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    Das Testament des Dr. Mabuse
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Das Testament des Dr. Mabuse
    Von Ulrich Behrens

    Kein geringerer als Propagandaminister Goebbels selbst soll persönlich für das Verbot von Fritz Langs „Das Testament des Dr. Mabuse“ gesorgt haben, weil dieser Film beweise, „dass eine bis zum äußerten entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie es nur ernstlich will, durchaus dazu imstande ist, jeden Staat aus den Angeln zu heben“. Diese Begründung hätte ebenso gut auf die Machtübernahme Hitlers selbst gemünzt sein können. Und nach dem zweiten Weltkrieg hatte auch Lang selbst erklärt, der Film sei gegen die Nazis gerichtet gewesen. Tatsächlich könnte man den Streifen so interpretieren. Es bleibt aber zweifelhaft, ob der eher unpolitische Fritz Lang während der Entstehung des Films tatsächlich an die Nazis gedacht hatte. Denn der erste Teil der Mabuse-Saga war bereits 1922 zu einer Zeit, als von Hitler noch nicht viel zu bemerken war, ebenfalls nach einem Roman Norbert Jacques, unter dem Titel „Dr. Mabuse, der Spieler“ und der Regie Langs als Stummfilm zu sehen. Die Geschichte selbst ist in verschiedenen Zeiten durchaus verschieden interpretierbar und würde, heutzutage gedreht, zum Beispiel als Angriff auf terroristische Strömungen ausgelegt werden können.

    Der Wert des Films ist gar nicht zu überschätzen. Denn etliche Szenen wurden zu Marksteinen des Action- und des Horrorfilms späterer Jahre und Jahrzehnte. Auch das Genre selbst – zwischen Crime, Horror und Mystery – erhielt durch den Film einen mächtigen Schub nach vorne. Lang, der sich durch „Metropolis (1927) und „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ (1931) einen Namen gemacht hatte, produzierte 1960 einen weiteren Mabuse-Film unter dem Titel „Die tausend Augen des Dr. Mabuse“. Durch den Publikumserfolg dieses Films entschied sich Produzent Artur Brauner, zwei weitere Mabuse-Filme drehen zu lassen: „Im Stahlnetz des Dr. Mabuse“ (1961) und „Die unsichtbaren Krallen des Dr. Mabuse“ (1962) wurden unter der Regie von Harald Reinl inszeniert. Und 1962 erschien ebenfalls das Remake „Das Testament des Dr. Mabuse“ unter der Regie von Werner Klingler. Zwei weitere Mabuse-Filme aus den Jahren 1963 und 1964 litten unter Einfallslosigkeit und inszenatorischem Dilettantischismus. Neben den damaligen Edgar-Wallace-Adaptionen beherrschten die Mabuse-Filme das Krimi-Genre der ersten Hälfte der 60er Jahre in Deutschland.

    Lang erzählt die Geschichte des in der Psychiatrie einsitzenden Dr. Mabuse, gespielt von Rudolf Klein-Rogge, der kaum Text sprechen musste. Schon die erste Szene des Films ist mehr als beeindruckend. Unter dumpfen, eintönigen Maschinengeräuschen sieht man einen Mann, der sich in einer Art Kellerraum, der mit allerhand Gegenständen vollgestopft ist, zu verstecken sucht. Die Angst steht ihm im Gesicht geschrieben. Als zwei Männer den Raum betreten, verbirgt sich der Ängstliche hinter einer größeren Truhe. Die beiden Männer sehen seinen Fuß, der hinter der Truhe hervorragt. Der Mann, ein wegen Bestechung entlassener Ex-Polizist namens Hofmeister (Karl Meixner) kann zwar entkommen, aber etliche andere verfolgen ihn, versuchen ihn zu töten, bis es zu einer Explosion kommt.

    Hofmeister gelingt es, seinen ehemaligen Kollegen Kommissar Lohmann (Otto Wernicke) anzurufen. Bevor er allerdings irgendeine fundierte Aussage machen kann, sitzt Hofmeister plötzlich im Dunkeln. Es fallen Schüsse, und Lohmann muss annehmen, Hofmeister sei tot.

