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    Everest - Ein Yeti will hoch hinaus
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Everest - Ein Yeti will hoch hinaus

    Ein Film für jedes Alter

    Von Oliver Kube

    2012 wagt das Hollywoodstudio DreamWorks („Shrek“, „Madagascar“) den Sprung nach Shanghai. Mit Unterstützung lokaler Investoren wurde dort Oriental DreamWorks (inzwischen Pearl Studio) mit der Absicht gegründet, Filme primär von und mit einheimischen Talenten zu produzieren. Gesehen hat man davon bisher aber noch wenig. Stattdessen assistierte Oriental DreamWorks dem Mutterkonzern bei Filmen wie „Home - Ein smektakulärer Trip“ oder „Kung Fu Panda 3“, wo der asiatische Ableger erstmals auch die offizielle Co-Produktion eines Animations-Blockbusters übernahm. Ähnlich lief es nun auch bei dem Animations-Abenteuer „Everest - Ein Yeti will hoch hinaus“, dessen Handlung zudem überwiegend in China spielt.

    Seit im Mai 2019 ein erster Trailer veröffentlicht wurde, flog der von „Jagdfieber“-Regisseurin Jill Culton inszenierte Film dann aber mehr oder weniger unter dem Radar. Eine vom Umfang und Aufwand mit anderen Filmen des Studios vergleichbare globale Marketingkampagne blieb bisher aus. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, das Studio glaube selbst nicht an die (finanziellen) Chancen des Films (zumindest außerhalb Chinas). Was wiederum auch damit zu tun haben könnte, dass die vergleichbare Warner-Produktion „Smallfoot - Ein eisigartiges Abenteuer“ im vergangenen Jahr bereits hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Aber wie dem auch sei: Die Zurückhaltung in Sachen Promotion ist bedauerlich, denn „Everest - Ein Yeti will hoch hinaus“ ist ein temporeicher, fantasievoller Familienspaß, der auch visuell eine ganze Menge zu bieten hat.

    Ein bunt zusammengewürfeltes Yeti-Rettungsteam.

    Yi (deutsche Stimme: Nilam Farooq) ist 14 Jahre alt und lebt in Shanghai. Yis Mutter und Oma geben sich viel Mühe mit dem Mädchen, die seit dem Tod ihres Vaters nur noch wirklich zur Ruhe kommt, wenn sie sich in ihr Versteck auf dem Dach zurückzieht. Dort trifft sie eines Tages auf einen aus einem geheimen Versuchslabor ausgebüxten Yeti. Nach dem ersten Schock beschließt Yi, das riesige Fellknäuel, das sie nach seiner Herkunft auf den Namen Everest tauft, wieder in seine Heimat im Himalaya zurückzubringen. Auf der Odyssee einmal quer durch China begleitet sie auch der Nachbarsjunge Jin (Julien Bam) und Yis kleiner Cousin Peng. Allerdings werden die Kinder und ihr Yeti von der Zoologin Dr. Zara und dem reichen Abenteurer Mr. Burnish samt seiner Privatarmee gejagt. Sie waren es auch, die Everest überhaupt erst eingefangen und nach Shanghai geschafft haben …

    In der ersten Szene sehen wir durch die Augen von Everest, wie er aus dem von Dr. Zara geleiteten Knast für seltene Spezies ausbricht und verschreckt durch die Straßen flüchtet – hinter ihm die SUVs und Hubschrauber der sich wie Sturmtruppen gebärdenden Schergen des Labors. Der Versuch, dem Zuschauer die hektisch-verwirrende, vielleicht sogar beängstigend fremde Welt der Menschen aus dem Blickwinkel des vermeintlichen Fabelwesens zu zeigen, gelingt gut und speziell Kinder dürften sich bereits hier mit Everest identifizieren können. Westlichen Kinozuschauern hilft dabei sicher auch, dass wir uns nicht wie sonst üblich in Paris, London oder einer US-Großstadt sofort zurechtfinden, sondern von unleserlichen Schriftzeichen und zumindest ungewöhnlich anmutenden Gebäuden und Pflanzen umgeben sind.

