Nur visuell herausragend
Von Björn BecherGleich drei Realfilm-Remakes eigener Animationsfilmklassiker bringt Disney 2019 in die Kinos. Doch Tim Burtons „Dumbo“ unterscheidet sich deutlich von den ebenfalls in diesem Jahr startenden „Aladdin“ und „Der König der Löwen“. Denn während die beiden Letztgenannten wie zuletzt schon „Die Schöne und das Biest“ wahrscheinlich ganz nah an ihren Vorlagen bleiben werden, ist „Dumbo“ ganz anders als das Original – und das aus gutem Grund: Der 1941 (in Deutschland aufgrund des Zweiten Weltkriegs erst 1952) erschienene Zeichentrickfilm über den titelgebenden fliegenden Elefanten ist zwar etwas konventioneller erzählt als die im Jahr davor bzw. danach veröffentlichten „Fantasia“ und „Bambi“, aber mit gerade mal etwas mehr als einer Stunde Laufzeit und nur einer einzigen wirklich viel sprechenden Hauptfigur – nämlich Maus Timothy – bietet die alte Vorlage sich heute nicht wirklich für eine nahe Adaption an.
Weil es im Gegensatz zu den Realfilm-Neuauflagen der eher „jungen“ Disney-Klassiker aus den 90er Jahren kein mit diesem Film groß gewordenes Kinopublikum mehr gibt, das mit Argusaugen auf Originaltreue achtet, konnten Regisseur Tim Burton und sein Team sich frei entfalten. Doch in ihrem mit kleinen Anspielungen auf das Original gespickten Familienfilm um zwei Kinder, ihren entfremdeten Vater und gierige Geschäftsmänner vergessen der Regisseur von visuell herausragenden Werken wie „Big Fish“ oder „Edward mit den Scherenhänden“ und sein Drehbuchautor Ehren Kruger („Transformers 2 – 4“, „The Ring“) zu oft ihren eigentlichen Protagonisten: Dumbo. Dass das Elefantenbaby mit den riesigen Ohren so beeindruckend animiert und mit Leben gefüllt ist, hilft da dann nur noch bedingt, obwohl man sich von der ersten Sekunde an in das Tier verliebt.
Zum Verlieben: Dumbo.
1919: Holt Farrier (Colin Farrell) kehrt aus dem Krieg zurück, wo er einen Arm verloren hat. In der Heimat ist derweil seine Frau gestorben und auch seinen alten Job als Westernreiter im Zirkus von Max Medici (Danny DeVito) gibt es nach dem Verkauf der Pferde nicht mehr. Seinen Kindern Milly (Nico Parker) und Joe (Finley Hobbins) zuliebe nimmt Holt eine wenig attraktive Stelle als Elefantenpfleger an. Der vom finanziellen Ruin bedrohte Zirkusdirektor Medici setzt seine ganze Hoffnung in die Dickhäuter, denn Elefantendame Jumbo ist schwanger und ein Baby könnte sich als Publikumsmagnet erweisen. Doch als Jumbo Jr. geboren wird, ist das Entsetzen groß: Er hat riesige Ohren und erschreckt mit seinem Anblick die sturköpfigen Zirkusleute. Als Milly entdeckt, dass der als „Dumbo“ verspottete Elefant fliegen kann, ist eine Sensation geboren – der Zirkus scheint gerettet. Da wird der Unternehmer V.A. Vandevere (Michael Keaton) auf Dumbo aufmerksam: Er will eine Show mit dem Elefanten und Trapezkünstlerin Colette Marchant (Eva Green) zur Hauptattraktion seines gigantischen Vergnügungsparks Dreamland machen und lockt Max, Holt und Co. mit einem Angebot, das sie nicht ablehnen können…
Als Tim Burton Anfang der 1980er Jahre seine ersten Schritte in Hollywood machte, arbeitete er in verschiedensten Funktionen bei Walt Disney und durfte dort seine ersten Kurzfilme inszenieren. Doch 1984 feuerte das Maushaus Burton. Seine Werke seien zu düster und furchteinflößend für Kinder, er habe die Gelder des Konzerns verschwendet. Erst viele Jahre später schlossen beide Seiten wieder Frieden: Mit „Alice im Wunderland“ bescherte Burton 2010 Disney schließlich einen Mega-Hit und durfte schließlich sogar mit „Frankenweenie“ gerade den düsteren Kurzfilm zum Leinwandabenteuer ausbauen, wegen dem er einst entlassen wurde. Doch nach „Dumbo“ bleibt der leise Verdacht, dass Burton doch noch ein wenig Groll hegt. Bösewicht V.A. Vandevere und sein Dreamland sind offensichtlich nur eine schlecht versteckte Allegorie auf Walt Disney und dessen Disneyland-Themenparks. Per se ist das ein vielversprechender Subtext, dabei bleibt es aber nicht: Insbesondere die dominanten Darsteller rücken dieses Thema viel zu sehr in den Vordergrund.
