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    Tatort: Mia san jetz da wo's weh tut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Tatort: Mia san jetz da wo's weh tut
    Von Lars-Christian Daniels

    Stolze 25 Dienstjahre haben Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) bereits auf dem Buckel – aber an den wohlverdienten Ruhestand denken die Münchner „Tatort“-Kommissare deshalb noch lange nicht. „Ich fühl mich noch frisch für weitere 25 Folgen“, äußerte Miroslav Nemec kürzlich in einem Interview – und wohl nur wenige Krimifans hätten angesichts der meist überzeugenden Beiträge aus der Isarstadt etwas dagegen einzuwenden. Anders als die dienstälteste „Tatort“-Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) aus Ludwigshafen wirken die Münchner Figuren nämlich keineswegs überholt – was auch an den tollen Drehbüchern liegt, die dem Publikum in den vergangenen Jahrzehnten Ausnahmefolgen wie Dominik Grafs „Tatort: Frau Bu lacht“, Michael Gutmanns „Tatort: Der oide Depp“ oder Christian Züberts „Tatort: Nie wieder frei sein“ bescherten. Auch Max Färberböcks „Tatort: Mia san jetz da, wo’s weh tut“ ist wieder auf ganzer Linie gelungen: Dank einer mutigen Geschichte, toller Darsteller und einer herausragenden visuellen Umsetzung ist der Jubiläumskrimi das erste „Tatort“-Highlight des Jahres 2016.

    Weil er unter Alkoholeinfluss seine 19-jährige Cousine – die rumänische Prostituierte Aurelia Rubin (Anne-Marie Waldeck) – umgebracht hat, wandert Radu Mazilescu (Moritz Fischer) lebenslang hinter Gitter. Fünf Monate zuvor hatte Hauptkommissar Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) ihm nach nur 30 Minuten ein Geständnis entlockt. Sein Kollege Ivo Batic (Miroslav Nemec) hat Zweifel: Im Prostitutionsmilieu hat er ein solch schnelles Einräumen der Tat in seinen 25 Dienstjahren noch nicht erlebt. Grund genug für ihn, die Akten nochmals durchzugehen und einen alten Freund zu kontaktieren: Bordellbetreiber Harry Schneider (Robert Palfrader), der den ehemaligen Scharfschützen Siggi Rasch (Andreas Lust) als Handlanger beschäftigt, hatte die Tote für seine sieben Läden in München eingeplant. Gemeinsam mit ihrem Assistenten Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) stoßen die Kommissare auf eine neue Spur: Die rumänische Prostituierte Mia Petrescu (Mercedes Müller) war in der Tatnacht mit dem Mordopfer unterwegs und ist seitdem verschwunden. Die Ermittler ahnen nicht, dass Mia mit dem jungen Wäschereifahrer Benny (Max von der Groeben) durchgebrannt ist und der schon bald rabiate Killer aus dem Milieu am Hals hat...

    Wenn ich was hasse, dann unser Dienstjubiläum. Und womöglich noch beschissenen Champagner dazu“, grantelt Leitmayr gleich zu Beginn des Films – doch ausufernde Dankesreden und feierliches  Sektschlürfen bleiben dem Junggesellen und ehemaligen Frauenheld, der in seinem ersten „Tatort: Animals“ 1991 noch in einem roten Porsche 911 durch München flitzte, erspart. Stattdessen wird nur kurz mit Espresso aus Pappbechern angestoßen: Regisseur Max Färberböck („Aimée & Jaguar“), der gemeinsam mit Catharina Schuchmann auch das Drehbuch schrieb, setzt die neuere Münchner Tradition fort und hält sich nicht mit Nebensächlichkeiten auf. Dafür ist seine Geschichte auch viel zu sperrig, denn im 982. „Tatort“ laufen drei Handlungsstränge parallel: Während die Kommissare den Fall neu aufrollen, erzählt Färberböck auch von den Verstrickungen im Bordellmilieu und der Flucht des Wäschereifahrers Benny mit der Prostituierten Mia. Anders als im vergleichbaren Kölner „Tatort: Kartenhaus“, in dem fünf Wochen vor „Mia san jetzt da, wo's wehtut“ alles in geordneten Bonnie-und-Clyde-Bahnen ablief, ist das Geschehen dabei nie vorhersehbar – und spätestens nach einem Blutbad in Bennys Wohnung scheint in diesem leichenreichen „Tatort“ nichts mehr unmöglich.

    Färberböck verlangt dem Publikum einiges an Aufmerksamkeit ab – wer auch nur drei Minuten nicht aufpasst, verpasst Entscheidendes. Statt die Erkenntnisse von den Kommissaren vorgekaut zu bekommen, ist der Zuschauer ihnen oft voraus und muss sich selbst einen Reim auf das Gesehene machen. So manchem Anhänger der konventionellen „Tatort“-Erzähltechnik wird dieser fordernde, mitunter etwas anstrengende Stil nicht schmecken, doch auch das Stammpublikum kommt auf seine Kosten: Der „Tatort: Mia san jetz da, wo’s weh tut“ ist eine gekonnte Mischung aus klassischem Whodunit, emotionalem Melodram und wendungsreichem Milieuthriller. Färberböck lotet die seelischen Abgründe seiner Figuren aus und kann sich dabei nicht nur auf den famos aufspielenden Robert Palfrader („Dampfnudelblues“) als Bordell-Boss verlassen. Dass die Kommissare diesmal auf die Unterstützung ihrer Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) verzichten müssen, erweist sich als Vorteil: Losgelöst von den etablierten „Tatort“-Strukturen treiben die Figuren selbst die Geschichte voran. Nicht von ungefähr hat der verwöhnte Student Markus Zöller (Vincent zur Linden) beim Gespräch mit seiner Großmutter (Gertrud Roll) einen frechen Seitenhieb auf amerikanische Erfolgsserien im Köcher.

    Auch handwerklich ist Färberböcks Krimidrama erste Sahne: Nicht nur dank des stimmungsvollen Soundtracks werden Erinnerungen an seinen hochspannenden „Tatort: Am Ende des Flurs“ wach, in dem er den Zuschauer mit einem brutalen Cliffhanger im Ungewissen über Leitmayrs Leben ließ. Mit einigen Weißblenden, die nie zum Selbstzweck verkommen, schlägt der Regisseur stilistisch die Brücke zu seinem bisher besten „Tatort“ und leistet sich vor einer Wohnungsdurchsuchung am Ende des Flurs sogar eine kurze Selbstreferenz. Eine besondere Magie entwickeln die großartig fotografierten Szenen im Präsidium, bei denen Kameramann Alexander Fischerkoesen („Mobbing“) mit den Lichtverhältnissen spielt: Am eindrucksvollsten ist das letzte Verhör von Bordellbesitzer Schneider („Die scheiß ich mit einem einzigen Anwalt zu!“), bei dem Batic‘ tiefschwarze Augenhöhlen die aufkeimende Wut des temperamentvollen aus Kroatien stammenden Kommissars markant unterstreichen. Nicht nur in dieser Sequenz wird aus dem 72. Fall der Münchner Hauptkommissare ein kleines Krimi-Kunstwerk, das bereits jetzt zu den besten Folgen des Jahres 2016 zählt.

    Fazit: Max Färberböcks „Tatort: Mia san jetz da, wo’s weh tut“ ist ein bärenstarkes Krimidrama und damit ein passendes Geschenk zum 25-jährigen Dienstjubiläum der Münchner Hauptkommissare Leitmayr und Batic.

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