Ein Hoch auf die Alltäglichkeit
Von Antje WesselsCécilia Rouaud seziert in ihrer mit französischen Stars gespickten Tragikomödie eine Großfamilie, die sich längst auseinandergelebt hat, aber nach einer einschneidenden Veränderung in ihrer Mitte gezwungen ist, sich doch noch einmal zusammenzuraufen. Einen solchen Plot haben wir natürlich schon tausendfach gesehen, aber dank dem erzählerischen Fingerspitzengefühl von Rouaud, die neben der Regie auch selbst für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, erweist sich „Das Familienfoto“ trotz einiger knapp abgehandelter Nebenhandlungsstränge als aufrichtiges Charakterporträt, in dem das Kunststück gelingt, für jede Figur eine gewisse Sympathie zu entwickeln, ohne sich dafür groß beim Publikum anbiedern oder sonstige faule Kompromisse eingehen zu müssen. So singt Rouaud quasi ein Loblied auf unser aller Ecken und Kanten.
Am Tag der Beerdigung ihres Ehemanns äußert die demente Mamie (Claudette Walker) den Wunsch, in einem kleinen Dorf im französischen Hinterland sterben zu wollen, mit dem sie nur die schönsten Erinnerungen an die gemeinsamen Sommerurlaube mit ihren Ekelkindern Gabrielle (Vanessa Paradis), Elsa (Camille Cottin) und Mao (Pierre Deladonchamps) verbindet. Aber obwohl die drei inzwischen erwachsenen Geschwister genauso wie ihr Vater Pierre (Jean-Pierre Bacri) und ihre Mutter Claudine (Chantal Lauby) dem Wunsch der Urgroßmutter gern nachkommen würden, müssen die Familienmitglieder erst einmal ihre eigenen Probleme in den Griff bekommen. Und das geht am besten, wenn man sich als Familie zusammenrauft und nicht länger jeder für sich versucht, sich irgendwie durchzuschlagen...
Claudine in den Armen ihrer Enkelinnen.
Ein unerfüllt bleibender Kinderwunsch, die Angst um das Sorgerecht für den eigenen Sohn, Beziehungsprobleme, Todessehnsüchte und eine unerwartete Schwangerschaft: Das ist nur ein kleiner Teil der Probleme, die Cécilia Rouaud („Je Me Suis Fait Tout Petit“) für ihre Figuren bereithält. Wirft man dann auch noch einen Blick auf die nicht gerade großzügige Laufzeit von „Das Familienfoto“, liegt der Verdacht nahe, dass sich die Filmemacherin für ihre nur 98 (!) Minuten ganz schön viel vorgenommen hat. Solch eine Anhäufung einzelner Probleme geht gerade in Ensembledramen oft auf Kosten der Glaubwürdigkeit, weil schlicht kaum Zeit bleibt, um die einzelnen Konflikte ernsthaft zu verhandeln. Aber weit gefehlt! Zwar widmet sich Rouaud nicht allen Schicksalen gleichermaßen, die Hintergrundgeschichte des depressive Mao hätte zum Beispiel mehr Aufmerksamkeit vertragen und der Sterbewunsch der Großmutter wird im Mittelteil sogar fast vollständig ausgeklammert, aber im Großen und Ganzen funktioniert der Haufen an Problemen als dramaturgischer Motor trotzdem sehr gut.
Der Grund dafür ist zum einen das passionierte, aber dabei trotzdem nicht übertriebene Spiel des hochkarätigen Ensembles: Überzeichnete Gefühlsausbrüche oder hysterische Keifereien sucht man in „Das Familienfoto“ jedenfalls vergebens, selbst wenn gleich mehrere Momente im Film zu einer solchen Gefühlseskalation einladen würden. Zum anderen geht die Filmemacherin auch erzählerisch angenehm zurückhaltend vor: Wenn sich die von Camille Cottin („Wie die Mutter, so die Tochter“) verkörperte Elsa beispielsweise damit auseinandersetzen muss, dass ihr eigener Sohn lieber bei seinem Vater leben möchte, fühlt sie sich zwar vor den Kopf gestoßen und heult sich bei ihren Verwandten aus, akzeptiert letztendlich aber seine Entscheidung. Die große Sorgerechtsnummer bleibt aus.
Langsam wächst die Familie wieder zusammen.
Auch Trennungen oder die Auseinandersetzung mit Depressionen leben hier nie von den ganz großen (und dann meist fast schon zwangsläufig klischeehaften) Gesten. Oft beobachtet die zurückhaltende Kamera von Alexis Kavyrchine („Der Wein und der Wind“) einfach nur die Menschen in der Interaktion miteinander, aus der hier so vieles hervorgeht: Antworten genauso wie Resignation oder die Erkenntnis, dass es für manche Probleme einfach keine Lösung gibt. Die Dialoge wirken dabei so ungekünstelt, dass man sie fast schon für komplett improvisiert halten könnte. Der Verzicht auf Theatralik und Übertreibungen führt zugleich auch dazu, dass einem die Figuren trotz (oder womöglich gerade wegen) ihrer Schwächen schnell ans Herz wachsen, wenn sie sich mit all ihren zu tragenden Päckchen genauso abmühen müssen wie wir Zuschauer in unserem Alltag auch.
Fazit: Eine sympathische, berührende Auseinandersetzung mit den ganz alltäglichen Problemen des Lebens.