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    Voll verschleiert
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Voll verschleiert
    Von Christoph Petersen

    Der überragende Erfolg von „Monsieur Claude und seine Töchter“ an den Kinokassen hat in Frankreich einen ganzen Rattenschwanz an Komödien nach sich gezogen, in denen mit Vorurteilen gegenüber Migranten gespielt wird. Allerdings nahm die Qualität der Filme schnell ab, vor allem weil die gängigen Ressentiments unter dem Deckmantel der Satire zunehmend nur noch platt bedient statt intelligent gebrochen wurden – mit „Hereinspaziert!“ als traurigem Tiefpunkt. Zumindest in dieser Hinsicht ist Sou Abadis „Voll verschleiert“ über einen Studenten, der sich mithilfe eines Tschadors als Muslima verkleidet, um weiterhin seine Freundin treffen zu können, eine erfreuliche Ausnahme: Die iranischstämmige Regisseurin, die hier nach ihrer Doku „SOS Teheran“ ihr Spielfilmdebüt gibt, präsentiert zwar auch ein paar Schweinefleischpointen (allerdings solche, über die man auch als Nicht-AfD-Wähler gerne lachen darf), gräbt darüber hinaus aber auch mal tiefer, wenn es darum geht, die radikalen Auswüchse des Islams angemessen durch den Kakao zu ziehen. Nach einem mutigen Auftakt werden dann aber in der zweiten Hälfte irgendwann doch bloß noch die üblichen Genremechanismen der Travestie-Komödie abgespult – das obligatorische RomCom-Finale an einem Flughafen inklusive.

    Leila (Camélia Jordana) ist in einem liberalen muslimischen Haushalt aufgewachsen – sie studiert erfolgreich Politik und plant gerade mit ihrem Freund Armand (Félix Moati) ein Botschaftspraktikum bei der UNO in New York. Aber als ihr älterer Bruder Mahmoud (William Lebghil) aus dem Jemen zurückgekehrt, wo er nach dem Tod der Eltern hingereist ist, um dort eine Zeitlang in einem Hotel zu arbeiten, erkennt Leila ihn kaum noch wieder: Mahmoud ist inzwischen ein radikaler Salafist, der sich zum „Chef im Haushalt“ erklärt und seiner Schwestern den Umgang mit Männern konsequent verbietet. Um nach einer ersten schmerzhaften Begegnung mit Mahmoud überhaupt noch mit seiner Freundin sprechen zu können, verkleidet sich Armand deshalb als die vollverschleierte Scheherazade. Allerdings hat der Plan einen Haken: Mahmoud verliebt sich Hals über Kopf in die mysteriöse Muslima…

    Als der inzwischen Bart, Kaftan und Häkelmütze tragende Mahmoud von seiner Radikalisierung im Nahen Osten nach Frankreich zurückkehrt, hängt er erstmal einen Seidenteppich mit dem Konterfei des Muslimbruderschaft-Gründers Hasan al-Bannā an die Wand – seinem jüngeren Bruder droht er mit Islamunterricht im Jemen und eine kurze Begegnung mit Armand endet abrupt mit Gewalt. Zum Lachen ist das erst einmal nicht – und gerade deshalb fragt man sich gespannt, wie die Regisseurin da jetzt bloß die Kurve hin zu einer klassisch-boulevardesken Travestie-Komödie kriegen will. Die Antwort lautet leider: Indem sie schummelt! Sobald sich Mahmoud in Scheherazade verguckt, fällt von einem Moment auf den nächsten (fast) alles Bedrohliche von der Figur ab (auch wenn Mahmoud seine Schwester weiterhin einsperrt, schraubt William Lebghil die Intensität seiner Performance gleich mehrere Stufen herunter). Das ist nicht nur schade, weil dieser Tonwechsel dem Film etwas von seinem religionskritischen Biss nimmt, sondern vor allem auch, weil die Pointen wohl noch lauter gezündet hätten, wenn sie sich gegen einen tatsächlichen Fanatiker und nicht nur eine weichgespülte Karikatur richten würden.

    Wenn Armand in seiner Vollverschleierung das Sprinten lernt, sich mit Hilfe von „Koran für Dummies“ die grundlegenden Regeln des Islam draufschafft oder mit den Ordnungshütern arrangiert (das Burka-Verbot in Frankreich gilt schließlich auch für Männer), ist das alles recht mild-harmloser Humor mit einigen lustigen Slapstick-Einlagen. Für die etwas ambitionierteren Pointen sind dagegen vor allem Armands Eltern zuständig: eine überzeugte Frauenrechtlerin (Anne Alvaro) und ein ebenso überzeugter Kommunist (Predrag 'Miki' Manojlovic), die gemeinsam schon vor einigen Jahrzehnten aus ihrer iranischen Heimat geflohen sind. Es sind einfach nette subtile Beobachtungen, wenn die beiden mit dem Verstellen einzelner Einrichtungsgegenstände ihre eigene Agenda innerhalb der Beziehung ein wenig mehr in den Vordergrund zu rücken versuchen – und sie sorgen dann auch für den besten Schweinefleischgag des Films: Denn als die Eltern im Zimmer ihres Sohnes dessen Islambücher entdecken, bricht für die Atheisten eine Welt zusammen – und so wird beim nächsten gemeinsamen Abendessen als Test richtig schön uriges Eisbein mit Sauerkraut serviert.

    Fazit: „Tootsie“ im Tschador – „Voll verschleiert“ beginnt vielversprechend bissig, wird dann aber immer mehr zu einem harmlosen, wenn auch durchweg kurzweiligen Travestie-Lustspiel.

    Wir haben „Voll verschleiert“ beim Filmfest Hamburg 2017 gesehen, wo er in der Sektion „Voilà!“ gezeigt wurde.

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