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    The Strange Ones
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Strange Ones
    Von Christoph Petersen

    Zwei Brüder erreichen nach einer Autopanne den Pool eines gästelosen Highway-Hotels. Als der Ältere etwas zu trinken aus einem Automaten holt, erzählt der Jüngere der einzigen Angestellten, dass das gar nicht sein Bruder sei, sondern ein Vergewaltiger, der ihn entführt habe. Bis zum Ende bleibt offen, ob der Teenager die Wahrheit sagt oder sich nur einen morbiden Scherz erlaubt… Nachdem die Co-Regisseure Lauren Wolkstein und Christopher Radcliff diese verstörende Vignette bereits 2011 in ihrem preisgekrönten Kurzfilm „The Strange Ones“ erzählt haben, ist sie in nur leicht abgewandelter Form nun auch ein Teil ihres ersten Langfilms, der denselben Titel wie der zugrundeliegende 14-Minüter trägt. Beim nachträglichen Aufblasen eines Kurzfilmkonzepts auf Spielfilmlänge können sich natürlich leicht Längen einschleichen – aber bei dem Mystery-Thriller „The Strange Ones“ ist das zum Glück kaum der Fall. Trotz der mehr als fünf Mal so langen Spielzeit ist all das, was im Langfilm jetzt vor und nach der Pool-Sequenz passiert, kaum weniger rätselhaft, atmosphärisch und ambivalent.

    Ein junger Mann namens Nick (Alex Pettyfer, „Magic Mike“) und der etwa halb so alte Sam (eine echte Entdeckung: James Freedson-Jackson), der sich Fremden gegenüber gern als Jeremiah vorstellt, sind gemeinsam in einem Auto irgendwo im amerikanischen Niemandsland unterwegs. Auf Nachfrage erzählen beide, sie seien Brüder, aber es deutet schnell eine Menge darauf hin, dass das nicht stimmt. Beim Essen in einem Diner erklärt Nick seinem jüngeren Gegenüber, dass nichts von dem, was vor ihrer Reise passiert ist, wahr sein muss, wenn Sam nicht will, dass es wahr ist – und wie zum Beweis lässt er plötzlich einen Becher voll Kaffee verschwinden. Nachdem Sam mit seinen Vergewaltiger-Vorwürfen dafür gesorgt hat, dass sie nicht länger in dem Motel bleiben können, wo Nick beim Flirten mit der einzigen Angestellten (Emily Althaus) ein kostenloses Zimmer bis zum Start der nächsten Saison herausgeschlagen hat, geht die Reise weiter zu einer Hütte im Wald, wo plötzlich aus dem Nirgendwo das Feuer auf Nick eröffnet wird…

    „The Strange Ones“ entpuppt sich gleich in den ersten Szenen als undurchsichtiges Enigma: Mal scheint Nick die Situation zu dominieren, dann übernimmt doch wieder Sam als möglicher Manipulator die Oberhand. Lügen alle beide? Oder sagt zumindest einer die Wahrheit? Ist das Verschwinden des Kaffeebechers nur ein Zaubertrick? Oder gibt es in der filmischen Realität womöglich übersinnliche Elemente? Der Zuschauer erkennt schnell, dass er den Bildern, Worten und Blicken nicht trauen kann. Hier gilt es, wirklich alles und jeden zu hinterfragen. Die zurückgenommene Inszenierung und der streng dosierte Soundtrackeinsatz, die im Zusammenspiel nur sehr gedämpfte Emotionen zulassen, tun ihr Übriges dazu, das wachsende Unbehagen des Zuschauers zu befeuern. Irgendwas Dunkles lauert da in dieser (brüderlichen) Beziehung, es lässt sich eben nur nicht richtig greifen. Angesichts der vielen eingestreuten Seltsamkeiten, könnte man als Zuschauer auch das frustrierende Gefühl bekommen, dass die Filmemacher einen einfach nur an der Nase herumführen wollen. Aber bei „The Strange Ones“ fügen sich die atmosphärischen Vignetten zumindest in der ersten Stunde zu einem stimmigen, zunehmend beklemmenden Ganzen.

    Im Gegensatz zum Kurzfilm wird in der Spielfilmversion nun aufgelöst, was es mit den mutmaßlichen Brüdern und ihrer mysteriösen Autoreise auf sich hat. Ein wenig enttäuschend ist das allerdings schon, denn der bloße Plot ist jetzt nicht gerade der Originellste – die meisten möglichen Szenarien, die man sich als Betrachter nach dem finalen Blick des Kurzfilm-Sams ausgemalt hat, wären gefühlt spannender gewesen. Allerdings lassen die Filmemacher zugleich auch einige zentrale Punkte weiterhin so sehr in der Schwebe und gehen bei der Zeichnung zumindest eines der beiden Protagonisten derart konsequent-radikal vor, dass „The Strange Ones“ zum Ende hin doch wieder ähnlich abgründige und provokante Qualitäten entwickelt wie das offene Ende der Kurzfilmvorlage.

    Fazit: Ein stimmungsvolles, stark gespieltes Rätsel-Roadmovie, das sich trotz seiner vermeintlich simplen Erzählung zu einem ebenso ambivalenten wie provokanten Psychogramm weiterentwickelt.

    Wir haben „The Strange Ones“ auf dem Fantasy Filmfest 2017 gesehen, wo er im offiziellen Programm gezeigt wird.

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