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    Titos Brille
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Titos Brille
    Von Andreas Günther

    Wo ihre Familie sei? Die hätten die Deutschen umgebracht. Warum sie überleben konnte? Sie habe sich eben versteckt. Herzzerreißend spielte Adriana Altaras als Dreijährige in dem Propagandafilm „Es geschah in Bosniens Bergen“ von 1964 das kleine jüdische Mädchen Erna, das durch ein Massaker der SS in Jugoslawien zur Waise wurde. An diese erste Rolle schlossen sich im Erwachsenenalter viele weitere Auftritte in Kino und Fernsehen an, ob in Dani Levys „Alles auf Zucker“ oder aktuell im Jahr 2014 als Pathologin in der Serie „Josephine Klick – Allein unter Cops“. Auch den eigenen Beruf reflektiert die Schauspielerin Altaras in ihrem (auto-)biografischen Buch „Titos Brille – Die Geschichte meiner strapaziösen Familie“, das die Regisseurin Regina Schilling nun als Dokumentation adaptiert hat. Zwischen „Titos Brille“, dem Film, und der literarischen Vorlage gibt es allerdings so eklatante Unterschiede, dass jeder Zuschauer, der auch Leser ist, in Verwirrung gestürzt wird. Die Differenzen lassen die Schwächen des Films, der auch für sich genommen kaum überzeugen kann, ganz deutlich hervortreten.

    Wer waren eigentlich meine Eltern? Wie haben sie gelebt? Welche Geheimnisse hatten sie? Das fragen sich viele, die ihre Eltern nicht kennen oder sie nur ganz wenig gesehen haben. Adriana Altaras lebte als Kind überwiegend im Waldorf-Internat, nur in den Ferien war sie zu Hause. Ein Teil der Geschichte ihrer jüdischen Eltern – Vater Jakob war ein bedeutender Professor der Medizin, Mutter Thea Architektin – blieb hinter der Schreckenshistorie des 20. Jahrhunderts verborgen, war für Adriana aber stets gespensterhaft präsent. Um Klarheit in die Familienchronik wie in ihre Gefühle zu bringen, begibt sie sich nach Gießen, wo ihre Eltern nach der Ausreise aus Jugoslawien jahrzehntelang wohnten, dann nach Italien, wo ihre Tante Jele lebt, schließlich nach Dalmatien, woher ihr Vater stammt, der im Zweiten Weltkrieg bei Titos Partisanen kämpfte – und auch in das ehemalige Konzentrationslager der kroatischen Faschisten, in dem Mutter und Tante interniert waren.

    Obwohl sie in der Mitte des Lebens steht, sprüht Adriana Altaras vor jugendlicher Frechheit, Charme und Witz. Nicht selten ist es durchaus ein Gewinn, ihren Reflexionen zuzuhören, die in eine Lauge schwarzen Humors getaucht sind. „Alles frische Christen rundherum“, klagt sie etwa auf dem Friedhof, auf dem ihr Großvater mütterlicherseits liegt, „das ist doch keine Zukunft für ihn!“ Zuweilen ist es einzig dieses Temperament, das den wenig fokussierten Film zusammenhält. Doch manchmal werden auch die Scherze schal. Und die Inszenierung ist es von Anfang an. Mit Vaters altem Mercedes zur Reise in die Vergangenheit aufzubrechen, wird nicht dadurch originell, dass Vogelkot auf die Windschutzscheibe spritzt und ein ADAC-Mann das Gefährt wieder zum Laufen bringen soll, obwohl es offenkundig gar keine echte Panne gibt. Zwischendrin sind Ausschnitte aus Super-8-Filmen aus dem Familienarchiv zu sehen, die bald die kleine Adriana allein, bald eine der Geliebten des Vaters, bald die Kleinfamilie zeigen. Und wozu das alles? Der titelgebende Mythos, der Vater habe einst dem jugoslawischen Partisanenchef und Staatslenker Tito seine Brille geborgt, wird ganz unspektakulär wie nebenher entzaubert und auch sonst ist keine klare Linie zu erkennen.

    Einen Tiefpunkt erreicht der Film, wenn Adriana Altaras für ihre Söhne Aaron und Sammy in alter Uniform als Tito posiert. Das ist vage parodistisch, aber letztlich fehlt diesem Moment jeder erkennbare ästhetische oder inhaltliche Mehrwert. Interessanter wird es, wenn Adriana ihre Mutter als eher lieblos und kalt charakterisiert (was sie sicher mit Recht auf deren Erfahrungen während des Holocaust zurückführt), während die Familienaufnahmen eine Frau zeigen, die fast immer lacht und vor der Kamera sogar eine kleine Verbeugung vollführt. Gerne hätte man über diese Diskrepanz mehr erfahren. Aber statt zu sensibler Analyse wird dieses Material lediglich genutzt, um Schlagermusik mit der im Plastik-Wasserbassin herumplanschenden Adriana zu synchronisieren. Solche Spielereien beeinträchtigen bisweilen das eigentlich ernste Anliegen, das sich in Adriana Altaras‘ Tränen an der Leidensstätte ihrer Mutter und Tante Bahn bricht. Und so bekommt dieser seriöse Kern nicht das Gewicht, das er man aus der Buch-Version kennt. Dort sind es kleine Schocks im Alltag, die die Beschäftigung mit der Vergangenheit unumgänglich machen, wobei die Perspektiven spannend vervielfältigt werden. Dem wird die Adaption kaum gerecht, die vielmehr durch nicht erklärte faktische Unterschiede irritiert – so heißt etwa der Mann von Adriana im Buch Georg und im Film Wolfgang.

    Fazit: Dieses filmische Ringen mit der Familiengeschichte fällt deutlich weniger interessant aus als die gleichnamige Buchvorlage, deren Substanz nicht konsequent auf die Leinwand gebracht wird.

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