Schon in der Stummfilmzeit wurden die beiden 1880/81 erschienenen „Heidi“-Romane von Johanna Spyri fürs Kino adaptiert, im Laufe der Jahrzehnte folgten zahlreiche weitere Filme, später auch Fernsehserien (am bekanntesten ist in Deutschland immer noch die japanische Anime-Serie von 1974), Comics, Musicals und anderes. Nach der Realfilm-Neuauflage des Schweizers Markus Imboden aus dem Jahr 2001 und vor der kommenden französischen 3D-Animationsserie „Heidi 3D“ legt der schweizerisch-deutsche Filmemacher Alain Gsponer nun eine weitere Verfilmung der weltweit bekannten Bestseller vor. Der Regisseur, der mit „Das kleine Gespenst“ zuletzt bereits einen anderen Kinderbuchklassiker auf die Leinwand brachte, hält bei seiner exzellent besetzen Version die Balance zwischen Werktreue und Modernisierung: Seine „Heidi“ ist die aufgeweckte Heldin einer versöhnlichen Emanzipations- und Familiengeschichte, der Naturromantik schöner Landschaftsaufnahmen und dem herzlichen Loblied auf einfache Freuden steht ein realitätsbewusster Blick auf die Härten des ärmlichen Lebens der Almbewohner im ausgehenden 19. Jahrhundert gegenüber.
Alle wichtigen Stationen der „Heidi“-Geschichte, wie die Annäherung zwischen Heidi (Anuk Steffen) und dem grantigen Alm-Öhi (Bruno Ganz), die Freundschaft des Waisenmädchens zum Geissenpeter (Quirin Agrippi) und die Erlebnisse des Wildfangs Heidi in der Großstadt Frankfurt finden sich auch in dieser Adaption des Stoffes wieder. Gelegentlich werden sie ein wenig zeitgemäß aufgepeppt wie die burleske Gespensterjagd im Haus der Sesemanns, aber meist konzentrieren sich Regisseur Gsponer und Drehbuchautorin Petra Biondina Volpe („Traumland“) darauf, die einzelnen Szenen prägnant auf den Punkt zu bringen. Leben und Schwung bekommt das Ganze durch die spielfreudigen Darsteller: Anuk Steffen überzeugt als Heidi mit der nötigen Portion Wildheit und auch die vielen prominenten Nebendarsteller wie der herrlich brummige Bruno Ganz („Der Untergang“) als Großvater wider Willen, Peter Lohmeyer („Das Wunder von Bern“) als lieber Hausdiener Sebastian oder Katharina Schüttler („Freier Fall“) als überfordertes Fräulein Rottenmeier sind sichtlich mit viel Herzblut bei der Sache.
Ein Schwerpunkt liegt auch bei dieser „Heidi“ auf der Darstellung des idyllischen Almlebens und auf dem Kontrast zum beengten Stadtleben in Frankfurt am Main. Dorthin wird die neunjährige Heidi bekanntlich von ihrer Tante Dete gebracht, um der an den Rollstuhl gefesselten Klara Sesemann (Isabelle Ottmann) Gesellschaft zu leisten. Die pingelige Etikette im großbürgerlichen Haus und die Abwesenheit der Natur setzten dem Mädchen vom Lande jedoch so arg zu, dass es letztlich sogar krank wird. Die Holzfigur eines Adlers, die der Alm-Öhi seiner Enkelin geschnitzt hat, avanciert zum greifbaren Symbol für die verlorene Freiheit. Während Heidi auf der Alm frei umherwandern und das Tal überblicken konnte, muss sie in Frankfurt in einer beeindruckend zwiespältigen Szene ohne Erlaubnis auf einen Kirchturm steigen, um im städtischen Gedränge einen Blick auf die Berge zu erhaschen.
Auch wenn die Sympathien beim Stadt-Land-Gegensatz klar verteilt sind, ist Alain Gsponer um Differenzierung bemüht und stellt das Leben auf der Alm nicht nur romantisch dar, sondern zeigt auch die Armut der Bauern, die in zerschlissenen Kleidern über matschige kaum befestigte Wege waten. Im Gegenzug erscheint auch der Aufenthalt in der großbürgerlichen Sphäre in Frankfurt nicht ausschließlich als quälendes Erlebnis, denn das liebenswerte Hauspersonal oder die gütige Großmutter (Hannelore Hoger) stehen der verzweifelten Heidi zur Seite. Auch die Strenge des herrlich aufgeregten Fräulein Rottenmeier wird durch einige humorvolle Auflockerungen abgemildert. Und letztlich findet Heidi mit dem unwirschen Geissenpeter und der gelähmten Klara in beiden Welten Freunde – und findet überdies zu ihrer eigenen Stimme als Schriftstellerin in spe.
Fazit: Alain Gsponer bleibt dem Originalstoff bei seiner aufwändigen Realverfilmung von „Heidi“ treu und bringt ihn zugleich dem heutigen Publikum nahe.