Im Januar 2011 nahm die so genannte Ägyptischen Revolution auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihren Anfang. Doch wie so oft kam es nach anfänglichem Überschwang – dem schnellen Sturz des langjährigen Machthabers Hosni Mubarak und ersten, mehr oder weniger demokratischen Wahlen – schnell zur Ernüchterung: Statt Freiheit und Liberalität, nach der gerade manche jüngere Menschen verlangten, kam es zur Radikalisierung und der Machtübernahme der Islambrüder. Wie einige junge Künstler in diesen Zeiten leben und ihre Kunst zur Agitation nutzen, zeigt Marco Wilm in seinem Dokumentarfilm „Art War“. Der Regisseur liefert viele interessante Einblicke in die ägyptische Gegenwart, wird in seinem Überschwang der Komplexität der Ereignisse aber kaum gerecht.
Seit Anfang 2011 reiste Marco Wilms immer wieder nach Ägypten und filmte in der Hauptstadt Kairo, aber auch im südlicher gelegenen Luxor junge Künstler, die auf unterschiedliche Weise auf die politischen Veränderungen reagierten. Zu den prägnantesten Ergebnissen zählen dabei die Graffitis eines Künstlers, der unter dem Namen Ganzeer inzwischen weltweite Beachtung erfahren hat. Ein Vergleich zu der politisch-satirischen Street-Art Kunst eines Banksys drängt sich angesichts der unverblümten Kritik an politischen Missständen auf. Kein Wunder also, dass Ganzeer ebenso mit Problemen zu kämpfen hat wie der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad, gegen den gar eine Fatwa verhängt wurde, nachdem er die muslimische Islambruderschaft als Faschisten bezeichnet hatte.
Mit ähnlichen Problemen hat auch die Elektro-Musikerin Bosaina zu kämpfen, die auf sexuell provokante Weise die Gleichberechtigung der Frauen fordert. Sie alle beobachtet Wilms bei ihrer Arbeit und vor allem bei den zahlreichen Protesten, die im Laufe der zweieinhalb Jahre seit Anfang der Revolution immer wieder aufflammten, mal friedlicher, mal brutaler. Wo dabei seine Sympathien liegen, ist überdeutlich: Mit Verve stürzt sich Wilms in die ägyptische Subkultur, begleitet die Sprayer nächtens bei ihrer Arbeit, ist hautnah bei Demonstrationen dabei und vermittelt ein mitreißendes Bild der Energie, die in diesem Teil der ägyptischen Gesellschaft herrscht.
Doch so interessant die Künstler und ihre Kunst für sich genommen auch sind, als Repräsentanten für ganz Ägypten taugen sie nicht. Wilms verzichtet auf jegliche Hintergrundinformationen zu den Künstlern, deren teils perfektes Englisch und deutlich westlich geprägte Kunst, Ansichten und Haltungen darauf hindeuten, dass man es hier weniger mit durchschnittlichen Ägyptern zu tun hat, sondern mit Sprösslingen des wohlsituierten Bürgertums. Dass deren Vorstellung von künstlerischer und vor allem sexueller Freiheit in einer konservativen, vom Islam geprägten Gesellschaft wie der ägyptischen auf wenig Gegenliebe stößt kann nicht überraschen, ist aber auch kein Zeichen für generelle Reformunwilligkeit.
Die Komplexität der ägyptischen und damit islamischen Realität streift Wilms jedoch nur mit groben Zügen. Auch wenn er mit Texteinblendungen, die die Stationen der Entwicklung kurz zusammenfassen, den Anspruch andeutet, eine übergreifende Dokumentation abzuliefern ist „Art War“ doch vor allem das Porträt einiger Künstler, die eine kleine Subkultur repräsentieren. Als solches liefert Wilms mit seiner Dokumentation spannende Einblicke, den Versuch, das große Ganze zu erfassen wirkt dagegen zu oberflächlich.
Fazit: Mit „Art War“ gelingt Marco Wilms eine sehenswerte Dokumentation über Künstler aus Ägypten und ihre Auseinandersetzung mit Zielen und Folgen der Revolution. Als repräsentatives Bild der ägyptischen Gesellschaft sollte man „Art War“ jedoch nicht verstehen.