Paolo Virzì hat für seine neue Arbeit „Human Capital“ eine Romanvorlage adaptiert – was hier besonders wörtlich zu verstehen. Es ist eine Anpassung und Umarbeitung zugleich, die weit entfernt vom puren Umsetzen des Textes in ein neues Medium ist. Stephen Amidons gleichnamiges Buch wurde 2004 veröffentlicht, nach Euro- und Immobilienkrise gelangte es aber gerade im südeuropäischen Raum zu damals noch ungeahnter Aktualität. Ohne die realen historischen Begebenheiten allzu explizit zu thematisieren, verstrickt Virzì zwei Familien in ein Netz aus Abhängigkeit, Gier, Sehnsucht und Schuld. Das ist mal komisch, dann wieder ausgesprochen deprimierend, aber immer klug erzählt – so klug, dass sich allerdings hin und wieder der Eindruck einstellt, er schiebe seine so sorgfältig gezeichneten Figuren sehr kalkuliert über ein dramaturgisches Schachbrett, auf dem jeder eine klar zugeteilte Funktion zu erfüllen hat.
Virzì strukturiert seinen Plot um die drei Hauptfiguren, jede von ihnen bekommt ein eigenes Kapitel zugeteilt: Da ist Dino Ossola (Fabrizio Bentivoglio), ein Immobilienmakler, dessen Geschäft ziemlich am Boden liegt. Als seine Tochter Serena (Matilde Gioli) sich auf eine Romanze mit dem Sohn der wohlhabenden Familie Bernaschi einlässt, hofft Dino, als Investor ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen, den Giovanni Bernaschi (Fabrizio Gifuni) verwaltet. Dessen Frau Carla (Valeria Bruni Tedeschi) wird gleich doppelt enttäuscht, als ihr Gatte neben dem Eheleben auch noch das marode Theater vernachlässigt, von dem er versprochen hatte, es unter ihrer Leitung zu neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Aber es ist Serena, bei der alle Fäden zusammenlaufen, vor allem in einer Nacht, die mit einer enttäuschenden Preisverleihung begann, mit einer wilden Party unter Jugendlichen weiterging – und an deren Ende ein Radler tödlich verletzt im Straßengraben liegt und niemand weiß, wer diesen Unfall verursacht hat.
Zu Beginn scheint die Sache auf ein simples Moralstück hinauszulaufen. Geradezu holzschnittartig wirken die Handelnden konturiert. Allen voran der schlichte, aber gutherzige Gernegroß Dino, der sich Mächten unterwirft, die er nicht im Ansatz durchblickt, der mit Lügen und falschem Lächeln auf die Katastrophe zutreibt, ein wenig wie Willy Loman in Arthur Millers Dramentext „Tod eines Handlungsreisenden“ oder wie Woody Allens „Blue Jasmine“. Allzu aalglatt und hinterfotzig erscheint dagegen Fondsmanager Giovanni, allzu klassisch frustriert, verwirrt und in Ersatzbefriedigungen gestürzt seine Frau Carla. Ganz klar: Hier wird das Kapital Amok laufen, und alles Menschliche um sich herum vernichten, oder?
So ist es, und so ist es auch wieder nicht. Der große Kunstgriff von Paolo Virzì besteht gerade darin, Schablonen vorzustanzen und diese dann nach und nach nicht nur mit Leben zu erfüllen, sondern auch den Fokus der Erzählung zu verschieben. So geht es weg von einer schlichten Fabel um Gier und Ausbeutung, hin zu einem undurchsichtigen, vielleicht kriminalistischen, vielleicht tragischen, vielleicht gar nur zufällig verknoteten Geflecht. Die Perspektivwechsel lassen dabei jede Figur – vor allem die Frauen – ihre Motivationen und Ängste, ihr unordentliches Leben oder den Versuch, ein allzu geordnetes Leben erst unordentlich zu machen, nachvollziehbar darlegen.
All dies entfaltet sich freilich im Zeichen großen Unheils: zum einen der Fahrerflucht, die bald beiden Familien die Polizei auf den Hals hetzt, und zum anderen der sozialen Struktur von Arm und Reich, die sich zwar im weiteren Verlauf einigermaßen gut versteckt, aber dennoch sehr konsequent noch in die kleinsten Verästelungen der Erzählung und in die Wünsche und Nöte der Figuren einschleicht. Die Einfühlsamkeit und die Kunstfertigkeit, mit der Erwartungen hier aufgebaut, dann so weit wie nötig bestätigt und so kräftig wie möglich widerlegt werden, sind herausragend – nur ein kleiner Beigeschmack bleibt. Dies hängt nicht nur am unnötig plumpen Schluss, sondern vielmehr an der gewollt kunstvollen Konstruktion der Handlung und Konstellation der Figuren. Serena, Dino und Co. sind so lebendig, dass man beinahe – aber eben nur beinahe – nicht bemerkt, dass sie doch sehr stark als Repräsentanten einer Idee herzuhalten haben, in die sich letztlich alles verdächtig gut und widerstandlos einfügt.
Fazit: Paolo Virzì hat sich mit „Human Capital“ an einer Moralfabel versucht, die keine sein möchte – was dank der einfühlsamen Figurenzeichnung auch über weite Strecken gelingt.