Nicht schon wieder was mit Flüchtlingen! Nach dem Dortmunder „Tatort: Kollaps“, dem Hamburger „Tatort: Verbrannt“ und dem Stuttgarter „Tatort: Im gelobten Land“ beschwerten sich in den vergangenen Monaten nicht wenige Zuschauer über die vermeintliche Einseitigkeit der Drehbücher der öffentlich-rechtlichen Krimireihe. Und so ganz Unrecht haben diese Kritiker damit nicht: Die „Tatort“-Autoren machen sich das Aufgreifen des aktuellen Zeitgeschehens fast traditionell zur Aufgabe, und so zählten in der Erfolgsreihe zuletzt häufig skrupellose Schleuser, mittellose Flüchtlinge oder illegale Einwanderer zum erweiterten Kreis der Tatverdächtigen. In Torsten C. Fischers Kölner „Tatort: Narben“ ist das nicht anders: Der Filmemacher widmet sich in seinem Krimi dem Schicksal bedauernswerter kongolesischer Frauen, die in ihrer Heimat brutal misshandelt wurden und aus nackter Angst ums Überleben nach Deutschland flohen. Sein „Tatort“ ist unter dem Strich ein thematisch interessanter, aber nur mäßig spannender Beitrag aus der Domstadt, bei dem von der ersten bis zu letzten Minute alles in geordneten und sehr vertrauten Bahnen verläuft.
Der aus dem Kongo stammende Arzt Dr. Patrick Wangila (Jerry Elliott) wird erstochen vor dem Kölner Klinikum aufgefunden, in dem er bis zu seinem Tod praktiziert hat. Die Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), die von ihrem Assistenten Tobias Reisser (Patrick Abozen) und Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) unterstützt werden, nehmen zunächst seine Witwe ins Visier: Vivien Wangila (Anne Ratte-Polle) wurde von ihrem Mann, der vor einigen Jahren als Kriegsflüchtling aus Afrika eingereist ist, offenbar betrogen. Aber ist sie auch die Täterin? Verdächtig erscheinen auch die Kolleginnen des Ermordeten: Dr. Sabine Schmuck (Julia Jäger) und Krankenpflegerin Angelika Meyer (Laura Tonke) scheinen den Kommissaren etwas zu verheimlichen. Als Ballauf und Schenk ein Kölner Flüchtlingsheim besuchen, kommt Bewegung in die Ermittlungen: Wenige Tage zuvor hatte sich dort bei einer Polizeirazzia eine ebenfalls aus dem Kongo stammende Frau in den Tod gestürzt. Deren beste Freundin Cecile Mulolo (Thelma Buabeng) gilt seitdem als verschwunden. Und dann ist da noch der Bruder des Toten: Théo Wangila (Jerry Kwarteng) will auf eigene Faust ermitteln, wer seinen Bruder auf dem Gewissen hat...
„Vielleicht lieg ich mit meinem Arztroman ja doch nicht so ganz falsch“, lästert Freddy Schenk beim ersten Resümee im Präsidium und scheint mit seinem Schubladendenken auf der richtigen Spur zu sein: Ein erfolgreicher Arzt, eine Handvoll Verehrerinnen, unter denen Neid und Missgunst herrschen – der 985. „Tatort“ entwickelt sich zunächst zu einer typischen Beziehungskiste, bei der sich nur die Frage stellt, welche der Frauen ihr Schicksal als eine von vielen nicht länger ertragen wollte. Mit dem Besuch im Flüchtlingsheim hievt Krimi-Experte Rainer Butt, der in den vergangenen Jahren fast drei Dutzend Drehbücher für das „Großstadtrevier“, die „SOKO Leipzig“ und den „Polizeiruf 110“ geschrieben hat, die Geschichte aber auf eine neue Ebene: Schnell wird deutlich, dass der Tote keineswegs der unbescholtene Vorzeigemediziner war, für den ihn seine Patienten hielten. Die Spur führt bis in den Kongo – doch anders als im „Tatort: Manila“, in dem Ballauf und Schenk 1998 auf die Philippinen jetteten, oder im „Tatort: Blutdiamanten“, in dem sie 2006 im nahegelegenen Antwerpen ermittelten, dürfen die Kölner Kommissare die Domstadt diesmal nicht verlassen. Auch die obligatorische Stippvisite an der Currywurstbude fällt aus.
Ansonsten geht am Rhein aber alles seinen gewohnten Gang: Eine gute Stunde lang reiht sich eine „In welchem Verhältnis standen sie zum Toten?“-Befragung an die andere, ohne dass der Krimi dabei an Fahrt aufnähme. Vielsagende Blicke hinter den Rücken der Kommissare verraten dem Zuschauer mehr als die Antworten der Verdächtigen und eine Person wird auffallend ausführlich skizziert – wer nicht zum ersten Mal einen „Tatort“ schaut, dürfte keine Mühe haben, die Auflösung der klassischen Whodunit-Konstruktion vorherzusagen. Andere Figuren kommen etwas kurz: Flüchtlingsunterkunftsleiter Christian Korte (Volker Muthmann) hätte wohl noch mehr zu erzählen als die wenigen Allgemeinplätze, die die Kommissare zulassen, und über Wangilas betrogene Ehefrau Vivien (stark: Anne Ratte-Polle, „Sibylle“) erfahren wir vor allem, dass sie sich mit Bogenschießen in ihrem Garten die Zeit vertreibt. Stattdessen gibt es ein Wiedersehen mit einer alten Bekannten: Psychologin Lydia Rosenberg (Juliane Köhler, „Der Untergang“) war in den vergangenen Jahren bereits vier Mal im Kölner „Tatort“ zu sehen und darf diesmal nicht nur mit dem ewigen Junggesellen Ballauf anbandeln, sondern auch in die Geschichte eingreifen.
Unter dem Strich wird man aber das Gefühl nicht los, dass die Handlung um die Folter und Misshandlung afrikanischer Frauen und deren Flucht nach Deutschland eine Nummer zu groß für den eher behäbigen Kölner „Tatort“ ist: Ein solch international angelegtes Thema hätte vielleicht besser zum Bundespolizei-„Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring und Franziska Weisz gepasst. Am Ende kommt der dialoglastige Krimi, den Regisseur Torsten C. Fischer („Romy“) mit ruhiger Hand inszeniert, dann aber doch noch auf Touren: Der Showdown wirkt zwar etwas konstruiert, ist aber zumindest spannend in Szene gesetzt. So dürfen sich unter dem Strich vor allem jene Zuschauer freuen, die sich nach den turbulenten Fällen der vergangenen Wochen endlich mal wieder einen „typischen Tatort“ wünschen: Nach dem sperrigen Münchner Milieuthriller „Tatort: Mia san jetz da wo’s weh tut“, dem packenden Frankfurter Psychothriller „Tatort: Die Geschichte vom bösen Friederich“ und dem vieldiskutierten Weimarer Klamaukfeuerwerk „Tatort: Der treue Roy“ liefert der WDR unaufgeregte Krimi-Kost, wie man sie aus der Domstadt gewöhnt ist.
Fazit: Torsten C. Fischers Kölner „Tatort: Narben“ ist ein dialoglastiger Krimi ohne nennenswerte Überraschungsmomente.