Mein Konto
    Waiting For The Barbarians
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Waiting For The Barbarians

    So aktuell, dass es weh tut

    Von Christoph Petersen

    Mit seinem 1980 veröffentlichten „Waiting for the Barbarians“ hat der süd-afrikanische Autor J. M. Coetzee eine zeitlose Parabel über die Natur des Menschen geschrieben. Inzwischen zählt der Roman zu den herausragenden Werken des 20. Jahrhunderts und ist einer der hauptsächlichen Gründe, warum Coetzee 2003 mit dem Nobelpreis in Literatur ausgezeichnet wurde. Aber wenn man sich nun die Verfilmung des kolumbianischen Regisseurs Ciro Guerra („Der Schamane und die Schlange“) anschaut, dann erkennt man die Zeitlosigkeit kaum noch, so brandaktuell fühlt sich der Stoff an. Als hätte der auch selbst für das Drehbuch verantwortliche Coetzee ihn nicht schon vor fast 40 Jahren, sondern genau für diesen Moment, in dem ständig irgendjemand irgendwelche Invasionen herbeifabuliert und Kinder ohne Seife in Käfigen gehalten werden, geschrieben. Ein gespenstisches Seherlebnis mit einem gewohnt starken Mark Rylance sowie erwartbar exzentrischen Performances der Gaststars Johnny Depp und Robert Pattinson.

    Mark Rylance spielt einen namenlosen Magistraten, den höchsten Vertreter des Reiches in einer kleinen Grenzstadt in der Wüste. Mit den Nomaden, die vor den Toren der Stadt in der Wüste leben, gibt es kaum Probleme – und wenn doch, sind die schnell wieder ausgeräumt. Aber mit der Ankunft von Oberst Joll (Johnny Depp) aus der Hauptstadt ändert sich alles. Der Geheimpolizist lässt einen der sogenannten „Barbaren“ so lange foltern, bis er schließlich „gesteht“, dass die Nomaden sich bewaffnen und einen Sturm auf das Reich planen. Von da an machen Joll und seine Männer Jagd auf die Nomaden in der Wüste, während der zurückgebliebene Magistrat zunehmend an der imperialistischen Idee zu zweifeln und eine junge Nomadin (Gana Bayarsaikhan), der beide Knöchel gebrochen und die Augen mit einer glühenden Gabel verbrannt wurden, aufzupäppeln beginnt …

    Johnny Depp und seine Sonnenbrille sorgen für grausame Überwerfungen an der Grenze des Reiches.

    Weder im Buch noch in der Verfilmung besteht der geringste Zweifel daran, wer hier wirklich die titelgebenden „Barbaren“ sind. Nach den ersten Folterungen erklärt der Magistrat einem seiner Soldaten, dass jede Generation eine „solche Episode von Hysterie“ habe, wenn „zu viel Leichtigkeit“ herrschen würde. Im Film werden immer wieder solche schlauen Dinge gesagt – aber so richtig sie auch sind, auf der Leinwand haben diese weisen Sätze im Gegensatz zur Vorlage trotzdem oft auch etwas trocken Belehrendes an sich. Dass einen „Waiting for the Barbarians“ mit seiner zentralen Parabel von den Mächtigen, die sich selbst ihren Feind schaffen, um ihre Macht (und ihren Sadismus) auch ausüben zu können, trotzdem immer wieder tief in die Magengrube trifft, liegt vor allem an den mehr als auf der Hand liegenden Parallelen zu den aktuellen Verschiebungen in der realen Welt. Dabei wurde nichts geändert, nur um etwas über den heutigen Stand der Dinge auszusagen. Es ist alles schon da, niedergeschrieben vor vier Jahrzehnten.

    Noch stärker und deutlich subtiler ist hingegen die Kritik am Magistraten selbst. Wer nicht gut aufpasst, könnte sogar übersehen, dass „Waiting for the Barbarians“ genauso scharf mit seinem naiven Idealismus wie den sadistischen Untaten der Machthaber zu Gericht geht. Das hat auch mit der einnehmenden Performance von Oscargewinner Mark Rylance (ausgezeichnet als Bester Nebendarsteller für „Bridge Of Spies“) zu tun: Natürlich steht man als Zuschauer auf seiner Seite, schließlich ist er das gemäßigte, auf Versöhnung pochende Licht inmitten der unmenschlichen Hasstreiber. Aber mit der Zeit bekommt auch seine Rolle immer mehr feine Brüche, die Rylance mit der für ihn typischen Zurückgenommenheit präzise herausarbeitet. Oberst Joll und seine noch sadistischere rechte Hand Mendel (Robert Pattinson) ziehen beim Schauen die Wut des Publikums auf sich. Aber es ist der Magistrat, über dessen Rolle sich nach dem Rollen des Abspanns noch am spannendsten diskutieren lässt.

    Johnny Depp im Grindelwald-Modus

    Angemessen wenig subtil sind hingegen die Auftritte von Johnny Depp mit extravaganter historischer Sonnenbrille und einer „Grindelwalds Verbrechen“-Gedächtniskutsche sowie Bald-Batman Robert Pattinson („Der Leuchtturm“). Speziell Pattinsons Mendel ist dabei jederzeit das nackte Grauen anzusehen, sich irgendwann einmal mit den eigenen Gräueltaten auseinandersetzen zu müssen, weshalb er nur noch grausamer zur Sache geht. Ganz schön starker Toback für die wunderschöne Wüstenwelt, die Ciro Guerra nach seinem Drogen-Thriller-Drama „Birds Of Passage“ auch diesmal wieder atemberaubend in Szene zu setzen versteht. Tatsächlich spektakuläre Szenen gibt es abseits von einem Sandsturm allerdings nur wenige. Es gilt das gesprochene Wort – und die Moral von der Geschicht‘.

    Fazit: Eigentlich muss man gar nicht viel mehr tun, als den Roman möglichst werkgetreu auf die Leinwand zu bringen, auch nach fast 40 Jahren ist bei dem noch immer brandaktuellen Stoff keinerlei Update nötig – und genau das hat Ciro Guerra mit „Waiting for the Barbarians“ auch getan. Nicht mehr und nicht weniger.

    Wir haben „Waiting for the Barbarians“ auf dem Filmfestival in Venedig gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top