John Cena gibt für Amazon Prime eine lebende Notlüge
Von Sidney ScheringFür seine Tragikomödie „Green Book“ hat Peter Farrelly zwar gleich zwei Oscars (als Produzent für den Besten Film und als Autor für das Beste Originaldrehbuch) gewonnen. Aber noch viel bekannter ist er natürlich für die Blödel-Komödien, die er gemeinsam mit seinem Bruder Bobby Farrelly inszeniert hat, darunter die Neunziger-Megahits „Dumm und Dümmer“ und „Verrückt nach Mary“. Nach seinem doppelten Academy-Award-Sieg gab es mit dem nächsten Projekt zumindest ein sachtes Zurücktasten in Richtung alte Zeiten: In der auf einer kuriosen, aber wahren Geschichte basierende Apple-TV+-Dramödie „The Greatest Beer Run Ever“ spielt Zac Efron („The Iron Claw“) einen jungen Mann, der seinen als Soldaten im Vietnamkrieg dienenden Kumpeln Bier vorbeibringt.
Jetzt ziehen Efron und Farrelly für eine waschechte Komödie gemeinsam von Apple TV+ weiter zu Amazon Prime Video: In „Ricky Stanicky“ geht es um drei Kumpels, die regelrecht süchtig nach Notlügen sind. Um ihre ständigen Flunkereien zu schützen, greifen sie zu einer XXL-Lüge – und sind so schließlich gezwungen, einen Schauspieler für die Rolle eines erfundenen besten Freundes anzuheuern. Ein Comedystoff, der klingt, als sei er direkt aus den Neunzigerjahren importiert worden – und trotzdem gelingt es dem Regisseur nicht, an seine einstige Form anzuknüpfen, da kann nicht mal mehr ein sich sichtlich abmühender John Cena („Argylle“) in der Titelrolle noch groß etwas ausrichten.
An einem schicksalhaften Halloween erfinden drei Teenager ein viertes Mitglied ihrer Clique: Ricky Stanicky! Der muss fortan für alles als Sündenbock herhalten, was auch nur irgendwie schiefgeht. Und wann immer eine Ausrede benötigt wird, um unliebsame Termine abzusagen, tritt Ricky ebenfalls auf den Plan. Selbst als Erwachsene greifen Dean (Zac Efron), JT (Andrew Santino) und Wes (Jermaine Fowler) routiniert auf die Erfundener-Freud-Taktik zurück. Doch irgendwann schöpfen Deans und JTs Lebensgefährtinnen (Lex Scott Davis und Anja Savcic) sowie Wes' Partner (Daniel Monks) Verdacht: Wie kommt es, dass sie den angeblich besten Freund ihrer Liebsten nie selbst zu Gesicht kriegen?!
Also heuert das Trio den abgehalfterten Promi-Imitator und Cover-Sänger Rod (John Cena) an. Er soll sich als Ricky Stanicky ausgeben und die Freunde so vom Verdacht der Dauerflunkerei reinwaschen. Der Plan geht auf – und zwar sogar zu gut! Denn der Chef von Dean und JT (William H. Macy) ist völlig begeistert von dem Muskelmann, der sich plötzlich nicht mehr einfach so wegschicken lässt...
Lange hat es gedauert: Das Drehbuch zu „Ricky Stanicky“ landete bereits 2010 auf der sogenannten Black List der besten noch unverfilmten Drehbücher in Hollywood. Seither wurde das Skript von einer Vielzahl an Autoren überarbeitet und ging durch die Hände mehrerer Regisseure – darunter „Ace Ventura 2“-Macher Steve Oedekerk. Der sah anno 2013 Jim Carrey in der Titelrolle, während zuvor gerüchteweise bereits James Franco und Joaquin Phoenix gehandelt wurden. Doch das Vorhaben verlief sich im Sande, zumindest bis Farelly es wiederbelebte und „The Suicide Squad“-Star John Cena zu seinem Jim-Carrey-Ersatz machte.
