Zwischen Gesellschaft und Gewissen oder: Was ist Wahrheit? -
Direkt zu Beginn des Films sieht der Betrachter die 1895 stattgefundene Degradierung des französischen Artillerieoffiziers Alfred Dreyfus und seine Verurteilung zur lebenslangen Isolationshaft auf der Teufelsinsel vor Französisch-Guayana wegen Spionage für die Deutschen. Die eigentliche Hauptfigur des Films "Intrige", Oberst Marie-Georges Picquart, ist zu diesem Zeitpunkt nur Zuschauer. Später wird ihm die Leitung des Auslandsgeheimdienstes übertragen und er kommt mehr und mehr zu der Erkenntnis, dass nicht Dreyfus sondern ein anderer Offizier Spionage betrieben hat und auch immer noch tätig ist. Jedoch ist Alfred Dreyfus Jude und der in der Gesellschaft weit verbreitete Antisemitismus ist einer der Hauptgründe, warum seine Verurteilung für alle Beteiligten so bequem ist und trotz neuer Faktenlage nicht rückgängig gemacht werden soll. Für Picquart stellt sich nun die Frage, ob er seinen Vorgesetzten als Soldat gehorchen und sich der gesellschaftlichen Meinung unterwerfen oder aber seinem Gewissen aufgrund der Wahrheit folgen soll. Picquart wird schließlich zum "Whistleblower", da er mit Hilfe der Presse und vor allem des Schriftstellers Emile Zola sich vehement für eine Rehabilitierung von Dreyfus einsetzt. Zola veröffentlicht seinen berühmten Zeitungsartikel „J’accuse“ (so auch der Originaltitel des Films), in dem er Dreyfus nicht nur entlastet, sondern vor allem die Schuldigen am Fehlurteil benennt, bis hin zu höchsten Regierungskreisen. Der nun folgende Gerichtsprozess nimmt aber noch einmal einen überraschenden Verlauf.
Der Regisseur Roman Polanski "Der Pianist", "Venus im Pelz" u.v.m.) adaptierte den Roman „J’accuse“ von Robert Harris. Bei aller historischen Genauigkeit in Darstellung und Ausstattung ist der Film niemals historisierend, sondern die dargestellten Konflikte, Ungerechtigkeiten und die Verteidigung der Macht um ihrer selbst willen wirken immer beklemmend aktuell, da alle Charaktere sehr präzise herausgearbeitet sind. Modern gesprochen geht es um Whistleblower, die Macht des Antisemitismus und den Kampf für Gerechtigkeit angesichts von "alternativen Fakten". Etwas existenzieller formuliert, geht es um den Respekt vor jedem Menschen und die Anerkennung von Wahrheit, unabhängig vom eigenen Vorteil. Der Film ist aber ehrlich genug, auch die zentrale Figur des Marie-Georges Picquart differenziert zu zeigen, welcher selbst antisemitische Vorbehalte in sich trägt. Insbesondere seine finale Begegnung mit Dreyfus zeigt Picquarts Karrierewillen und die (persönlichen) Grenzen seiner Wahrheitsliebe.
In Bezug auf die Diskussion um den Regisseur Polanski (der einen Miniauftritt als Statist während einer Konzertszene hat) plädiere ich dafür, dass die Arbeit Polanskis seine persönlichen Vergehen nicht rechtfertigt und entschuldigt , aber diese neutralisieren auch nicht den Wert seiner Kunst.
"Intrige"/ "J'accuse" ist ein beklemmend aktuelles, historisch exakt ausgestattetes, sehr intensiv inszeniertes und hervorragend gespieltes Drama um einen 120 Jahre zurückliegenden Justizskandal in Frankreich, dessen Bezüge zu heute mehr als deutlich sind. Sehr sehenswert!