Als den Hauptkommissaren Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) bei ihren Ermittlungen zuletzt ein „alter Haudegen“ zur Seite gestellt wurde, kam am Ende heraus, dass das Duo nach allen Regeln der Kunst vom vermeintlich überforderten Bernhard „Opa“ Sirsch (Fred Stillkrauth) vorgeführt wurde: Zu diesem vielgelobten und erzählerisch ungewöhnlichen „Tatort: Der oide Depp“ von 2008 ergeben sich in Markus Imbodens „Tatort: Einmal wirklich sterben“ gleich zwei Parallelen: Batic und Leitmayr treffen erneut auf einen trinkfreudigen Kollegen älteren Semesters, und auch diesmal schlagen die Filmemacher einen ausführlichen Bogen zu einem Verbrechen in der Vergangenheit. Doch anders als „Der oide Depp“ ist „Einmal wirklich sterben“ kein großer Wurf: Der 71. Fall der altgedienten Münchner Kommissare ist eine nur teilweise gelungene Kreuzung aus Krimi und Familiendrama, die eher Charme, Witz und bayrischem Lokalkolorit lebt als von Spannungsmomenten und interessanten Figuren.
Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) besuchen gerade Johanna Wallner (Ulrike Arnold), die Mutter eines verstorbenen Kollegen, als sie über den Polizeifunk von einem Verbrechen hören: In Wallners unmittelbarer Nachbarschaft wurde Michaela Danzer tot aufgefunden. Neben der Frau liegt ihr angeschossener und nicht ansprechbarer Lebensgefährte Daniel Ruppert (Harald Windisch). Wenig später finden die Münchner Kommissare auch Danzers sechsjährigen Sohn Quirin (Florian Mathis). Was ist geschehen? Der verstörte Junge ist ein wichtiger Zeuge, schweigt sich aber über die Vorfälle aus. Bei Rupperts Notoperation machen die Ärzte eine Entdeckung: Die Narbe einer alten Schussverletzung bringt Batic und Leitmayr, die von Assistent Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) und Fallanalytikerin Christine Lerch (Lisa Wagner) unterstützt werden, auf die Spur eines lange zurückliegenden Verbrechens. Ruppert hatte einst seine Frau und den gemeinsamen Sohn ermordet und wollte sich anschließend selbst richten. Nur seine Tochter Ella (Anna Junghans), die mittlerweile unter dem Namen Emma Meyer (Anna Drexler) lebt, entkam der Tragödie.
„Lauf, Schneeflöckchen, lauf!“: Die 15 Jahre zurückliegende Begegnung der kleinen Ella mit ihrem um Haus und Handwerksbetrieb gebrachten Vater ist die Schlüsselszene dieses Krimidramas. Der verzweifelte Ruppert sieht keinen anderen Ausweg, als sich und seine Familie zu töten – bringt es nach den ersten zwei Morden aber nicht übers Herz, auch seine Tochter mit in den Tod zu reißen. Ellas folgende Flucht ist eigentlich ein wuchtiger, emotionaler Moment, doch er wird mindestens einmal zu oft wiederholt: Spätestens wenn das verstörte Mädchen zum dritten Mal auf einer grünen Wiese vor dem Vater flieht, stellt sich beim Betrachter ein gewisser Ermüdungseffekt ein. Auch in anderen Szenen verkommt die hübsche Verpackung zum Selbstzweck, schon in der Eröffnungssequenz trägt Regisseur Markus Imboden („Der Verdingbub“) viel zu dick auf: Drei Zebras traben in Zeitlupe durch ein nächtliches Gehege, während melancholischer Kindergesang ertönt – einen tieferen Sinn offenbart diese bedeutungsschwangere Szene aber nicht, sieht man einmal davon ab, dass der Weg der Kommissare später in den Tierpark führt.
Drehbuchautor Claus Cornelius Fischer („Blueprint“) kombiniert einen klassischen Whodunit mit einem Familiendrama und einer Kindesentführung: Während die Ermittler sich lange mühsam von Befragung zu Befragung hangeln, erledigen die im vorigen Münchner „Tatort: Die letzte Wiesn“ weitgehend zu Statisten degradierten Hammermann und Lerch viel Fließarbeit im Präsidium. Der mit reichlich Kamerapräsenz bedachte Junge Quirin – die Schlüsselfigur des Films – spricht zwar nur wenige Worte, doch dafür reden alle anderen umso mehr. Spannung kommt dabei erst in der Schlussviertelstunde auf, und die Auflösung zählt nicht zur verblüffenden Sorte: Neben Tierpflegerin Emma, die sich abends unbehelligt im tagsüber stark frequentierten Tierpark Hellabrunn versteckt, gibt es mit deren Freundin Lissy Berger (Andrea Wenzl) und Quirins leiblichem Vater Bernhard Helmbrecht (Simon Schwarz, sonst als „Inkasso-Heinzi“ im „Tatort“ aus Wien zu sehen) nämlich nur zwei weitere Verdächtige. Wer eins und eins zusammen zählen kann, kommt schnell auf die richtige Fährte.
Die sonnigen Frühlingsbilder und die hübschen Impressionen aus dem Münchner Zoo sind durchaus nett anzuschauen – seine stärksten Momente hat der „Tatort: Einmal wirklich sterben“ aber dann, wenn die Ermittler im Präsidium die Köpfe zusammenstecken. Trotz kleinerer Anflüge von Küchenpsychologie sind die Dialoge überzeugend, die eingespielte Routine zwischen Batic und Leitmayr wird gekonnt und mit Witz aufgebrochen. Neben einem köstlichen Anruf von Leitmayr, der sich mit verstellter Stimme als Angestellter der Stadtwerke ausgibt, ist die beste Sequenz die eingangs erwähnte Begegnung mit Hauptkommissar Xaver Busch (Klaus Pohl): Der kauzige Augsburger Kollege bringt wie einst „Opa“ Sirsch wie selbstverständlich Alkohol mit ins Büro und leistet lieber persönlich Amtshilfe, als die Berichte einfach durchzuschicken („Ich hab gedacht, wir gehen erstmal frühstücken!“). Warum Batic und Leitmayr erst eine Narbe am Bauch des Opfers auf die Spur des Jahre zurückliegenden Verbrechens bringt, leuchtet allerdings nicht ein – hier hätte ein Blick der sonst so versiert agierenden Kollegen in die Verbrecherkartei doch genügt.
Fazit: Markus Imbodens „Tatort: Einmal wirklich sterben“ ist ein durchschnittlicher Krimi aus München, der trotz einiger gelungener Szenen erst am Ende auf Touren kommt.