    Derweil hält der leitende Arzt der psychiatrischen Klinik, in der Mabuse untergebracht ist, vor Studenten einen Vortrag über Dr. Mabuse. Die Studenten und wir erfahren von Prof. Dr. Baum (Oscar Beregi Sr.), dass Mabuse, ein ehemaliger Arzt, seine hypnotischen Fähigkeiten und seine überdurchschnittliche Intelligenz für die Planung von Verbrechen genutzt habe. Als Mabuse in die Anstalt eingeliefert worden sei, habe er zunächst nur wirres Zeug zu Papier gebracht. Später aber habe er pro Tag Dutzende von Seiten beschrieben. Mabuse sitze stumm in seiner Zelle und schreibe den ganzen Tag. Ansprechbar sei er nicht. Mabuse, so erfahren wir dann, schreibt an seinem Testament.

    Als der Kollege von Dr. Baum, Dr. Kramm (Theodor Loos), einige dieser Aufzeichnungen in Baums Zimmer entdeckt und feststellt, dass dort ein Juwelenraub detailliert so beschrieben wird wie in der Zeitung, vermutet er, dass Mabuse aus der Zelle heraus weiter Verbrechen anstifte. Auf der Fahrt zu Lohmann, dem er dies berichten will, wird Kramm aus einem Auto heraus erschossen. Kurz darauf finden Lohmann und seine Kollegen Hofmeister – völlig durcheinander und unfähig ein klares Wort zu sprechen. Auch er kommt in die psychiatrische Anstalt Baums. Obwohl Lohmann auf einer Fensterscheibe eingeritzt einen Hinweis von Hofmeister auf Mabuse als Urheber von Verbrechen erhält, sieht sich der Kommissar enttäuscht, als er erfährt, Mabuse sei inzwischen in der Anstalt verstorben.

    Trotzdem bekommen die Bandenmitglieder Mabuses – wir sehen u.a. Theo Lingen, Paul Henckels, Oskar Höcker, Rudolf Schündler, Camilla Spira und Hadrian Maria Netto als Gangster – weiterhin Anweisungen von einem Mann hinter einem großen Vorhang. Lebt Mabuse doch noch?

    Erst die Hinweise eines Gangsters, der schon lange aussteigen will, Thomas Kent (Gustav Dießl), der aber angesichts der Todesdrohungen Mabuses gegen jeden Verräter bislang nicht den Mut gefunden hatte, die Bande an die Polizei zu verraten, bringen den im Dunkeln tappenden Lohmann auf die Spur des mysteriösen Chefs der Gauner. Die Liebe der jungen Lilli (Wera Liessem) bestärkt Kent in seinem Vorhaben, Lohmann alles zu sagen, was er weiß. Beide müssen feststellen, dass Mabuse – oder wer auch immer – Anschläge auf ein chemisches Werk, die Vernichtung der Ernten und die Auslösung von Epidemien plant. Die Zeit drängt ...

    „Die Seele der Menschen muss in ihren tiefsten Tiefen verängstigt werden durch unerforschliche und scheinbar sinnlose Verbrechen ... Verbrechen, deren Zweck nicht einmal die erfassen, die sie ausüben ... Verbrechen, die niemandem Nutzen bringen, die nur den einen Sinn haben, Angst und Schrecken zu verbreiten!“

    (aus dem Testament des Dr. Mabuse „Herrschaft des Verbrechens“)

    Lang kreiert mit Mabuse den Prototyp des psychopathischen Gewaltverbrechers, des unumschränkt über seine Untergebenen herrschenden Machtmenschen, der das Chaos zum obersten Gesetz erheben will, eine gespaltene, letztendlich einsame Persönlichkeit, wobei sich Lang nicht etwa für die Ursachen dieser Persönlichkeitsspaltung interessiert, sondern für die Folgen, die sie zeitigt. (Vieles von dem, was Lang mit Mabuse kreiert hat, findet man später etwa in den Bösewichtern in James-Bond-Filmen wieder.)

    Was wir von Mabuse erfahren, erfahren wir nicht von ihm selbst, sondern nur über andere. Auslöser des Verhaltens Mabuses scheint die Einschätzung zu sein, dass die Menschen das Recht auf Leben verwirkt hätten angesichts des Grauens, das sie immer wieder anrichten. Deshalb müsse man die Menschheit vernichten.

    Lang verknüpft immer wieder abwechselnd unterschiedliche Handlungsebenen zu einer homogenen und chronologisch erzählten Geschichte. Wir sehen Szenen im Milieu der Kriminellen, die Mabuse gehorchen, auch wenn sich einige manchmal fragen, welchen Sinn bestimmte Anordnungen Mabuses haben sollten, Szenen im Büro Lohmanns, dann die Szenen, in denen Lilli und Kent sich näher kommen (hier sieht man die einzige Rückblende des Films). Diese unterschiedlichen Handlungsebenen und -orte führt Lang – für die damalige Zeit, als der Tonfilm noch in den Kinderschuhen steckte erstaunlich – zu einem phantastischen Ganzen zusammen. Wie ein Puzzelspiel entsteht so ein zum Schluss einheitliches Bild des Geschehens.

