Lisbeth Salander wird zur glattgebügelten Superheldin
Von Björn BecherElf Jahre nach dem Tod von Bestseller-Autor Stieg Larsson setzte schließlich der Journalist David Lagercrantz die megaerfolgreiche, posthum veröffentlichte „Millennium“-Romanreihe fort. Dabei entwickelte er mit dem 2015 veröffentlichten vierten Band „Verschwörung“ die Hintergrundgeschichte von Lisbeth Salander weiter. Auch in der von „Evil Dead“-Regisseur Fede Alvarez inszenierten Kinoadaption von „Verschwörung“ steht die ikonische Hackerin klar im Mittelpunkt. Trotzdem hält sich der aus Uruguay stammende Filmemacher keinesfalls sklavisch an die für einen Film ohnehin zu ausufernde Vorlage. Stattdessen übernimmt der Regisseur von der eher lahmen Story des Romans nur Bruchstücke und verdichtet den Rest zu einem selten innehaltenden Action-Thriller. Klingt nach einem kurzweiligen Kinoerlebnis, ist es aber nicht. Denn Alvarez scheitert trotz einer herausragenden Hauptdarstellerin ausgerechnet am Kern seines im Original „The Girl In The Spider's Web“ betitelten Films, nämlich an der Figur Lisbeth Salander: Aus einer der ambivalentesten Anti-Heldinnen der Kino- und Romangeschichte macht er eine Art Superheldin, die so fast schon besser in einem Marvel- oder DC-Blockbuster aufgehoben wäre.
Die Hackerin Lisbeth Salander (Claire Foy) ist ebenso berühmt wie berüchtigt. Seit einer Zeitschriftenreportage kennt sie ganz Schweden und immer wieder hört man ihren Namen im Radio. Denn nachts streift sie als Rächerin durch die Straßen und lässt Männer, die Frauen verletzen, für ihre Taten bezahlen. Zudem kann man sie auch für Hacks anheuern, was der Ex-NSA-Mitarbeiter Frans Balder (Stephen Merchant) auch tut. Er hat für den amerikanischen Geheimdienst ein Programm entwickelt, mit dem man sehr einfach die Kontrolle über alle Nuklearraketen der Welt übernehmen kann. Nun will er es zerstören. Lisbeth stiehlt den Code, doch bevor sie ihn Balder überreichen kann, wird sie überfallen und die gefährliche Software gestohlen. Aber damit nicht genug: Lisbeth wird für eine Mörderin gehalten, vom schwedischen Geheimdienst und der Polizei gejagt. Und auch der Ex-Elite-Soldat, Ex-Elite-Hacker und NSA-Sicherheitschef Edwin Needham (Lakeith Stanfield) hat sich aus den USA auf den Weg nach Schweden gemacht, um sich „sein“ Programm zurückzuholen. Doch wie misslich die Lage für Lisbeth wirklich ist, wird ihr erst klar, als sie erkennt, wer eigentlich ihre Gegnerin ist: Sie hat sich im Spinnennetz ihrer totgeglaubten Schwester Camilla (Sylvia Hoeks) verfangen...
Müsst ihr denn spoilern, dass Lisbeths Schwester der Bösewicht ist? Das mag sich der ein oder andere Leser, der den Film noch nicht gesehen hat, jetzt vielleicht denken. Aber wir können euch beruhigen: Es ist keine Enthüllung, denn selten wurde sich weniger Mühe gegeben, eine vermeintliche Wendung zu verschleiern. „Verschwörung“ beginnt mit einer Rückblende in die Kindheit der Geschwister, anschließend wird uns immer wieder ein Foto der beiden Schwestern unter die Nase gerieben. Und genau dieses Foto zerreißt Lisbeth dann auch noch nach der ersten Konfrontation mit bösen Schergen, obwohl sie da von Camilla noch gar nichts ahnt. „Verschwörung“ ist immer wieder so überdeutlich, dass man das Gefühl nicht loswird, die Macher würden den Zuschauern keine großen eigenen Überlegungen zutrauen. Ganz besonders auffällig ist dies auch in einer Szene, in der Lisbeth die Bewegungen einer anderen Person mit einem Tracking-Sender verfolgt und die Macher sich ernsthaft genötigt sehen, sowohl auf den Gegenstand zu schneiden, in dem die Technik versteckt ist, als auch den eigentlich ja unauffälligen Sender deutlich blinken zu lassen.
Wenn ihr Mitstreiter, der Journalist Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason), die Entdeckung macht, dass Lisbeths Schwester hinter allem steckt, ist das also längst keine Überraschung mehr – übrigens auch nicht für Lisbeth selbst. Als er ihr seinen Wissensstand mitteilt, stand sie längst Camilla Auge in Auge gegenüber und weiß Bescheid. Damit ist die Rolle der zweiten Hauptfigur der bisherigen Filme und Romane übrigens gut zusammengefasst: Blomkvist ist komplett überflüssig. Alvarez und seine Autoren interessieren sich offensichtlich kein bisschen für ihn. Das ist aufgrund des totalen Fokus auf Lisbeth Salander kein großes Problem, doch dann hätten sie die Figur auch konsequenterweise ganz aus dem Film streichen oder zumindest komplett an den Rand rücken können. So tauchen er und die Millennium-Redaktion hin und wieder mal auf – und zwar nur, weil sie eben ein so wichtiger Teil der Bücher sind. Das Ergebnis sind unnötige Füllszenen. Völlig verschenkt ist darin auch die eigentlich großartige Vicky Krieps („Der seidene Faden“) als Erika Berger. Blomkvists gegenüber der Vorlage massiv verjüngte Chefin und Geliebte ist ebenfalls nur Staffage.