    Musik als verbindende Sprache

    Die nachdenkliche und kluge Yi ist – ebenso wie Everest – ein Einzelgänger. Mit ihr wird auch das etwas ältere Publikum „abgeholt“. Wer selbst kein Teenager mehr ist, dürfte sich zumindest an das Gefühl erinnern, einmal von seiner Umgebung unverstanden dazustehen. Yi drückt ihre Emotionen mit der Geige aus, die sie einst auch eng mit ihrem Vater verband. Mit Hilfe des Instruments beruhigt sie den nach der wilden Flucht angeschlagenen Everest und erfährt, dass er magische Kräfte hat, die ihr auf der gefährlichen Reise noch helfen werden. Da Everest und Yi sich nicht mit Worten verständigen können, wird Musik zu ihrer gemeinsamen Sprache – das Mädchen fiedelt, der Yeti summt und brummt. Für den mal episch-bombastischen, dann wieder ganz intimen Score zeichnet „Aquaman“- und „Wonder Woman“-Komponist Rupert Gregson-Williams verantwortlich. Wobei die leisen Stücke um einiges besser funktionieren als die schon mal arg schwülstig geratenen und kurioserweise leicht keltisch anmutenden „großen Momente“.

    Nachdem die beiden Hauptfiguren so effektiv eingeführt wurden, beginnt auch schon ihr abenteuerlicher Trip. Der Story-Verlauf ist relativ klar – die Protagonisten müssen von A nach B gelangen, was die Gegenspieler zu verhindern versuchen. Das Ganze ist natürlich nicht sonderlich originell und weist einige Parallelen etwa zu „Findet Dorie“ auf. Trotzdem wirkt der Film schon allein aufgrund der Figurenkonstellation eigenständig genug. Dabei machen nicht nur Everest und Yi eine gewaltige Entwicklung durch, sondern auch einige andere Charaktere. Der im selben Haus wie die junge Heldin lebende, zunächst schnöselig-oberflächliche Jin (erstaunlich vielschichtig gesprochen von YouTuber Julien Bam) hilft dem Mädchen erst widerwillig, beginnt dann aber, sie zu verstehen. Die Antagonisten Dr. Zara und Mr. Burnish verändern sich im Laufe der Handlung ebenfalls – und das erfreulicherweise in eine durchaus überraschende und interessante Richtung, die man zu Beginn so wohl eher nicht vermutet hätte. Dazu gesellen sich weitere witzige Charaktere wie Yis kauzige Großmutter oder der von Basketball besessene Peng, die ebenfalls nicht nur bloße Stereotype bleiben.

    Die chinesische Landschaft: schlicht atemberaubend!

    Wer jetzt befürchtet, der Film wäre aufgrund der Trauer um Yis Papa oder der teilweise ziemlich spannenden Flucht für seine Kinder vielleicht zu dramatisch oder aufregend, den können wir beruhigen. Es gibt diverse auflockernde, ausgesprochen niedlich-lustige Segmente wie die Szene, in der Everest auf ungewöhnliche Weise Bekanntschaft mit einer Klimaanlage macht – und eine nette „King Kong“-Referenz wird auch eingestreut. Die Qualität der 3D-Animationen ist erstklassig. Besonders schön anzusehen sind die Momente, in denen die Macher ihrem Publikum gewaltige Panoramen zeigen – egal ob in der Stadt, in der grünen Natur oder den majestätischen, schneebedeckten Gebirgen. Allein deshalb lohnt es sich schon, den Film auf einer größtmöglichen Leinwand zu sehen. Der Detailreichtum ist streckenweise atemberaubend. Die großen Action-Sequenzen sind ebenfalls durchdacht konzipiert und exzellent bebildert. Hier merkt man dem Projekt seine neunjährige Produktionszeit positiv an.

    Fazit: Ein mitreißend erzähltes, visuell starkes, wenn auch handlungstechnisch nicht superoriginelles Animations-Abenteuer mit viel chinesischem Lokalkolorit, das man sich in jedem Alter gut anschauen kann.

    Ach ja: Nach dem rundum zufriedenstellenden, angenehmerweise nicht gleich plump auf ein Sequel abzielenden Finale sollte man im Kinosessel sitzen bleiben. In den Abspann wurde nämlich eine Reihe wirklich gelungener Gags eingebaut.

     

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