    Lang arbeitete auch mit Trick, vor allem in zwei oder drei Szenen, als der Geist des toten Mabuse Dr. Baum erscheint, ihm das fertiggestellte Testament überreicht und sozusagen seinen Geist auf Baum überträgt. Selbst unter heutigen Maßstäben ist der Film noch immer spannend, und der Begriff Suspense hat hier durchaus seine Berechtigung.

    Das gilt auch für andere (Schlüssel-)Szenen des Films, etwa schon die Verfolgung Hofmeisters zu Beginn, die mit einer Explosion endet. Oder eine Szene, in der Kent und Lili in einem hermetisch verschlossenen Raum durch die Zerstörung der Wasserleitung versuchen, die Explosion, die ihren Tod bewirken soll, durch das ausströmende Wasser zu lindern. Auch die Szenen, in der eine brennende chemische Fabrik gezeigt wird mit sich daran anschließender Autoverfolgungsjagd, sowie die vorhergehende Szene mit einer Schießerei zwischen den Gangstern in Juwelen-Annas Wohnung und der sich im Treppenhaus verbarrikadierenden Polizei setzten filmische Maßstäbe für die Zukunft.

    Insgesamt schließlich ist „Das Testament des Dr. Mabuse“ von jener – damals ungewohnten, später allerdings in vielen Filmen weit verbreiteten – düsteren Atmosphäre des Unentrinnbaren charakterisiert, einer Atmosphäre, in der sowohl die Polizei, als auch die Gangster, und erst recht Kent und Lilli in verhängnisvoller Weise den Machenschaften eines (außer für Baum) unsichtbar Wirkenden ausgeliefert scheinen, bis sich das Blatt schließlich wendet.

    Klein-Rogge – obwohl er nur als „Geist“ einige Worte haucht und schweigsam in seiner Zelle eingesperrt ist – wirkt durch die Art dieser Inszenierung überzeugend als das Böse, Gefährliche schlechthin, dem man nicht entkommen kann. Sein Gegenpart ist Lohmann, den Wernicke als ruppigen, manchmal leicht hysterischen, aber irgendwo auch herzensguten Kriminalisten alten Schlags spielt. Gustav Dießl spielt glaubhaft einen Mann, der dem Verbrechen entsagen will, sogar seine Liebe zu Lilli aufs Spiel setzt, als er keinen Ausweg sieht, um Mabuse zu entkommen. Oscar Beregi zeigt in der Rolle des Dr. Baum die Entwicklung eines fähigen Psychiaters, der allerdings schon ganz am Anfang eine gefährliche Faszination für Mabuse hegt, zum geistigen und praktizierenden Nachfolger Mabuses.

    Das Düstere des Films beherrscht nicht nur die nächtlichen Szenen, sondern auch das Tagesgeschehen, das sich – bis auf eine Szene, in der Dr. Kramm ermordet wird – fast ausschließlich in den Räumen der Polizei, der Gangster (Kellergeschoss ohne Fenster) und der Psychiatrie (Zimmer von Dr. Baum und abgeschlossene Patientenräume) ereignet. Die nächtlichen Szenen hingegen spielen sich oft im Freien ab, etwa auf der Landstraße (Verfolgungsjagd), bei der chemischen Fabrik. Dadurch entsteht in jedem Moment des Films eine klaustrophobische Grundstimmung, eine räumliche Beengtheit, die dem Film das bereits genannte Moment des Unentrinnbaren, fast Schicksalhaften verleiht. Das erlösende Moment entsteht durch eine Liebesszene zwischen Lilli und Kent, nach der Kent den Entschluss fasst, sich Lohmann zu offenbaren und ihm bei der Verfolgung der Verbrecher zu helfen. Diese Liebesszene kommt zwar – insbesondere im Spiel von Wera Liessem – etwas holprig daher, erzeugt durch die Abkehr vom Verbrechen und das befreiende Element des Geständnisses Kents gegenüber Lilli aber die Kehrwendung des Films.

    Lang lässt übrigens durch den erscheinenden Geist Mabuses durchaus offen, ob es sich hier um eine „wirkliche“ Geistererscheinung im telepathischen Sinne oder eine geistige Beeinflussung eines von Mabuse faszinierten Psychiaters handelt, der sich aufgrund dieser Schwäche einbildet, Mabuses Geist vor sich zu sehen.

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