Das wirkliche Objektivität kaum möglich ist, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Eigene Erfahrungen spielen bei der Betrachtung stets eine Rolle, seien es Filme oder Eingeborene im Dschungel. Gerade bei letzteren beeinflusst die eigene Persönlichkeit zudem das Objekt der Analyse, ein Problem, das reflektierten Ethnologen seit langem bewusst ist und welches der unterschwelliger Leitfaden von Michael Oberts dokumentarischem Essayfilm „Song from the Forest“ ist. Vordergründig ein schlichtes Porträt des amerikanischen Musikforschers Louis Sarno, der seit Jahrzehnten im zentralafrikanischen Dschungel bei einem Pygmäen-Stamm lebt, geht es bald doch vor allem um kulturelle Gegensätze, (post-)koloniale Haltung und die Schwierigkeit, sich zu assimilieren.
Als junger Mann, so erzählt es seine damalige Freundin, hörte Louis Sarno im Radio den geheimnisvollen Gesang der Bayaka-Pygmäen, die tief im Dschungel Zentralafrikas Leben, weitestgehend abgeschottet von der Außenwelt. Sarno machte sich auf eine Reise ins Unbekannte, lebte bald als Teil des Pygmäen Stammes und nahm hunderte Stunden ihrer Musik und ihres Gesangs auf. Von dieser Geschichte hörte der Reisejournalist Michael Obert, suchte und fand Sarno im Dschungel und hat mit „Song from the Forest“ seinen ersten Film gedreht, der sich auf interessante, wenn auch nicht immer überzeugende Weise einer klaren Definition entzieht.
Als reiner Dokumentarfilm etwa überzeugt „Song from the Forest“ nicht, dazu bleibt Oberts Blick zu vage, werden zu viele Aspekte von Sarnos Leben kaum mehr als angedeutet, bleiben zu viele Fragen offen. Zwingender ist da schon die reine Beobachtung von Sarnos Leben bei den Pygmäen, wo er eine Frau und auch einen Sohn namens Samedi hat. Der ist inzwischen 13 Jahre alt und steht vor seiner ersten Reise nach Amerika, wo er im kalten New York die Heimat seines Vaters kennen lernen soll. Diese Reise, dieser Kontrast zwischen zwei völlig unterschiedlichen Welten ist der lose rote Faden, an dem entlang sich Oberts Film in der zweiten Hälfte entwickelt.
Nach und nach schält sich dabei der interessanteste Aspekt des Films heraus, der sich auf subtile Weise mit essentiellen Fragen beschäftigt: Ist es selbst für einen Mann wie Sarno möglich, zum gleichberechtigten Teil eines Pygmäen-Stammes zu werden? So weltoffen und voller guter Absichten Sarno fraglos auch ist, so lange er schon als Teil des Stammes lebt und durch Frau und Kind auf einer Ebene auch zu einem unzertrennlichen Teil geworden ist, er bleibt doch immer ein Fremder. Wenn er etwa von seiner Reise nach Amerika zurückkommt sieht er sich ständig Fragen nach Geld ausgesetzt, da er eben immer noch auch als „reicher weißer Mann“ betrachtet wird. Und auch das er eine Art Mentoren-Funktion für die Stammesbewohner übernommen hat, ihnen (westliche) Medizin gibt, mit seinem Radio immer noch Kontakt zum „Außen“ hält, lassen ihn trotz allem als Fremdkörper erscheinen.
Ebenso fremd wirkt er allerdings auch im modernen New York, dass er durchaus zu Recht als extrem kapitalistischen, latent oberflächlichen Ort wahrnimmt. Betont wird der Kontrast dieser zwei Welten durch bewussten Einsatz von Bild und Ton, mit dem Obert auf nicht immer subtile Weise die Unterschiede andeutet. Inwieweit er mit seinem Film auch das Selbstverständnis seines Protagonisten in Frage stellt, der seine eigene Rolle beim schleichenden Verlust der Kultur der Bayaka-Pygmäen nicht wirklich wahrzunehmen scheint, bleibt dabei offen. So oder so ist Michael Oberts „Song from the Forest“ ein spannender, visuell und akustisch reicher Film, der viel über das Verhältnis unterschiedlicher Kulturen erzählt.
Fazit: Mit seinem ersten Film „Song from the Forest“ gelingt dem Reisejournalisten Michael Obert ein spannender Blick auf das schwierige Verhältnis zweier völlig konträrer Kulturen, das vordergründig das Porträt eines Mannes ist, in Wirklichkeit aber viel mehr erzählt.