"Jugend ohne Gott" von Alain Gsponer war überraschend gut. Überraschend deswegen, weil die Romanvorlage von Ödön von Horvath zu den drei Pflichtlektüren in der Schule gehört, die ich wirklich gern gelesen habe (die anderen beiden sind "Unterm Rad" von Hermann Hesse sowie "Faust I" von Goethe). Das heißt, meine Befürchtungen waren groß, dass diese moderne Adaption gehörig in die Grütze geht. Außerdem sind deutsche Filme, die einen auf modern, jugendlich und internäschnl machen, indem sie amerikanische Jugendfilme abkupfern, normalerweise außerordentlich beschämend.
Ich weiß auch nicht woran das genau liegt, aber deutsche Filme sind oft viel zu verkopft auf der einen Seite, oberflächlich und klischeedurchtränkt auf der anderen Seite. Als würde man sich nicht trauen, Neues auszuprobieren, aus Angst, da käme gleich jemand von der Filmemacherpolizei und rügt, so sei das aber nicht regelkonform. Also verlässt man sich lieber auf Altbewährtes, besetzt die immer gleichen Gesichter für die immer gleichen holzschnittartig hingeklatschten Figuren und lässt sie die immer gleichen Dialog-Versatzstücke im bedeutungsschwanger verhauchten Tonfall vor sich hin nuscheln (weil wegen Authentizität und Emotionen und so). Und am Ende sieht alles so aus wie ein Werbespot für Versicherungen oder Bier.
Aber ich schweife ab ...
Also, jedenfalls ging ich in den Film und hatte meine Erwartungen auf ein Minimum heruntergeschraubt. Ich freute mich einfach darauf, Fahri Yardim als Lehrer auf der Leinwand zu sehen und war dann doch auch neugierig, wie sie den Roman wohl umgesetzt haben könnten. Das Ganze erinnert tatsächlich an amerikanische dystopische Jugendromane à la "Hunger Games", "Divergent", "Maze Runner" und Co. Die Kulisse, Figuren und Kostüme ähnelten dem deutschen Science-Fiction-Film "Boy7", der übrigens auch nicht allzu schlecht war. Teilweise waren es sogar dieselben Schauspieler, Emilia Schüle etwa.
Die Romanvorlage spielt vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, im Dritten Reich. Es geht um die Verrohung der Jugend, die zu wahren Gefühlen und Empathie nicht mehr fähig ist, die ihr Gewissen verloren hat, weil es nicht mehr zeitgemäß ist, eines zu haben. Die Wahrheit interessiert sie nicht mehr, es herrscht das Recht des Stärkeren und wer schwach ist, verliert. Ich hätte nicht gedacht, dass das so gut funktioniert, das in ein "Hunger Games"-ähnliches Setting zu übertragen und dabei kritische Untertöne in Bezug auf unsere gegenwärtige Gesellschaft durchklingen zu lassen.
Aber das klappt prima. Es ist sicher auch ein wenig Kalkül mit dabei, dass man das jugendliche Zielpublikum dort abholen will, wo es steht. Und die Digital Natives lassen sich wohl mit der Nazizeit nicht so ohne Weiteres hinterm Ofen (oder Smartphone) hervorlocken. Doch auch ich alte Frau (verwundert habe ich festgestellt, dass ich zur Generation des Lehrers gehöre, nicht zu der der Schüler) konnte damit etwas anfangen und fand es stimmig.
Raffiniert fand ich außerdem die Aufteilung in verschiedene Blickwinkel. Das gibt der Geschichte noch mal einen besonderen Schliff und sorgte für Spannung. Außerdem konnte man sich so in die verschiedenen Beteiligten besser einfühlen. Im Roman werden die Schüler nur mit Buchstaben dargestellt, um zu symbolisieren, dass sie keine fühlenden Individuen mehr sind, sondern anonymer Teil einer Masse. Daraus Figuren zu stricken, deren Schicksal einen fesselt, ist schwierig. Es ist auch nicht überall gelungen - Ewa bleibt flach und wirkt wie in den falschen Film gestolpert, Titus bleibt ebenfalls bis kurz vor Schluss eindimensional - aber doch erstaunlich gut.
Einige Anspielungen auf den Roman, wie die Sache mit den Fischaugen bei Titus, erklären sich meiner Meinung nach nur, wenn man das Buch gelesen hat. Sonst wirkt es aufgesetzt. Das hätte man noch eleganter lösen oder weglassen können.
Überhaupt fand ich es schade, dass Titus nur so wenig Raum erhält. So wirkt sein Zusammenbruch zum Schluss abrupt und nicht nachvollziehbar.
Fazit: Für einen deutschen Film ziemlich gelungen. Kann man sich gut anschauen und auch ein Buch-Film-Vergleich ist spannend.