Mit einer authentischen Skizzierung der heutigen Jugend tun sich die „Tatort“-Autoren oft schwer: Häufig reduzieren sie die U18-Generation im Film auf plumpe Stereotypen und nötigen sie zu pseudocoolen Sprüchen und realitätsfernem Gehabe. Nach in dieser Hinsicht erschreckend weltfremden Folgen wie „Tatort: Der Wald steht schwarz und schweiget“ (Mai 2012) oder „Tatort: Dinge, die noch zu tun sind“ (September 2012) bewies zuletzt Regisseur und Drehbuchautor Stephan Wagner mit der von Presse und Publikum gleichermaßen gelobten Berliner Folge „Gegen den Kopf“, dass kriminelle Teenager im „Tatort“ durchaus auch realitätsnah porträtiert werden können. Dem 31 Jahre jungen Regisseur Oliver Kienle („Bis aufs Blut – Brüder auf Bewährung“) und dem mehrfach krimierprobten Drehbuchautor Wolfgang Stauch („Tatort: Die schöne Mona ist tot“) gelingt dies ebenfalls: Im „Tatort: Happy Birthday, Sarah“ gesteht eine 13-Jährige ein Verbrechen, das sie nicht begangen hat, und bringt die Stuttgarter Kommissare mit ihrer Sturheit zur Verzweiflung. Das gestaltet sich über weite Strecken unterhaltsam, doch für einen echten Klassekrimi fehlt es der nach bewährtem Sonntagabendschema ablaufenden Geschichte an mehr Mut und frischen Ideen.
Mitten in einem sozialen Brennpunkt steht der Stuttgarter Jugendtreff „Klaus‘ Haus“, der von dem reichen Kunsthändler Frank Schöllhammer (Patrick von Blume) finanziell gefördert und am Leben erhalten wird. Eines Morgens wird aber der Sozialarbeiter Andreas Haber (Nikolaj Alexander Brucker) ertrunken in der Toilette aufgefunden, weil sein Mörder ihn bewusstlos geschlagen und seinen Kopf anschließend in die Schüssel gedrückt hat. Unter Verdacht gerät die frühreife Sarah Baumbach (Ruby O. Fee), die aus einer kriminellen Familie stammt und häufig in dem Jugendtreff verkehrte. Als die Stuttgarter Hauptkommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) die aufmüpfige Jugendliche mit den Indizien konfrontieren, gesteht sie prompt die Tat: Haber habe sie am Abend zuvor sexuell bedrängt. Da Sarah noch nicht strafmündig ist, müssen Lannert und Bootz sie wieder auf freien Fuß setzen, doch sie hegen ohnehin Zweifel an ihrem Geständnis. Deckt Sarah den wahren Täter? Ins Visier der Ermittler gerät neben Kunsthändler Schöllhammer auch Einrichtungsleiter Sven Vogel (Tobias Oertel), der offenbar ein Auge auf den vollbusigen Teenager geworfen hat...
Keine Frage: Der Star im 888. „Tatort“ ist die in Costa Rica geborene und in Brasilien aufgewachsene Ruby O. Fee („Bibi & Tina – Der Film“, „Löwenzahn - Das Kinoabenteuer“), der Regisseur Oliver Kienle bei den Dreharbeiten viel Raum zur Eigeninterpretation ihrer Hauptfigur ließ. Das spürt man: Fee bringt die junge Rebellin, die sich von Musik der Rolling Stones und Rapper Eminem berieseln lässt, charismatisch und glaubwürdig auf die Mattscheibe, scheint nie eine Rolle, sondern einfach nur sich selbst zu spielen. Trotz der zahlreichen männlichen Verehrer ist ihre Figur aber nicht als verführerische Lolita angelegt, sondern erinnert eher an das gebeutelte „Wegwerfmädchen“ Larissa Pantschuk (Emilia Schüle), das 2012 im gleichnamigen Hannoveraner „Tatort“ zwischen alle Fronten geriet. Dass Sarah kurz vor der Strafmündigkeit steht, bietet auf der Zielgeraden die Möglichkeit für einen spannenden Countdown: Am Vorabend ihres 14. Geburtstags (der Krimititel deutet es an) bleiben Sarah nur wenige Minuten für das Begehen einer Straftat und Lannert und Bootz wollen die Jugendliche vor einer Dummheit bewahren.
So spannend wie auf der Zielgeraden geht es aber nicht immer zu: Im vorherigen Stuttgarter „Tatort: Spiel auf Zeit“, in dem Polizistengattin Julia Bootz (Maja Schöne) ihren Mann verließ und damit gehörig Tempo aus der Kriminalgeschichte nahm, banden die Filmemacher dem Krimi einen Klotz ans Bein, der sich noch spürbar auf den Nachfolger auswirkt. Auch „Happy Birthday, Sarah“ wird durch den Bootzschen Familienkitsch immer wieder ausgebremst: Diesmal nervt vor allem der Sohnemann, der das Diensthandy seines in Sachen Kinderhüten gänzlich unerprobten Vaters spontan in der Badewanne versenkt und dem erfolgreichen Papa bei einer Festnahme vom Streifenwagen aus frenetisch zujubelt. Ähnlich wie im Hannoveraner „Tatort“ mit der alleinerziehenden LKA-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler), die ihren Kleinen seit dem Auszug von Mitbewohner Martin Felser (Ingo Naujoks) allein durchbringen muss, erweisen sich auch die konstruiert wirkenden Familienszenen in der provisorisch eingerichteten Wohnung von Neu-Single Bootz als pure Spannungskiller. Ansonsten bildet nicht nur das frisch gestrichene Kinderzimmer eine auffallend bunte Kulisse: Große Teile des Krimis spielen vor grellen Graffitibildern des poppig dekorierten Jugendclubs, in den sich Lannert vorübergehend undercover als Streetworker einschleust.
Während dieser Handlungsstrang eher halbherzig ausgearbeitet wird, sind die Szenen mit Sarahs Schwester Jeanette (Britta Hammelstein) und ihrem rabiaten Lover Ronald (Antonio Wannek) rundum gelungen: Der dreimalige „Tatort“-Autor Wolfgang Stauch liefert knackige Dialoge und skizziert das Milieu der Stuttgarter Unterschicht authentisch und ungeschönt, während sich Regisseur Kienle jederzeit auf seine Besetzung verlassen kann. Für Stuttgarter Verhältnisse – das „Ländle“ ist nun mal nicht Münster – fällt der „Tatort“ zudem überraschend humorvoll aus: Lannert („Versuchen Sie’s mal mit der Wahrheit, dann kann man sich besser an die Details erinnern!“) übt sich in lässigen One-Linern, und der wild tätowierte Ex-Knacki Ronald („Na, zurück in der Hölle des Löwen?“) stiehlt in den emotionalen Streitgesprächen mit seinen eben nur fast korrekten Phrasen mehrere Szenen. Eher unfreiwillig amüsant ist – zumindest für das ortskundige schwäbische Publikum – das Abendessen von Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) im piekfeinen Restaurant des Stuttgarter Fernsehturms: Die Touristenattraktion wurde kurz nach Abschluss der Dreharbeiten wegen Brandschutzgefahr für die Öffentlichkeit geschlossen.
Fazit: „Happy Birthday, Sarah“ ist ein unterhaltsamer und mit subtilem Humor gespickter „Tatort“, dem mehr Mut zum Unkonventionellen allerdings gut zu Gesicht gestanden hätte.