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    Draußen ist Sommer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Draußen ist Sommer
    Von Lars-Christian Daniels

    Es war einmal ein glückliches Ehepaar, das hatte einen Sohn. Der Kleine bereitete seinen Eltern große Sorgen, denn er sprach in den ersten Jahren seines Lebens kein einziges Wort. Als die Familie aber eines Tages beim Mittagessen saß, sagte der Sohn plötzlich: „Da fehlt Salz!“ – und auf die Frage seiner überglücklichen Mutter, warum er denn bisher nicht gesprochen habe, antwortete er: „Bisher war ja alles in Ordnung...“ Dieser Kinderwitz ist schon ein wenig in die Jahre gekommen – doch die Horrorvorstellung, dass der eigene Sprößling keinen Laut von sich gibt, ist für junge Eltern zweifellos zeitloser Natur. Genau diesen Alptraum muss eine deutsche Familie in Friederike Jehns „Draußen ist Sommer“ durchleben: Das Nesthäkchen der Familie stellt nach dem Umzug in ein neues Haus plötzlich das Reden ein und bringt damit vor allem seine Mutter zur Verzweiflung. Doch es ist nicht das einzige Problem, das in Jehns Familiendrama gelöst werden will: Mit treffsicheren Dialogen und gutem Gespür für ihre Figuren entspinnt die Berliner Filmemacherin eine authentische Familienkrise, in der vor allem die blendend aufgelegte Hauptdarstellerin Maria-Victoria Dragus („Scherbenpark“) brilliert.

    Die 14-jährige Wanda (Maria-Victoria Dragus) steckt mitten in der Pubertät. Gemeinsam mit ihrem beruflich erfolgreichen, aber stark eingespannten Vater Joachim (Wolfram Koch), ihrer psychisch labilen Mutter Anna (Nicolette Krebitz) und ihren beiden jüngeren Geschwistern Sophie (Audrey von Scheele) und Bubi (Nalu Walder) zieht sie von Süddeutschland in die Schweiz – und sieht sich dort erst einmal isoliert. Der Geschichtslehrer macht politisch inkorrekte Witze über ihren Vornamen, ihre Klassenkameradinnen lassen sie links liegen und der süße Bademeister Theo (Joel Basman) will sie nur schnell ins Bett kriegen. Einzig der seltsame Nachbarsjunge Hannes (Philippe Graber) zeigt ernsthaftes Interesse an ihr, scheint sich geistig aber nicht ganz auf Augenhöhe mit Wanda zu bewegen. Doch das Mädchen hat eigentlich auch andere Sorgen als Jungs: Ihre Eltern haben sich nach einem handfesten Streit nichts mehr zu sagen, ihr kleiner Bruder spricht plötzlich kein Wort mehr und die Familie droht langsam aber sicher auseinanderzubrechen...

    Du hast da was im Auge.“, stellt der angetrunkene Theo fest, als er der mit blauer Federboa und falschen Wimpern aufgebrezelten Wanda auf einer Hausparty ihren ersten Kuss verpassen will – und weckt damit unweigerlich Erinnerungen an den knuffigen Thomas J. (Macaulay Culkin) in „My Girl“, der seine freche Freundin Vada (Anna Chlumsky) zum ersten Mal mit rotem Lippenstift erblickt („Deine Lippen bluten!“). „Draußen ist Sommer“ ist aber nur teilweise ein humorvoll angehauchtes Coming-Of-Age-Drama über die ersten Frühlingsgefühle und den schwierigen Neuanfang in einer ungewohnten Umgebung: Die anfänglich heile Familienwelt, deren kleinere Risse mit dem Umzug in die Schweiz gekittet werden sollen, ist spätestens in dem Moment keine mehr, in dem Anna ihren Mann das erste Mal belügt und behauptet, die sture Kindergärtnerin (Marie Leuenberger) habe den schweigsamen Bubi nicht mehr in der Gruppe haben wollen. „Drinnen ist Winter“, könnte man in Anspielung auf den Filmtitel ergänzen, oder anders gesagt: Fortan herrscht Eiszeit, denn einzig Wanda scheint nach einigen Anlaufschwierigkeiten mit ihrer neuen Umgebung warm zu werden.

    Vater Joachim, der durch einen anonymen Telefonanruf von einer vermeintlich abgeschlossenen Affäre wiedereingeholt wird, zieht die Abgeschiedenheit des dunklen Kellers dem Ehebett vor, Bubi kriegt selbst beim sympathischen Kinderarzt die Zähne nicht auseinander, Mutter Anna findet in der Schweiz keinen Job und flüchtet sich in Erinnerungen an einen glücklichen Frankreichurlaub und Sophies Freundschaft zur gleichaltrigen Lou (Jael Schlatter) wird durch die krebserregenden Pfannkuchenversuche ihres Vaters auf eine harte Probe gestellt. „Draußen ist Sommer“ ist aber ein weit weniger emotionaler Film, als man es angesichts dieser tiefgreifenden Familienprobleme vermuten sollte und es sich stellenweise auch wünschen würde: Tränenreiche Auseinandersetzungen und lautstarke Wortgefechte bleiben die Ausnahme. Stattdessen skizziert Friederike Jehn („Weitertanzen“), die gemeinsam mit Lara Schützsack auch das Drehbuch zum Film schrieb, die Ehekrise behutsam als stetigen, nicht aufzuhaltenden Prozess und lässt Wolfgang und Anna einleitend beschwingt durch das neue Eigenheim tanzen, während sich das Ungemach auf leisen Sohlen in die Familie einschleicht. Lediglich das verbitterte Finale am Esstisch, bei dem Wanda schließlich die Zügel in die Hand nimmt und ihren Eltern Harmonie vorlebt, will nicht recht zur beklemmend-ruhigen Grundausrichtung der Geschichte passen.

    Die Darsteller hingegen überzeugen ohne Ausnahme: Der langjährige Theaterschauspieler und neue Frankfurter „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch („König von Deutschland“) gibt den aufopferungsvoll um den Haussegen kämpfenden Familienvater authentisch und routiniert während Adolf-Grimme-Preis-Trägerin Nicolette Krebitz („Unter dir die Stadt“) als lethargisch-depressive Mutter mit zurückhaltendem Spiel überzeugt und den Jungschauspielern Audrey von Scheele und Nalu Walder bei deren Leinwanddebüt ausreichend Raum zur Entfaltung lässt. Den nachhaltigsten Eindruck hinterlässt aber Hauptdarstellerin Maria-Victoria Dragus, die 2010 für ihre Rolle als Pfarrerstochter in Michael Hanekes vielfach preisgekröntem Historiendrama „Das weiße Band“ mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet wurde: Obwohl Dragus (Jahrgang 1994) ein paar Jahre zu alt für die 14-jährige Hauptfigur ist, spielt sich die deutsch-rumänische Jungschauspielerin mit ihrer kindlichen Naivität auf der einen und ihrer überraschenden Reife auf der anderen Seite schnell in die Herzen des Publikums und wird als Ruhepol der zerrütteten Familie schnell zur Identifikationsfigur. Besonders gelungen ist Wandas unbeholfenes Techtelmechtel mit dem treudoofen Nachbarsjungen Hannes (Philippe Graber, „Die Standesbeamtin“), bei dem die subtile Komik schon bald der Tragik weichen muss.

    Fazit: Wenn der Haussegen schief hängt – Friederike Jehn liefert mit „Draußen ist Sommer“ ein mit ruhiger Hand inszeniertes und stark besetztes Familiendrama, das trotz einiger humorvoller Zwischentöne konsequent auf einen unausweichlichen Schlussakt zusteuert.

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