Bent Hamer kann es nicht lassen. Nachdem er in "Kitchen Stories" einem Forscher über die Schulter geschaut hat, der seinerseits das Leben von Junggesellen beobachtet, und in "O'Horten" mit einem alternden Lokführer durch das winterliche Norwegen gereist ist, steht in seinem neuen Film erneut ein unscheinbarer aber (ge)wichtiger Beruf im Zentrum der Handlung.
Titelheldin Marie arbeitet für das norwegische Eichamt. Sie kontrolliert Maße und Gewichte mit akribischer Sorgfalt und geht Abweichungen hartnäckig auf den Grund. Jenseits der Arbeit ist ihr Leben allerdings weit weniger perfekt. Lediglich ihr ebenfalls beim Institut angestellter Vater gibt ihr den Halt, den sie dringend nötig hat. Als er jedoch plötzlich nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus liegt, ist sie nicht nur auf sich allein gestellt, sondern muss ihn auch beim internationalen Kilo-Seminar in Paris vertreten. Dort kommen Vertreter aus aller Welt zusammen, um ihr jeweiliges Referenzkilogramm überprüfen zu lassen. Alles scheint seinen gewohnten Gang zu gehen, doch dann trifft Marie auf jemanden, der sie unvermittelt aus der Routine ausbrechen lässt.
Skurrile Gestalten und ihre Tätigkeiten sind ein wiederkehrendes Thema in Hamers Filmen. Er, der auch schon den mit renommierten englischsprachigen Schauspielern besetzten Arthouse-Streifen "Factotum" zu verantworten hatte, kehrte nach dieser Erfahrung immer wieder in seine norwegische Heimat zurück. Das Ergebnis - ein Film der kurioser daher kommt als der andere. Dabei wirkt seine Hauptfigur dieses Mal eher nüchtern-unterkühlt als auffällig exzentrisch. Doch schon die Akkuratesse ihrer Tätigkeit erfordert eine gewisse leidenschaftliche Besessenheit, deren Ausbruch Ane Dahl Torp in dieser Rolle eindrucksvoll bis zum Ende hinauszögert. In sorgfältig komponierten Bildern begeleitet die Kamera sie durch das blaugraue Norwegen und ins warm gefärbte sommerliche Paris. Dass in der "Stadt der Liebe" Amore nicht zu kurz kommt liegt auf der Hand, doch die sich anbahnende Zuneigung zwischen ihr und einem gewissen Pi wird derart unaufdringlich inszeniert, dass niemand Angst vor einer schmalzdurchtränkten Romanze haben muss. Spätestens wenn die beiden sich gegen Ende des Films auf ihre ganz eigene Art über verschiedene Maßeinheiten austauschen merkt man, dass die beiden noch mehr verbindet als jene Art von körperlicher Zuneigung, die in zu vielen Filmen als fadenscheiniger Vorwand für weich beleuchtete Bettszenen herhalten muss.
Wie so oft folgt dieser Film seiner ganz eigenen Erzählweise, die nicht immer gleich jedermann zugänglich ist. Manchen langen dialogfreien Einstellungen muss man erst mit ausreichend Toleranz einen Sinn zugestehen, bevor ihr Platz im Film gerechtfertigt scheint. Vermutlich überschreitet auch aus diesem Grund kaum einer von Hamers Filmen die Neunzig-Minuten-Grenze. In diesem Fall ist die Laufzeit wieder einmal durchaus angemessen. Obwohl als komödiantische Satire beworben, glänzt der Film nicht durch die atemlose Aneinanderreihung von Schenkelklopfern. Die Komik liegt hier am ehesten in den Handlungen der Figuren, die sich auch bei der absurdesten Diskussion über die wissenschaftliche oder philosophische Bedeutung von Maßeinheiten äußerst ernst und würdevoll vorkommen.
Für Liebhaber der leisen Töne und kunstvollen Bildarrangements defintiv eine Empfehlung.
Originaltitel: 1001 Gram
Darsteller: Ane Dahl Torp, Laurent Stocker, Stein Winge, Hildegun Riise uvm.
Regie: Bent Hamer
Jahr: 2014 (DVD: 2015)
Label: Pandora Film
FSK: ab 0 Jahren
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