Der FC Bayern München ist im deutschen Profi-Fußball schon seit Jahrzehnten das Maß aller Dinge. Gespickt mit zahlreichen Weltmeistern und Ausnahmekickern ist der Rekordmeister jede Saison aufs Neue der „Gejagte“, und die Meisterschaften anderer Clubs (man denke an Werder Bremen 2004, den VfB Stuttgart 2007 oder den VfL Wolfsburg 2009) bleiben meist kleine Schönheitsfehler in der titelreichen Vereinsgeschichte. Wenn den Bayern zuletzt überhaupt jemand gefährlich werden konnte, war das Borussia Dortmund – doch der BVB hat schwer damit zu kämpfen, dass er seine besten Spieler immer wieder für Millionenbeträge zum finanzkräftigeren Rivalen ziehen lassen muss. Ob die Bayern die deutsche Fußballlandschaft ähnlich eindrucksvoll dominieren würden, wenn der Verein in den 30er und 40er Jahren nicht auf die Dienste seines jüdischen Vereinspräsidenten Kurt Landauer hätte vertrauen können? Dieser Frage gehen Regisseur Hans Steinbichler („Das Blaue vom Himmel“) und Drehbuchautor Dirk Kämper („Tatort: Adams Alptraum“) in der sehenswerten ARD-Produktion „Landauer – Der Präsident“ nach: Die Filmemacher beleuchten in ihrem Spielfilm ein fast in Vergessenheit geratenes Kapitel der Vereinshistorie, für dessen (Wieder-)Entdeckung die Münchner Ultra-Gruppierung „Schickeria“ vom DFB mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet wurde.
Nürnberg, 1932: Vor 55.000 begeisterten Zuschauern schlägt der FC Bayern München im Finale die Eintracht aus Frankfurt mit 2:0 und ist zum ersten Mal Deutscher Meister. Es ist der vorerst letzte große Erfolg von Präsident Kurt Landauer (Josef Bierbichler) – denn Landauer ist Jude. 1933 wird er von den Nazis aus dem Präsidentenamt gedrängt, schließlich ins Konzentrationslager nach Dachau geschickt und ins Schweizer Exil getrieben. Als er 1947 an die Isar zurückkehrt, um sich in der amerikanischen Besatzungszone sein Visum für die Ausreise in die USA abzuholen, ist die Terrorherrschaft der Nationalsozialisten zwar beendet, doch München liegt in Trümmern. Von seiner Familie und dem geliebten Club von einst ist fast nichts mehr übrig. Einzig die langjährige Haushälterin seiner Familie, Maria (Jeanette Hain), hat überlebt und bietet Landauer ein Dach über dem Kopf. Als der Rückkehrer in eine Vereinssitzung der Bayern unter Leitung des neuen Clubbosses Siggi Hermann (Herbert Knaup) platzt, ist die Freude groß: Landauer wird von den meisten Verantwortlichen mit offenen Armen empfangen und schnell wieder zu einem wichtigen Mann im Club. Bei einigen Männern aber herrscht Misstrauen gegenüber dem „Juden Landauer“, der gemeinsam mit 1860-Präsident Alfred Radschuweit (Eisi Gulp) an Plänen für einen Wiederaufbau des Stadions an der Grünwalder Straße bastelt...
„Wir hätten schon viel früher Deutscher Meister werden können“, meckert Landauer nach seiner Rückkehr in die ausgebombte Isarstadt – wenn man denn damals nur das Geld gehabt hätte, um die besten Spieler der anderen Clubs nach München zu lotsen. Schon in den 40er Jahren bringt der 1961 verstorbene Ex-Präsident auf den Punkt, was die Philosophie des FC Bayern bis heute kennzeichnet: Wer bei einem anderen Verein spielt und dem heutigen Rekordmeister gefährlich werden könnte (man denke an die jüngsten Beispiele Mario Götze oder Robert Lewandowski), wird einfach eingekauft – und die finanzschwächere Konkurrenz steht vor dem Problem, wettbewerbsfähigen Ersatz finden zu müssen. Vieles an der bayrischen Vereinsphilosophie der 30er und 40er Jahre erinnert an den deutschen Vorzeige-Club von heute: das vielzitierte „Mia san mia“-Gefühl, die ewige Rivalität und gleichzeitige städtische Verbundenheit mit den Münchner Löwen (Radschuweit: „Keiner kommt ohne den anderen aus!“), vor allem aber der unbedingte Anspruch an sich selbst, die Ausnahmestellung im deutschen Profifußball jeden Tag aufs Neue zu untermauern.
Regisseur Hans Steinbichler, Drehbuchautor Dirk Kämper und der kraftvoll-nuanciert aufspielende Hauptdarsteller Josef Bierbichler („Der Knochenmann“) arbeiten diese Erfolgsphilosophie geschickt heraus, ohne dabei zu sehr Stellung zu beziehen oder ihren Film zur eindimensionalen Lobhudelei auf den 2013 posthum zum Ehrenpräsidenten ernannten Landauer verkommen zu lassen. Der zurückgekehrte Ex-Spieler, dem die Zuneigung von Haushälterin Maria in Zeiten der Männermangels schnell gewiss ist, ist kein Sympathieträger ohne Makel, er ohrfeigt im Streit schon mal den kleinen Raufbold Martin Möllinger (Johannes Lechner) und eckt mit seinem Sturkopf sowieso immer wieder an. Einige der interessantesten Aspekte in Landauers Vita – die vorübergehende KZ-Inhaftierung in Dachau und die Jahre während des Zweiten Weltkriegs im Schweizer Exil – bleiben dabei allerdings bis auf einige Andeutungen außen vor. Und die vor allem in der ersten Filmhälfte regelmäßig eingeflochtenen, historischen Schwarzweiß-Trümmerbilder bleiben in der fiktiven Handlung Fremdkörper, ohne dem Geschehen den offensichtlich erhofften dokumentarischen Anstrich zu verleihen.
Neben den Archivbildern wirken auch die regelmäßig zum Einsatz kommenden schweren Streicherklänge des Soundtracks ein wenig unpassend - hier wäre weniger eindeutig mehr gewesen, zumal große emotionale Momente hier eine seltene Ausnahme sind. Deutlich überzeugender gelingen dagegen die Darstellung des nach Kriegsende noch immer schwelenden Judenhasses innerhalb der Bevölkerung und die Inszenierung der Fußballszenen. Da jagen die Kinder ähnlich wie in Sönke Wortmanns „Das Wunder von Bern“ provisorisch zusammengeschusterten Flickenkugeln nach und bei den Spielen wird die Begeisterung der jubelnden Massen in der Arena quer durch alle Altersschichten greifbar. „Landauer“ ist aber in erster Linie ein Porträt und kein echter Sportfilm – die fußballerischen Erfolge des FC Bayern dienen in erster Linie zur historischen Einordnung des Geschehens. Antriebsfeder der Handlung ist nicht irgendein sportlicher Triumph, sondern der anfangs noch utopisch erscheinende Wiederaufbau des Stadions an der Grünwalder Straße und das persönliche Engagement Landauers für dieses Ziel.
Fazit: Regisseur Hans Steinbichler und Drehbuchautor Dirk Kämper beleuchten in ihrem TV-Film „Landauer – Der Präsident“ ein fast in Vergessenheit geratenes Kapitel in der Vereinsgeschichte des FC Bayern München. Für Bayern-Fans ist der Film ein Pflichttermin, doch das Einschalten lohnt sich für alle historisch interessierten Fußballfreunde.