„Stürzen zwei schlechte Jazz-Musiker aus einem Flugzeug. Wie kommen sie unten auf?“ Dieser Witz – staubtrocken, kurz vorm Krisenpunkt des Films von Josef Haders Arthur vorgetragen –präsentiert die Tragikomödie „Arthur & Claire“ in der Nussschale: Zwei Personen, die partout nicht im Takt schlagen, steuern gemeinsam auf ihr scheinbar sicheres Ableben zu. Die genaue Ursache für ihren Fall bleibt (zunächst) im Dunkeln – aber ihr trauriges Schicksal scheint besiegelt. Trotzdem steht das gesamte Szenario auf einem schwarzen Humorgerüst. Und: Bei der Pointe des Witzes (die wir hier absichtlich nicht verraten) spielt das Timing eine große Rolle – das Josef Hader („Wilde Maus“) als Arthur nicht hat, wie er in der Szene lakonisch nachschiebt, als Drehbuchautor im Gespann mit Regisseur Miguel Alexandre dafür nie vermissen lässt. So zünden in „Arthur & Claire“ nicht nur vermeintliche Sparwitze, sondern es gelingt auch das ständige Pendeln zwischen ernsten und lustigen Passagen.
Arthur Schlesinger (Josef Hader) möchte nicht warten, bis der Krebs ihn dahinrafft. Ein Freund (Rainer Bock) verschafft ihm einen Termin zur Sterbehilfe in Amsterdam. Mit dem Leben hat Arthur längst abgeschlossen, nur einen Abschiedsbrief an seinen Sohn möchte er während der letzten Nacht im Hotel noch schreiben. Dabei stört ihn Claire (Hannah Hoekstra), die im Nebenzimmer zum Suizidversuch ihre Death Metal-Musik höllisch laut aufdreht. Als der Kranke sie nach der Vereitelung ihres Abendplans nicht alleine lassen will, zieht sie widerstrebend mit ihm durch die niederländische Nacht.
Hader und Alexandre erarbeiteten ihr Drehbuch auf der Basis des gleichnamigen Bühnenstücks von Stefan Vögel. Auch sie konzentrieren sich in „Arthur & Claire“ stark auf das titelgebende Zweigespann. Arthur säuft zum Auftakt des Films seinen Flugzeug-Sekt am liebsten direkt aus der Flasche, maßregelt einen kleinen Jungen, indem er ihm einen unschönen Tod prophezeit, und ringt höchstens einer Prostituierten mal ein Lächeln ab. Hader spielt den Lebensmüden mit gewohnt dreister, schwarzhumoriger Schnauze, Der Grund dafür ist hier allerdings weniger Miesepetrig- als vielmehr Gleichgültigkeit. Arthur hat sich damit abgefunden, nur noch einen Tag zu leben, und so hat er eben auch gar nichts davon, nett zu sein oder auszurasten. Selbst im genervten Konfrontationsmodus bleibt er merkwürdig ruhig. Nur regelmäßige Hustenanfälle bringen ihn aus der Fassung und der Zuschauer beginnt, seine Entscheidung nachzuvollziehen.
Claire ist von Arthurs Kontrolle weit entfernt. Statt einer Klinik wählt sie als Ort zum Sterben ihr unordentliches Hotelzimmer. Das Glas mit der Überdosis Schlaftabletten kippt sie hektisch um, im Badezimmer läuft das Wasser über. Die 2017 bei der Berlinale als Shooting Star ausgezeichnete Hannah Hoekstra („The Canal“) bildet den Gegenpol zu Hader: Sie agiert impulsiv und destruktiv. Claires geplantes Scheiden aus dem Leben gleicht so mehr einer stürmischen Flucht als einem Abschluss. Doch Hoekstras Performance entnimmt man auch, dass Claire Wärme und Mitgefühl noch nicht entsagt hat, sie versteht es, zu leben und stellt schließlich genau deswegen die perfekte Ergänzung zu Arthur dar.
Es ist großartig, wie sich die Dynamik zwischen den beiden Protagonisten im Handlungsverlauf wandelt. Stoßen sie sich anfangs noch regelrecht ab (prototypisch dafür eine Szene im Restaurant, in der Claire sofort den Maître (Florence Kasumba) um den Finger wickelt, Arthur dagegen Jacke und Schal anbehält und unglücklich am von ihm so getauften „Hundetisch“ hockt), reichen später Blicke aus, um Einverständnis zu zeigen und zu kommunizieren. Regisseur Alexandre passt den Erzählfluss des Films entsprechend an: Am frühen Abend schlägt ein abrupter Wechsel Arthurs von unverbindlichem Smalltalk hin zum naturgemäß todernsten Suizid-Thema Claire noch beinahe in die Flucht, doch bald laufen ähnliche Gespräche wesentlich runder ab. Das Band zwischen Arthur und Claire wird immer fester, während Alexandre fast spielerisch von nachdenklichen zu immer komischeren Dialogen überleitet und dabei seine Figuren ihre pessimistische Weltsicht gegenseitig infrage stellen lässt. Der unaufgeregte Inszenierungsstil und die starke Präsenz des Humors innerhalb eines eigentlich zutiefst deprimierenden Szenarios geben dem Film eine faszinierende Atmosphäre, die ein wenig an „Lost In Translation“ erinnert, mit dem „Arthur und Claire“ auch die vielen Kalauer über Verständnisprobleme und Sprachbarrieren gemeinsam hat. Nur die abschließende überdeutliche Erklärung für Claires Selbstmordversuch ist hier etwas enttäuschend, hier werden Vielschichtigkeit und Geheimnis einer schalen Eindeutigkeit geopfert. Aber das schmälert den starken Gesamteindruck nur minimal.
Fazit: Josef Hader und Hannah Hoekstra begeistern in den Hauptrollen eines in die Grachtenlandschaft Amsterdams verlegten Kammerspiels mit genau richtig dosiertem Trockenhumor. „Arthur & Claire“ ist eine feinfühlig inszenierte, intelligente und scharfzüngige Tragikomödie.