Natürlich wäre eine „Dumm und Dümmer“-Reunion mit Jim Carrey das größere Ereignis gewesen, und doch erweist sich Cena als Glücksgriff: Wie schon in den „Vacation Friends“-Filmen schüttelt der ehemalige Profi-Wrestler eine Performance aus dem Ärmel, die unberechenbar zwischen erheiternder Karikatur und amüsanter Nervensäge schwankt. Und wenn Rod in Sekundenschnelle vom ätzenden Versager, der seinen Auftraggebern den Nerv raubt, zum vorlauten Charmebolzen wechselt, dem alle auf den Leim gehen, strahlt Cena obendrein eine subtile Souveränität aus. Die macht es zumindest halbwegs glaubhaft, dass der haarsträubende Plan des Protagonisten-Trios erst einmal voll aufzugehen scheint.
Allerdings kann selbst ein sich voll in die Rolle schmeißender Cena nicht die eklatanten Drehbuchschwächen hinweglächeln: Viele Szenen haben zwar einen Rhythmus, als wären sie mit pfiffigen Dialoggefechten bestückt, aber am Ende muss man sich schon freuen, wenn sie überhaupt mal eine zündende Pointe enthalten. Über lange Strecken herrscht bloß lauwarmes Geplänkel, das dringend spitzzüngige Wortspiele oder gepfefferte Kalauer benötigt hätte, aber meist nicht einmal über ausgelutschte Beinahe-Peinlichkeiten hinauskommt.
Außerdem lässt „Ricky Stanicky“ das Erzähltempo früherer Farrelly-Hits vermissen: Der Film erstreckt sich über eine vergleichsweise kleine Handvoll an Szenarien, deren Potenzial an Missgeschicken und Fast-Enttarnungen in aller Ruhe abgeklappert wird. Bei einer höheren Schlagzahl an Situationen wäre die maue Trefferquote vielleicht nicht derart offensichtlich aufgefallen.
Was zudem ins Auge sticht, ist der offenkundige Mangel an Charakteren, die etwas zur Komik beitragen könnten: Während Rod als trocken werdender Alkoholiker mit unerwarteten Talenten quasi sämtlichen narrativen Zunder abbekommt, geraten Dean, JT und Wes – abgesehen von ihrem fragwürdigen Verhältnis zur Wahrheit – äußerst profilarm. Ihre Liebsten könnten sich sogar glatt von Pappaufstellern doubeln lassen, es würde in den meisten Szenen kaum auffallen. Das macht dem komödiantischen Potenzial endgültig den Garaus, da Cena kaum Möglichkeiten erhält, auch mal anderen den Ball zuzuspielen. Am ehesten macht noch Zac Efron eine gute Figur, wenn er verdatterte Sätze wie „Hör jetzt nicht mit dem Trinken auf, wir brauchen dich in Topform!“ produziert.
Wie schon frühere Farrelly-Filme nimmt „Ricky Stanicky“ im letzten Drittel noch eine kurze Abzweigung ins Sentimentale. Aber Farrelly überdehnt diese Passage, ohne Efron genug Material zu geben, an dem er sich abarbeiten könnte. So wirkt die eh schon träge Komödie auf der Zielgeraden so, als würde man in einem klappernden, scheppernden Auto nun auch noch im Stau steckenbleiben.
Wo die Reise eigentlich hin sollte, bleibt derweil fraglich, da die Figuren abseits des Titel(anti)helden nicht nur kaum Persönlichkeit haben, sondern auch nicht klar wird, wie der Film eigentlich zu ihnen steht: Die Lügen des Trios sind zwar ungeheuerlich dreist und selbstsüchtig. Aber weder entsteht jemals sündhafte Freude darüber, dass sie mit Dingen durchkommen, die man sich selbst niemals trauen würde, noch gibt es schadenfreudige Pointen, wenn sie die Quittung für ihre Fehltritte serviert bekommen.
Vielleicht ist „Ricky Stanicky“ bloß ein weiteres Beispiel dafür, dass das Sprichwort „Zu viele Köche verderben den Brei“ womöglich eben doch stimmt: Neben den Originalautoren David Occhino und Jason Decker sowie Peter Farrelly und Jeff Bushell („Beverly Hills Chihuahua“) werden im Abspann noch vier (!) weitere Autoren genannt. Wen soll es da verwundern, dass keine klare Perspektive mehr übriggeblieben ist?
Fazit: John Cena macht sich einmal mehr mit ansteckender Freude zum Hampelmann. Zum sämtliche Drehbuchschwächen wegspielenden Alleinunterhalter reicht es aber (noch?) nicht. Selbst für Superfans der Farelly-Klassiker wie „Dumm und Dümmer“ deshalb nur eine sehr eingeschränkte Sehempfehlung.