen Obszönitäten um sich. Mit wilden Haaren, übergroßen T-Shirts und teilweise sogar Prothesen im Gesicht sind beide so verwandelt, dass die Hollywood-Legenden hinter der Rolle zurücktreten sollen. Und im Abspann gibt es dann natürlich noch das Archivmaterial der echten Vorbilder, das unterstreicht, wie verblüffend nah Adams und Close ihnen optisch kommen.  

    Da verwundert es nicht, dass beide für die großen Filmpreise gehandelt werden. Sowohl Close als auch Adams haben immer wieder starke Momente, können einfach mit ihrer Präsenz auch eine schwächere Szene dominieren. Gerade Close hat sogar einige sensationelle Auftritte. Doch Figuren aus Fleisch und Blut erschaffen auch sie am Ende viel zu selten, sie verschwinden hinter den großartig aufspielen Stars. Da ist dann ein Spruch mal lustig, mit dem Mamaw einen kiffenden Jungen in seine Schranken weist, doch mit ihr auch mitzufühlen fällt schwer. Aber irgendwie passt das auch zu dem Netflix-Drama, bei dem immer das Vordergründige und das Direkte alles überlagern, was dahinter noch stecken könnte.  

    Fazit: Ron Howards „Hillbilly-Elegie“ ist das, was gerne als „Oscar-Bait“ bezeichnet wird. Voll auf die renommierten Filmpreise schielend (was für einen Teil des Casts auch in Nominierungen enden könnte), immer mit voller Wucht und Nachdruck mehr einbläuend als erzählt, aber ohne dabei anecken zu wollen – und am Ende doch erschreckend leer.  

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