Während Warner Bros. für den (überhasteten) Aufbau des DC-Kinouniversums (Superman, Batman & Co.) immer wieder harsche Kritik einstecken muss, ist das Hollywood-Studio gerade dabei, an anderer Stelle heimlich, still und leise ein Shared Universe zu kreieren, das einen finanziellen Erfolg nach dem anderen einfährt: Nach „Conjuring – Die Heimsuchung“ (Einnahmen: 318 Millionen Dollar bei Kosten von 20 Millionen), „Conjuring 2“ (320 Millionen / 40 Millionen) und dem Spin-off „Annabelle“ (256 Millionen / 6,5 Millionen) kommt nun das Prequel „Annabelle 2“ in die Kinos, bevor es in den nächsten Jahren mit den Spin-offs „The Nun“ und „The Crooked Man“ sowie „Conjuring 3“ weitergehen soll. Nachdem „Annabelle“ von John R. Leonetti 2014 noch vergleichsweise dreckig, schockierend und fies ausfiel, orientiert sich David F. Sandberg bei „Annabelle 2“ nun wieder stärker an den „Conjuring“-Vorbildern von James Wan. Sprich: Der schwedische Hollywood-Export punktet in seinem zweiten Langfilm nach dem Überraschungshit „Lights Out“ vor allem mit einer erlesenen Inszenierung, kreativen Schocks und einnehmenden Figuren, die mehr sind als bloßes Dämonenfutter.
Zwölf Jahre nachdem ihre Tochter Annabelle (Samara Lee) bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, öffnen der Puppenmacher Samuel Mullins (Anthony LaPaglia, „Without A Trace“) und seine Frau Esther (Miranda Otto, „Der Herr der Ringe“-Trilogie) 1955 die Tore ihres Farmhauses für die Nonne Schwester Charlotte (Stephanie Sigman, das Auftakt-Bondgirl aus „Spectre“) und sechs Waisenmädchen. Für die Teenagerinnen wirkt das neue Zuhause im Vergleich zum katholischen Kinderheim wie ein Schloss (selbst wenn der Fernsehapparat nicht funktioniert). Aber dann schleicht sich die an Polio erkrankte Janice (Talitha Bateman, „Vengeance: A Love Story“) trotz Verbot in das Zimmer der verstorbenen Annabelle und entdeckt dort in einem von innen mit Bibelseiten tapezierten Schrank eine unheimliche Puppe, die Kennern der Reihe bereits aus „Conjuring“ und „Annabelle“ bestens bekannt sein dürfte. Es dauert nicht lange und der Spuk nimmt seinen Lauf…
Wo „Annabelle“ noch direkt mit einem verstörenden Paukenschlag begonnen hat (nämlich einem schockierend-lautlosen Satanisten-Massenmord), lässt es David F. Sandberg in seiner Origin Story nun deutlich gemächlicher angehen, bevor sich der Grusel schließlich doch noch Bahn bricht. Aber die Zeit für die ausführliche Exposition ist keinesfalls verschenkt. Abgesehen davon, dass die sonnendurchfluteten Bilder von Alexandre-Aja-Stammkameramann Maxime Alexandre („High Tension“, „The Hills Have Eyes“) im Zusammenspiel mit den erlesen eingerichteten 60er-Jahre-Sets einfach toll anzusehen sind, nutzt Drehbuchautor Gary Dauberman („Wolves At The Door“) den Spielraum, um tatsächlich sympathische Protagonisten zu entwickeln: Vor allem die tiefe Freundschaft zwischen den Waisenmädchen Janice und Linda (Lulu Wilson, „Ouija: Ursprung des Bösen“) sowie die Motivation des um Absolution ringenden Samuel Mullin sorgen dafür, dass man in der zweiten Hälfte wirklich mit den Figuren mitfiebert, statt ihnen – wie in den meisten heutigen Horrorfilmen – nur noch einen möglichst spektakulär-brutalen Tod zu wünschen.
Wo in „Annabelle“ noch deutlich das verstörende gesellschaftliche Klima der Charles-Manson-Vietnamkriegs-Ära durchschimmerte, prägt die Ansiedlung in den 1960er Jahren bei „Annabelle 2“ nun statt den Ton lediglich die Ausstattung des Films. Aber dafür hat die Einrichtung des Farmhauses auch einen ganz besonders großen Einfluss sowohl auf die Atmosphäre als auch die Schockeffekte: Während die Spuk-Möglichkeiten eines frühen elektrischen Treppenlifts für die polioerkrankte Janice auf der Hand liegen, hat es uns neben dem pompösen Puppenhaus in Annabelles Zimmer vor allem ein historisches Spielzeuggewehr angetan, mit dem man einen roten Ball abschießen kann, der so an einer Schnur befestigt ist, dass er sich mit einer Art Angelrolle wieder zurückholen lässt (es sei denn natürlich, am anderen Ende der Schnur zieht plötzlich etwas). Und wo sich in Sandbergs Durchbruchsfilm „Lights Out“ noch alles um Licht beziehungsweise die Abwesenheit davon drehte, spielt die (flackernde) Beleuchtung auch in „Annabelle: Creation“ ebenfalls eine bedeutende Rolle – vor allem die (zunächst nur auf einem Foto) fluoreszierenden Augen sind eine hübsche inszenatorische Spielerei.
Nach einer ganzen Reihe abwechslungsreicher Grusel-Setpieces steuert „Annabelle 2“ dann irgendwann auf seinen Ausgang zu – aber während James Wan in „Conjuring“ und „Conjuring 2“ gerade an dieser Stelle noch einmal richtig Gas gegeben und die pure Panik heraufbeschworen hat, kann Sandberg diesmal leider keinen mehr draufsetzen. Statt uns auf der Zielgeraden noch einmal so richtig die Schweißperlen auf die Stirn zu treiben, hält das etwas zu ausgedehnte und unnötig zersplitterte Finale lediglich den zuvor etablierten Grusellevel. Das dürfte zu einem Teil auch damit zu tun haben, dass anschließend (nachdem es mittendrin schon eine Anspielung auf „The Nun“ gab) noch ein konsequenter Brückenschlag zu den anderen Filmen der Reihe erfolgt: Als Fan von zusammenhängenden Kinouniversen à la Marvels MCU mag man das clever finden, aber für „Annabelle 2“ als alleinstehenden Film haben sich die Macher mit diesem die Lücken zwischen den Filmen kittenden Nachklatsch keinen Gefallen getan. So werden plötzlich viele Jahre später stattfindende Geschehnisse zum finalen Höhepunkt hochgejazzt, was der zuvor gesehenen Gruselgeschichte im Nachhinein noch etwas von ihrem Gewicht nimmt.
Fazit: Stark inszenierter Puppen-Horror mit kreativen Gruselszenen, bei dem nur das langgezogene Finale etwas enttäuscht – insgesamt ein weiterer gelungener Beitrag zum sich stetig ausdehnenden „Conjuring“-Kinouniversum.
PS: Wer beim Abspann nicht gleich rausrennt, wird mit einer Post-Credit-Sequenz belohnt.