Der Titel mag anderes verheißen, doch auch am Ende der langen Nacht von Partho Sen-Guptas Neo-Noir-Drama „Sunrise“ wird die Sonne nicht aufgehen. In ständiger Dunkelheit bewegen sich die Figuren durch die schäbigen Gassen Mumbais, die Finsternis liegt wie ein Mantel des Schweigens über einem kaum glaublichen sozialen Missstand: 100.000 Kinder verschwinden jährlich in Indien – sie werden entführt, als Sklaven missbraucht, zur Prostitution gezwungen. Trotz dieser brennenden Aktualität ist Sen-Guptas Film kein sozialrealistisches Drama, sondern vielmehr nie ganz fassbar, ein surrealer Trip zwischen der düsteren Realität und den nicht minder bedrückenden Phantasien seiner Hauptfigur, Inspektor Joshi. Der von dem aus „Life of Pi“ und „Englisch für Anfänger“ bekannten Adil Hussain gespielte Polizist ist auf der Suche nach seiner Tochter Aruna, die bereits vor Jahren verschwunden ist. In zunehmender Verzweiflung jagt er die Täter…
Die Spuren, denen der besessene Protagonist folgt, existieren womöglich inzwischen nur noch in seinem Kopf, vor allem ein Nachtclub namens Paradise, in dem junge Mädchen auf der Bühne tanzen und von feisten Männern gekauft werden, erweist sich als ebenso unwirklicher wie beunruhigender Ort. Die Atmosphäre erinnert an die (Alb-)Traumwelten von David Lynch, genauso wie das Sounddesign mit seinen insistierenden Brummtönen und irritierenden metallischen Klängen. Lange Schatten, die durch die dunklen Gassen gleiten, der sich in Pfützen spiegelnde fahle Glanz der Leuchtstoffröhren und die von Dauerregen geprägte Dunkelheit vollenden die trist-unheimliche Stimmung. Wie dem Problem der verschwundenen Kinder beizukommen ist, versucht Regisseur Sen-Gupta dabei gar nicht erst zu ergründen: Jeder hoffnungsvolle Impuls erscheint in dieser gekonnt stilisierten Großstadthölle fehl am Platz.
Fazit: Partho Sen-Guptas „Sunrise“ ist eine vor allem stilistisch überzeugende surreal-albtraumartige Reise durch die Nacht.