Burton gibt seinem einstigen „Batman“-Star Michael Keaton viel zu viel Freiraum, den der Bösewicht zum genüsslichen, vogelwilden Chargieren nutzt. Dazu noch mit lächerlicher Frisur ausgestattet, spitzt er immer wieder auf seine ganz eigene, unverkennbare Art die Lippen, verzieht das Gesicht und adressiert den Zuschauer schon mal direkt in die (sich dann fast schon spöttisch wegdrehende) Kamera. Keaton und Burton machen den Entrepreneur zur Lach- und vor allem Luftnummer. Nach und nach legt Burton frei, wie dieser sich als bewunderter und gefeierter Mega-Mogul inszeniert, in Wirklichkeit aber nur auf Pump lebt.
Für diese Demontage braucht es weiteres Personal, so dass plötzlich auch noch Oscarpreisträger Alan Arkin („Little Miss Sunshine“) als Wall-Street-Banker auftritt und dabei ebenfalls performt, als wäre der Veteran in seinem eigenen Film. Wenn er dann dem – übrigens ähnlich Over-the-Top agierenden – Danny DeVito im Angesicht einer gerade alles zerstörenden Feuersbrunst vorschlägt, einen Hot Dog essen zu gehen, stellt sich ernsthaft die Frage, ob der unpassende Spruch im Drehbuch stand oder Arkin dachte, dass bereits die Mittagspause ansteht. Bisweilen erinnert dies alles an Burtons ebenfalls mit Keaton und DeVito besetztem, ähnlich durchgeknallten „Batmans Rückkehr“. Wo dort aber völlig entfesselte und überdrehte Darsteller noch zur Comic-Vorlage passen, sind sie im Familienfilm „Dumbo“ immer wieder Fremdkörper.
In Tim Burtons „Dumbo“ sind die menschlichen Figuren überpräsent – schließlich wird nebenbei noch die Geschichte der Annäherung eines Vaters mit seinen Kindern und einer sich emanzipierenden Tänzerin erzählt. Wenn in dem wilden Mischmasch plötzlich der seit den Tagen von Henry Maske auch in Deutschland berühmte Box-Ansager Michael Buffer auftritt und seinen berühmten „Let’s Get Ready To Rumble“-Spruch auf den eigentlichen Protagonisten des Films abwandelt, klingt das fast schon wie Hohn. Denn „ready for Dumbooo“ dürften die meisten Zuschauer eigentlich die ganze Zeit sein, er ist schließlich der Titelheld. Doch obwohl er oft im Bild ist, kommt ausgerechnet die Geschichte des Elefantenbabys mit den Schlappohren viel zu kurz. Wie der früh von seiner Mutter getrennte Dumbo diese vermisst, erzählen uns vor allem die Kinder Milly und Joe, viel zu selten die Bilder. Obwohl Burton die berühmte Szene mit der eingesperrten Mutter aus dem Vorgänger sogar zitiert, hat kein einziger Moment in seiner Neuverfilmung nur annähernd die emotionale und erzählerische Kraft des durch die Gefängnisstäbe hängenden, sanft das Kind schaukelnden Trickfilm-Rüssels – und kein Moment ist auch nur ähnlich herzzerreißend wie der Abschied in dieser Szene von 1941.
Dabei hat „Dumbo“ seine starken Seiten – gerade wenn der kleine Elefant auftritt. Der ist größtenteils herausragend animiert (ein paar Flugszenen mit Eva Green auf seinem Rücken fallen ab) und hat mit seinen riesengroßen Kulleraugen eigentlich die Fähigkeit, mehr als viele menschliche Darsteller aus Fleisch und Blut zu berühren. Mit und um Dumbo gelingen Burton dann auch tatsächlich beeindruckende Einzelszenen. Wenn der Elefant und Trapezkünstlerin Colette bei der ersten Probe abstürzen und im Sicherheitsnetz landen, ist der Anblick der nebeneinander auf ihren Hintern sitzenden unfreiwilligen Partner zum einen einfach nur köstlich – sagt aber gleichzeitig etwas über die Figuren aus. Denn hier kommen sie sich näher, es wird gezeigt, wie der einsame Dumbo eine Bindung aufbaut (was danach aber wiederum kaum aufgegriffen wird).
Eva Green und Dumbo sitzen auf ihren vier Buchstaben.
Dass Tim Burton einzigartige Bilder auf die Leinwand zaubern kann, ist kein Geheimnis und zeigt sich unter anderem in den Verweisen auf den originalen Zeichentrickklassiker – von Klapperstörchen bis zur „lebenden“ Lok. Nachdem schon früh auf die berühmte Dumbo-ist-betrunken-Sequenz von 1941 in einem Dialog angespielt wird, sieht es sensationell aus, wenn Burton dann wirklich rosa Elefanten über die Leinwand schweben lässt. Da staunt dann sogar der kleine Dumbo Bauklötze und bewegt sich (selbst ohne Alkohol) beschwingt zur musikalischen Untermalung, mit der Danny Elfman hier ebenfalls auf den Klassiker verweist. An dieser Stelle schafft der Regisseur den Spagat: Burton kopiert jetzt nicht das Original, sondern schafft etwas Eigenständiges. Dabei zitiert er so gekonnt, dass Kenner sofort wissen, was gemeint ist, das übrige Publikum aber nicht ausgeschlossen wird, sondern sich einfach von der Bildpracht beeindrucken lassen kann.
Fazit: So visuell herausragend „Dumbo“ über weite Strecken ist, so erzählerisch unausgegoren ist Tim Burtons freie Adaption des Disney-Klassikers.