Unter der völligen Fokussierung auf Salander leiden quasi alle Nebenfiguren – selbst die schillernde und per se interessante Camilla. Dass sie Lisbeths Schwester ist, spielt für die Charakterisierung der Hauptfigur eine gewisse Rolle, sie selbst bleibt aber eindimensionaler als selbst der schwächste Bond-Bösewicht. Dazu passt immerhin, dass sie die Kontrolle aller Nuklearraketen auf dieser Welt übernehmen will – ein Platzhalterplan par excellence. Und was sie dann mit den Raketen vorhat, würde zumindest „Moonraker“-007-Widersacher Hugo Drax mit Stolz erfüllen. Nicht einmal die zuletzt in „Blade Runner 2049“ noch so glänzende Sylvia Hoeks kann an der Belanglosigkeit dieser Bösewicht-Figur etwas ändern.
Claire Foy („Unsane“) hat die schwierige Aufgabe, nach der in drei dänisch-schwedischen Filmen gefeierten Noomi Rapace und der für David Finchers US-Remake mit noch mehr Lob überschütteten Rooney Mara als dritte Darstellerin in die Haut von Lisbeth Salander zu schlüpfen. Trotzdem meistert sie diese Herausforderung, indem sie der Rolle ihren ganz eigenen Stempel aufdrückt. Die schon in der Netflix-Serie „The Crown“ herausragende Foy zeigt einmal mehr eine ganz neue Seite von sich. Ihre Lisbeth ist noch deutlicher vom Leben gezeichnet, älter und noch verbitterter – aber auch gleichzeitig menschlicher und zweifelnder. Foy schafft es mit ihrem Spiel immer wieder, die Risse in der scheinbar nie zögernden Power-Frau offenzulegen.
Einer der stärksten Momente des Films zeigt Lisbeth mit einem autistischen Jungen (Christopher Convery), der in ihrer Obhut gelandet ist und den sie beschützen muss. Wo Alvarez und seine Drehbuchautoren ansonsten zu ausufernden Beschreibungen neigen, reicht hier Foys Minenspiel, um Lisbeths fürsorgende Liebe für das Kind, aber auch die Last dieser neuen Verantwortung herauszustellen. Auch wenn Salander bei ihren nächtlichen Streifzügen zur Rächerin wird, überzeugt Foy als gnadenlos-taffe Vigilantin. Obwohl die britische Schauspielerin den großen Nachteil hat, die Rolle nun ausgerechnet im bislang klar schwächsten Lisbeth-Salander-Film zu bekleiden, wird ihr Name in Zukunft sicherlich oft fallen, wenn über die beste schauspielerische Darstellung der Rächerin mit dem ikonischen Drachen-Tattoo auf dem Rücken diskutiert wird.
So stark Foy Lisbeth spielt, so schwach ist der Umgang mit der Figur. Die Ambivalenz dieser getriebenen, verletzten, oft enttäuschten und auf ihre ganz eigene Weise mit ihrer Umwelt abrechnenden Frau scheint viel zu selten durch. Wie sehr sie sich selbst von ihrem einstigen Mitstreiter Mikael Blomkvist hintergangen fühlt, wird zwar in einer schön subtilen Szene angedeutet. Ansonsten ist Lisbeth in „Verschwörung“ aber zu einer langweiligen Superheldin mutiert, die mal eben mit ein paar Mausklicks die NSA oder jedes beliebige Auto auf Schwedens Straßen hackt. Sie trägt bei ihren nächtlichen Rache-Streifzügen sogar eine Art Kostüm. Bei ihrem Angriff auf die amerikanischen Sicherheitsbehörden gibt es so quasi keine Möglichkeit, als Zuschauer mitzufiebern. Dafür ist die Attacke einfach viel zu schnell erledigt.
Dass Alvarez durchaus Spannung erzeugen kann, zeigt er dagegen an anderen Stellen. Von Lisbeths diversen Aufeinandertreffen mit Camillas Schergen bis hin zum starken Showdown muss man immer wieder wirklich um das Wohl einzelner Figuren bangen. Die Actionszenen sind schnell, manchmal zwar etwas zu hart geschnitten, aber durchaus mitreißend. Dazu sieht der Film verdammt gut aus. Das Schwarz-Grau, in das das Team um Kameramann Pedro Luque („Don't Breathe“, „Extinction“) fast alles taucht, schafft dazu die richtige Stimmung. Allerdings hätten wir, selbst wenn „Verschwörung“ nun im Gegensatz zu „Evil Dead“ natürlich ein Mainstream-Film ist, nicht gedacht, dass Alvarez ausgerechnet bei Salanders Rächerinnen-Dasein so sehr auf die Bremse tritt. Wenn sie in den Eröffnungsminuten einen Frauenschläger (der deutsche „Babylon Berlin“-Star Volker Bruch in einer Nebenrolle) „besucht“, müssen ein paar Stromschläge als körperliche Bestrafung reichen. Da wurde die Gerechtigkeit in vorherigen Filmen deutlich schmerzhafter wiederhergestellt.
Fazit: In „Verschwörung“ wird aus der vielschichtigen und gerade deshalb so ikonischen Anti-Heldin Lisbeth Salander eine glattgebügelte Superheldin gleichen Namens. Der Rest ist nicht mehr als ein solider, aber austauschbarer Hollywood-Action-Thriller mit einer nicht minder austauschbaren Antagonistin.