„There’s an elephant in the room“ – einer der tierischen Gags in Disneys „Zoomania“ könnte programmatisch über dem ganzen von Byron Howard („Rapunzel – Neu verföhnt“) und Rich Moore („Ralph reichts“) inszenierten 3D-Animationsabenteuer stehen. Denn der im Englischen sprichwörtliche Elefant im Raum (gemeint ist etwas total Offensichtliches, das alle beschäftigt, aber niemand ausspricht) sorgt nicht nur für einen klassischen Lacher, wenn die Filmemacher die Redewendung wörtlich nehmen und sich im vergrößerten Bildausschnitt schließlich zeigt, dass sich tatsächlich ein Verwandter von Dumbo zwischen all den anderen Tieren im Zimmer befindet, sondern beschreibt auch ein wenig, wie hier unter dem Gewand versöhnlicher Familienunterhaltung heiße thematische Eisen angefasst werden. Wenn es in der Fabel um die Häsin Judy also um Diskriminierung, Vorurteile und vermeintliche biologische Determination geht, dann liegt der Gedanke an die echten Konflikte in Amerika nahe und damit auch an den fremdenfeindlichen Elefanten im Porzellanladen des Wahlkampfs, den milliardenschweren Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Angesichts von dessen populistischer Haudraufattitüde wirkt das sanfte Plädoyer des Films für ein verträgliches Miteinander gleich noch sympathischer. Zwar ist „Zoomania“ erzählerisch manchmal etwas holprig und die politische Parabel wirkt bisweilen arg bemüht, aber dafür darf ein Faultier namens Flash (!) den Film für ein paar zwerchfellerschütternde Minuten vollkommen an sich reißen (wobei reißen nicht ganz das passende Wort ist).
Schon seit Kindheitstagen hat die kleine Judy Hopps (Stimme im Original: Ginnifer Goodwin / deutsche Stimme: Josefine Preuß) einen großen Traum. Die Häsin aus dem beschaulichen Karottenbauern-Örtchen Nageria möchte die erste Hasen-Polizistin in der Hauptstadt Zoomania werden. Tatsächlich absolviert sie die Ausbildung mit Erfolg und bricht voller Enthusiasmus in die Metropole auf. Doch ihr neuer Vorgesetzter, der bullige Büffel Bogo (Idris Elba) hält nicht viel von Kleintieren bei der Polizei und teilt Judy zum Knöllchenschreiben ein. Auch an diese Aufgabe geht sie mit großem Ehrgeiz heran und erwischt nebenbei den Fuchs Nick Wilde (Jason Bateman) bei einer abgefeimten Eiscreme-Gaunerei. Als die verzweifelte Mrs. Otterson, die ihren Mann vermisst, bei Bogo auf taube Ohren stößt, ist Judy wild entschlossen, der armen Frau zu helfen und bekommt 48 Stunden Zeit, den Fall zu lösen. Schnell ist Judy einer Verschwörung um das Verschwinden von 14 Raubtieren auf der Spur, doch um in der Sache weiterzukommen, ist sie ausgerechnet auf die Hilfe des listigen Nick angewiesen …
Die Vermenschlichung von Tieren ist ja ohnehin eine alte Disney-Spezialität, aber in „Zoomania“ erreicht sie neue Dimensionen. Hier wird die ganze Vielfalt der Fauna in einer Stadt für alle Tiere vereint, die nicht nur als Spiegel- und Vorbild für unsere Menschenwelt fungiert, sondern den Designern und Animateuren auch die Gelegenheit gibt, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen. Wenn Judy mit dem Zug in Zoomania einfährt, dann entspricht ihr Staunen dem des Publikums bei der Entdeckung der originellen Bezirke – vom Sahara-Platz mit seinen Haus-Dünen über das eisige Tundratown bis zum dampfenden Amazonas-Viertel. Auch das Spiel mit den Größenunterschieden führt immer wieder zu spaßigen Situationen, etwa wenn Judy sich bei einer Verfolgungsjagd plötzlich im Miniaturviertel der Kleinnager wiederfindet oder wenn die Hochzeitsfeier der Familie des Spitzmaus-Mafiosi („Der Pate“ lässt grüßen) von riesigen Eisbären bewacht wird. Der visuelle Einfallsreichtum ist beeindruckend und was bei dem ganzen städtischen Gewusel alles im Hintergrund passiert, lässt sich nur bei mehrmaligem Sehen ganz erfassen. Einige Figuren gehen zudem unmittelbar in den Kanon denkwürdiger Disney-Schöpfungen ein, wie der gutmütige Gepard Clawhauser (Nate Torrance) am Empfang des Polizeihauptquartiers und natürlich das Faultier Flash (Raymond S. Persi / Rüdiger Hoffmann) in der Kraftfahrzeugzulassungsstelle, das die mit einem Behördengang üblicherweise verbundene Geduldsprobe auf ein ganz neues Level hievt.
Die Chemie zwischen den beiden Protagonisten stimmt, aber zuweilen werden sie durch die Erfordernisse des Wir-überwinden-Hindernisse-und-Vorurteile-Plots gehemmt: Der schöne Theater-Prolog mit Judys großem Traum von der Polizei-Karriere und eine Eisdielen-Szene, in der sich ein Elefant weigert, einen Fuchs zu bedienen, und auch auf die ordnungshütende Häsin nicht hören will, sind sehr prägnant auf den Punkt gebracht, doch einige der späteren Volten über ethnische Vorurteile, Quotenregelungen, Angst vor Fremden, einen machohaften Polizeiapparat und andere brisante Themen wirken verkrampft. Manchmal scheint es so, als hätten die Macher den Titel des Songs von Gazelle (Shakira), dem Megastar aus Zoomania, allzu wörtlich genommen: „Try Everything“. Das lässt sich auch bei den wie gewohnt zahlreichen Zitaten und Anspielungen konstatieren, bei denen es gelegentlich überdeutlich zugeht („Breaking Bad“-Fans werden wissen, was gemeint ist). Selten kommen Augenschmaus und Fabulierlust, Nachdenkliches und Amüsantes so überzeugend zusammen wie in einem der großen komischen Highlights in einer Yoga-Nudisten-Oase, wo all die gezähmten und wohlerzogenen Tiere ungeniert die lästigen Kleider abschmeißen: Die Schweine können endlich mal die Sau rauslassen und sich im Schlamm suhlen, während die Raubkatzen in aller Ruhe die Krallen ausfahren dürfen, um sich zu putzen. Selbst als die Polizei zum Verhör erscheint, lässt sich eine tiefenentspannte Elefantendame nicht in ihrer Wellness-Idylle stören - sie vollführt weiter ihre Yoga-Verrenkungen und denkt nicht daran, ihre Blöße zu bedecken. Auch Schamgefühl ist relativ.
Fazit: In Disneys Animationskomödie über den Menschen im Tier stehen Fuchs und Hase im Mittelpunkt – der wahre Star ist aber ein Faultier.