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    Aferim!
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Aferim!
    Von Thomas Vorwerk

    „Ich frage mich, ob in ein paar hundert Jahren die Menschen über uns nachdenken - ob sie dann denken, dass wir ihnen den Weg geebnet haben...“ fachsimpelt Hauptmann Constandin (Teodor Corban) mit seinem Sohn Ionita (Mihai Comanotu), während sie 1835 durch die Walachei reiten. Nach einigen zeitgenössischen und mit geringem Budget umgesetzten Filmen traut sich der Rumäne Radu Jude („Everybody in Our Family“) jetzt an einen historischen Stoff, den er ähnlich wie Michael Haneke bei „Das weiße Band“ in direktem Bezug zu späteren Ereignissen im Land sieht. Ein Road Movie mit leichten Westernelementen, das wie Roy Anderssons Filmfarce „Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“ oder Cormac McCarthys Roman „Die Abendröte im Westen“ einen unübersehbaren politischen Kommentar auf die Gegenwart und die Natur des Menschen beinhaltet. Für den Wettbewerb der Berlinale, in den mit Vorliebe Filme mit wichtigen Themen aufgenommen werden, ist dieses literarisch-geschichtliche Werk wie geschaffen - ob es auch „gut gemacht“ (die Übersetzung des Filmtitels „Aferim!“) ist und als Kino-Film künstlerisch überzeugt, steht auf einem gänzlich anderen Blatt.

    In expressiver Schwarzweißfotografie, die in ihrer symbolisch aufgeladenen Überdeutlichkeit fast schon wieder nichtssagend wirkt, zeigt uns Radu Jude karge Landschaften und armselige Behausungen, in den Totalen verlieren sich der geschwätzige Constandin und sein Sohn förmlich, die sich auf der Suche nach dem entflohenen „Zigeunersklaven“ Carfin (Cuzin Toma) befinden. Dieser hatte das Pech, einen aufbrausenden Besitzer und eine sexuell unzufriedene Herrin zu haben, und soll nun für die Unzucht bestraft werden, die gar nicht von ihm initiiert wurde. Zwischen rassistischen Vorurteilen („Sind Zigeuner überhaupt Menschen?“), seltsamen Weisheiten („Ein Vater wiegt mehr als zwölf Söhne“) und fragwürdiger Gelehrtheit („Alexander der Große studierte mit Aristoteles, der ihm die Psalmen beibrachte“) kristallisiert sich heraus, dass der weitgereiste Gefangene seinen Häschern manche Lektion beibringen könnte, doch an ihm soll ein Exempel statuiert werden und alle Gnadengesuche treffen auf taube Ohren.

    Taube Ohren (oder vom Untertitel-Lesen wunde Augen) kann man hier auch als Zuschauer und Zuhörer bekommen, da Jude vorwiegend historische Dokumente in ein wortgewaltiges, oft literarisch wirkendes Drehbuch-Korsett zwängt, das spezifisch filmischer Erzählweise allzu wenig Raum zur Entfaltung lässt. Außerdem werden die unablässigen Diskussionen kaum dramaturgisch durchgeformt (womit auch die Spannung im weitesten Sinne auf der Strecke bleibt). Dass es hier um totgeschwiegene und tabuisierte Bereiche der rumänischen Geschichte geht, ist sicherlich zu begrüßen, doch trotz politischer Unkorrektheiten, eines burschikosen Bauernhumors und ein paar Gewalttaten, die wie so vieles in diesem Film vor allem indirekt als „Mauerschau“ berichtet werden, ist „Aferim!“ in erster Linie langatmig.

    Fazit: Polit-Kino mit humanistischer Aussage und schwarzweißer Arthaus-Ästhetik, bei dem Politik sehr groß, Kino aber eher klein geschrieben wird.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2015. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 65. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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