Mit ihrem Horrorschocker „[REC]“ traf das spanische Regie-Duo Jaume Balagueró und Paco Plaza 2007 offensichtlich den Zeitgeist. Die mit schmalem Budget und hektischer Handkamera im Found-Footage-Stil inszenierte Pseudo-Dokumentation um eine Feuerwehrtruppe, die es bei einem Einsatz in einem alten Mietshaus mit virusverseuchten Untoten zu tun bekommt, entwickelte sich zu einem weltweiten Erfolg. „[REC]“ zog nicht nur drei Fortsetzungen und ein US-Remake nach sich, sondern sicherte den Regisseuren auch gewisse kreative Freiheiten bei ihren Folgeprojekten. So legte Balagueró mit „Sleep Tight“ 2011 einen hochspannenden Psychothriller vor, der bewusst auf plumpe Schockeffekte verzichtet. Und auch bei „Muse – Worte können tödlich sein“ ist merklich zu spüren, dass sich Balagueró weiterhin darum bemüht, neue Wege einzuschlagen, wenn er so ungewöhnliche Elemente wie Poesie und Verse mit in seine Horror-Handlung einfließen lässt. Sein ruhig erzählter Gruselfilm ist also durchaus originell, aber leider nicht immer stimmig.
Samuel Solomon (Elliot Cowan) ist ein angesehener Professor für Literatur und gibt seinen Studenten nach einer Vorlesung zu Dantes „Inferno“ die Hausaufgabe, ihre eigenen Ängste literarisch zu verarbeiten. Doch als seine studentische Geliebte Beatriz (Manuela Vellés) Selbstmord begeht, gerät sein Leben aus den Fugen. Ein Jahr später quälen ihn immer noch Albträume von einem Mädchen, das auf bizarre Weise von schwarz gekleideten Frauen getötet wird. Als genau wie in Solomons Träumen ein echter Mord geschieht, trifft der Professor am Tatort auf Rachel (Ana Ularu), die von denselben Alpträumen geplagt wird. Um die Identität der Ermordeten zu entschlüsseln, greift Solomon auf die Hilfe der befreundeten Literaturwissenschaftlerin Susan Gilard (Franka Potente) zurück. Sie entdeckt eine Spur zum Literaturzirkel Weißer Kreis, zu dem schon Schriftsteller wie Shakespeare und Dante gehörten, die ihre Inspiration von sieben bösartigen Musen erhielten. Solomon und Rachel forschen weiter nach und geraten ins Visier der mordlüsternen Frauen, die offenbar nicht nur in ihren Träumen existieren…
Jaume Balagueró, der auch selbst am Drehbuch mitgeschrieben hat, bemüht sich in der spanischen Produktion „Muse – Worte können tödlich sein“ darum, eine übersinnliche Detektiv-Story im akademischen Milieu mit einem feingliedrigen Drama zu verbinden, das viel Raum für die Zeichnung der Charaktere lässt. Doch die experimentelle Mixtur misslingt gleich an mehreren Stellen: Der Konflikt der Stripperin und Prostituierten Rachel mit ihrem aufbrausenden und brutalen Zuhälter Donnie (Cally O'Connell) gerät allzu klischeehaft und vorhersehbar. Zugleich bremst Solomons Entwicklung vom gebrochenen Mann, der zunehmend mit seinen Ängsten und einem väterlichen Fürsorgekomplex hadert, das Tempo des um subtilen Horror bemühten Films immer wieder aus.
Zwei Nebenfiguren fallen in „Muse – Worte können tödlich sein“ zwar dank ihrer prominenten Besetzung sofort auf, doch am Ende dienen sie eigentlich doch nur als Stichwortgeber. Die zuletzt verstärkt in TV-Serien wie „Taboo“ agierende Franka Potente darf lediglich fleißig neue Details zu den mysteriösen Musen in der Literatur recherchieren, um diese Solomon dann zu präsentieren, bevor sie die Macht der Inspirationsspenderinnen am eigenen Leib erfährt. Deutlich denkwürdiger gerät da schon der Auftritt von Christopher Lloyd: Er kann in seinen wenigen Szenen an seine Paraderolle als verschrobener Wissenschaftler Doc Brown aus der „Zurück in die Zukunft“-Trilogie anknüpfen, wenn er als zauseliger Professor im Ruhestand die Macht der Musen-Poesie anhand eines wiedererweckten toten Fisches demonstriert.
Auf tiefschürfende Exkurse in die Abgründe der Literaturgeschichte wartet man jedoch im ganzen Film vergebens. Trotz dieser Schwächen und auch einiger Längen bietet „Muse – Worte können tödlich sein“ zumindest einen schön düsteren Look, eine permanent spürbare Grundspannung und einige gelungene Gore-Effekte. Besonders im wendungsreichen letzten Drittel offenbart Jaume Balagueró zudem, dass er sein Handwerk als Drehbuchautor wirklich versteht – selbst wenn ihm der Fokus aufs Wesentliche in den zwei Dritteln zuvor immer mal wieder abhandenkommt.
Fazit: „Muse – Worte können tödlich sein“ bietet handwerklich solide, aber trotz des originellen Sujets erzählerisch letztlich doch nur mäßige Genrekost. Zudem ist es schade, dass Christopher Lloyds Auftritt als exzentrischer Wissenschaftler so kurz ausfällt.