Egal ob „Deutschland sucht den Superstar“, „Germany’s next Topmodel“ oder „The Voice of Germany“: Trotz unübersehbarer Abnutzungserscheinungen und fast eineinhalb Jahrzehnten omnipräsenten TV-Daseins genießen Castingshows in Deutschland immer noch Hochkonjunktur. Dass ehemalige Siegerinnen und Sieger wie Elli Erl oder Mark Medlock nach schnellen Charts-Erfolgen wieder von der Bildfläche verschwunden sind, ist für die Sender und Plattenfirmen zu verkraften – schließlich stehen ihre Nachfolger längst in den Startlöchern. Ein wenig erstaunlich ist es schon, dass dieses TV-Phänomen erst vierzehn Jahre nach der ersten „DSDS“-Staffel auch im „Tatort“ aufgegriffen wird: Unter Regie des österreichischen Filmemachers Michi Riebl („Planet Ottakring“) ermitteln die Wiener Kommissare im „Tatort: Sternschnuppe“ hinter den Kulissen eines solchen Talentwettbewerbs, weil ein Jury-Mitglied ähnlich beim Liebesspiel zu Tode stranguliert wurde. Das Ergebnis ist kein überzeugender Krimi: Der 13. Einsatz von Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) ist ihr bisher schwächster.
Kurz vor dem Finale der Castingshow „Sing Your Song“ wird der erfolgreiche Musikmanager Udo Hausberger (Peter Karolyi) in seiner Villa tot aufgefunden. Der bissige Jury-Chef liebte ausgefallene Sex-Spiele mit wechselnden Partnern und hat sich bei der Suche nach dem ultimativen Orgasmus offenbar selbst erhängt. Seine Gattin Angelika (Aglaia Szyszkowitz), die wiederum ein Verhältnis zu dem jungen Ex-Showteilnehmer Benny Raggl (Michael Steinocher) pflegt, reagiert gefasst. Anfangs sieht alles nach einem tragischen Unfall aus, doch Chefinspektor Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und seine Kollegin Bibi Fellner (Adele Neuhauser) finden bald Hinweise auf einen Mord: Bei der Obduktion entdeckt Dr. Susi Freud (Michou Friesz) ein Stück Papier mit dem Text eines eines bisher unveröffentlichten Songs im Rachen des Opfers. Was hat es damit auf sich? Gemeinsam mit ihrem übereifrigen Assistenten Manfred Schimpf (Thomas Stipsits) ermitteln Eisner und Fellner im Umfeld der TV-Show – und müssen bald feststellen, dass auch die ehemalige „Sing Your Song“-Gewinnerin Vera Sailer (Sabrina Rupp), der diesjährige Finalist Aris Graf (Rafael Haider) und dessen Mutter Samy (Ruth Brauer-Kvam) ein Tatmotiv mitbringen...
„Wie verbissen manche Menschen um jeden Preis ihrem Klischee gerecht werden müssen“, resümiert Chefinspektor Eisner nach der Befragung der quotenfixierten TV-Redakteurin Vanessa Gross (Claudia Kottal) genervt – und bringt das Dilemma dieses Krimis damit früh auf den Punkt. Drehbuchautor Uli Brée („Der Kotzbrocken“) hat der öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe in den vergangenen Jahren tolle Wiener Folgen wie den „Tatort: Ausgelöscht“ beschert, aber diesmal bietet er fast nur klischeebeladene Figuren, die stets genau das tun, was man von ihnen erwartet: Die verbitterte Gesangslehrerin Samy Graf lebt ihre gescheiterten Karriereträume über ihren talentierten Sohn aus, die abgehalfterte Ex-Gewinnerin Vera Sailer hält sich mühsam mit schlecht besuchten Gigs in Einkaufszentren über Wasser und „Toy Boy“ Benny Raggl würde für ein Schäferstündchen mit der arroganten Produzentengattin Angelika Hausberger wohl so ziemlich alles tun. Die interessanteste Figur ist Staffelfavorit Aris Graf: Er durchschaut die Branchenmechanismen, fügt sich ihnen aber und gibt vor allem platte Lebensweisheiten zum Besten („Man muss sich nur selbst treu bleiben!“).
Dass der 974. „Tatort“ kein großer Wurf ist, liegt aber auch am enttäuschenden Auftritt der beiden Hauptfiguren: Hievten die sonst so überzeugenden Moritz Eisner und Bibi Fellner durchwachsene Folgen wie den „Tatort: Paradies“ oder den „Tatort: Gier“ mit ihrem köstlichen Gezanke und reichlich Wiener Schmäh zumindest noch ins Mittelmaß, wirkt ihre Frotzelei – aber auch ihre unausgesprochene Zuneigung, die bei einer Umarmung deutlich aufblitzt – diesmal so aufgesetzt wie selten. Als Eisner und Fellner einleitend sogar beim Therapeuten Dr. Peter Paulo dos Santos (Rainer Wöss) vorstellig werden und gegenseitig ihr Sexleben analysieren, kommt man sich vorübergehend vor wie in einem „Tatort“ aus Münster: Das erste Krimidrittel steht ganz im Zeichen alberner Witzchen, wie man sie aus Wien eigentlich nicht gewohnt ist. Spätestens, wenn Bibi Fellners Pontiac Firebird zum dritten Mal nicht anspringen will, ist dieser Gag einfach ausgelutscht – amüsanter fällt da schon die Begegnung mit ihrem Fast-Lover Wolfi (Gerhard Greiner) aus, den Eisner auf ihr Kommando unmissverständlich in die Schranken weist („Schleich di, Arschloch!“).
So bissig und amüsant die Mechanismen und Scheinheiligkeiten der TV-Branche Ende 2015 im zu Recht für den Grimme-Preis nominierten Wiesbadener „Tatort: Wer bin ich?“ entlarvt wurden, so uninspiriert fällt die Demaskierung des Showgeschäfts im „Tatort: Sternschnuppe“ aus. Fast alles, was die Filmemacher herausarbeiten, ist ein alter Hut: Wer glaubt, dass die TV-Sender die Kandidaten bei Quotenhits wie „DSDS“ von ihrer natürlichsten Seite einfangen und alles der Wahl der Zuschauer überlassen, mag in diesem Krimi Bauklötze staunen – wer das Erfolgsgeheimnis der Castingshows aber schon einmal kritisch hinterfragt hat, wird an der Geschichte wenig Aufregendes finden. Statt knisternder Spannung gibt es reichlich Gesangseinlagen, die bei eingefleischten „Tatort“-Fans Erinnerungen an die ehemaligen Hamburger Publikumslieblinge Paul Stoever (Manfred Krug) und Peter „Brocki“ Brockmöller (Charles Brauer) wecken dürften. Wenn Aris Graf hier ein Abschlussständchen zum Besten gibt und Veras Mutter Helga Sailer (Susi Stach) dem verdutzten Nachwuchssänger ein entnervtes „Hör bitte auf“ zuraunt, dann dürfte dieser letzte Satz manchem Zuschauer aus der Seele sprechen.
Fazit: Filmemacher Michi Riebl wirft im überraschend schwachen Wiener „Tatort: Sternschnuppe“ einen fiktiven Blick hinter die Kulissen einer Casting-Show.