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    Tatort: Macht und Ohnmacht
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Macht und Ohnmacht
    Von Lars-Christian Daniels

    Mit dem emotionalen „Der traurige König" und dem für den Grimme-Preis nominierten „Der tiefe Schlaf" waren die Münchner für zwei der stärksten „Tatort"-Folgen des Jahres 2012 verantwortlich. Überhaupt ist auf den Krimi aus der bayerischen Landeshauptstadt, der mit Ivo Batic und Franz Leitmayr das aktuell dienstälteste Ermittlerduo der öffentlich-rechtlichen Erfolgsreihe in seinen Reihen hat, seit Jahren Verlass: Gesegnet mit starken Drehbüchern, in denen das Privatleben der beliebten Kommissare selten eine Rolle spielt, lohnt das Einschalten meist. Auch der vom mehrfach „Tatort"-erprobten Thomas Stiller inszenierte „Macht und Ohmacht", in dem Batic und Leitmayr bei ihren Ermittlungen von einem alten Bekannten unterstützt werden, überzeugt trotz kleinerer Drehbuchschwächen wieder.

    Nach einer schweißtreibenden Verfolgungsjagd inhaftieren die vier Polizeibeamten Matteo Lechner (Emilio de Marchi), Frank Bressinger (Lasse Myhr), Georg Zimmermann (Sascha Alexander Gersak) und Iris Bülow (Sonsee Neu) drei junge Männer, die einen Kioskbesitzer überfallen und ins Koma geprügelt haben sollen. Wegen fehlender Beweise müssen sie die Verdächtigen aber wohl oder übel wieder freilassen. Am nächsten Morgen stehen die Münchener Hauptkommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) vor der Leiche von Ralf Grabowski (Konstantin Frolov), der als Informant für Lechner tätig war und den entscheidenden Tipp zur Ergreifung der dringend Tatverdächtigen gegeben hatte. Wenig später stirbt auch einer der Polizeibeamten. Was läuft hier? Licht ins Dunkel bringt ausgerechnet der vor sechs Jahren nach Thailand ausgewanderte Ex-Oberkommissar Carlo Menzinger (Michael Fitz), der plötzlich auf dem Revier auftaucht und Lechner zu seinem Trauzeugen machen möchte...

    Der in den sozialen Netzwerken förmlich bejubelte Publikumsliebling Gisbert Engelhardt (Fabian Hinrichs) feierte im vieldiskutierten Münchener Vorgänger „Tatort: Der tiefe Schlaf" nicht nur sein Debüt, sondern zugleich einen spektakulären Abschied. Die zahlreichen Fans des sympathischen Technikfreaks, die sogar eine eigene Facebook-Seite für ihren verstorbenen „Tatort"-Helden ins Leben riefen, mussten die Hoffnungen auf eine Rückkehr des beliebten Sidekicks aber frühzeitig begraben: Die verantwortlichen Redakteure beim Bayerischen Rundfunk schlossen ein Auferstehung von Gisbert trotz der großen Fan-Lobby kategorisch aus. Dafür feiert in „Macht und Ohnmacht" mit Carlo Menzinger ein anderer Co-Ermittler sein mit Spannung erwartetes Comeback, das allerdings ebenfalls einmalig bleiben wird: Menzinger, der von 1991 bis 2007 über vierzig Mal an der Seite von Batic und Leitmayr ermittelte, hat sich als Hotelier fernab der bayerischen Heimat schließlich ein kleines Vermögen erwirtschaftet und verabschiedet sich nach neunzig Minuten wieder in Richtung Asien.

    Bis dahin leistet der Ex-Oberkommissar bei der Ermittlungsarbeit wertvolle Dienste: Statt lediglich eine Wiedersehensmaß Bier mit den Münchener Ex-Kollegen zu trinken, wird Menzinger von Beginn an in den Kriminalfall involviert. Drehbuchautorin Dinah Marte Golch, die für ihr überragendes Skript zur Folge „Nie wieder frei sein" (2010) mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde, macht den Rückkehrer in „Macht und Ohnmacht" zum engagierten, persönlich motivierten Helfer, der zunächst auf eigene Faust ermittelt und sich dabei nicht an Dienstvorschriften zu halten braucht. Dem Zuschauer eröffnet dies eine spannende Zusatzperspektive, weil Menzinger seinen Ex-Kollegen Batic und Leitmayr dank der Freundschaft zu Lechner oft einen Schritt voraus ist. Erst auf der Zielgeraden übertreiben es die Filmemacher mit seinen wertvollen Diensten etwas, als Menzinger mit nur einem Anruf das Passwort eines Email-Accounts in Erfahrung bringt und damit einen wichtigen Hinweis auf den Täter liefert.

    Spannend ist der 868. „Tatort" aber auch, weil Regisseur Thomas Stiller das Geschehen authentisch und stimmungsvoll in Szene setzt und die gewohnte Whodunit-Konstruktion ein wenig aufgebrochen wird: Der Auftaktleiche wird eine fünfzehnminütige Einleitung vorangestellt, in der Batic und Leitmayr zunächst überhaupt keine Rolle spielen. Die Revier- und Hüttenszenen der ersten Viertelstunde, in der Kameramann Philipp Sichler („On The Inside - Der Tod kennt keine Namen") gleich mehrere entblößte männliche Geschlechtsteile einfängt, entpuppen sich schon bald als wichtiger Nährboden für die späteren Spannungen zwischen den Polizeibeamten Lechner, Zimmermann und Bülow. Einmal mehr werden in der Krimireihe nicht nur die Fragen von Schuld, Gerechtigkeit und Selbstjustiz, sondern dieses Mal auch die psychische Belastung, der die ständig zwischen „Macht und Ohnmacht" agierenden Polizeibeamten täglich ausgesetzt sind, diskutiert. Dass die Auflösung der Täterfrage am Ende nicht wirklich überrascht, liegt auch daran, dass einer der beiden Hauptverdächtigen frühzeitig das Zeitliche segnet – pünktlich zur vollen „Tatort"-Stunde, versteht sich.

    Fazit: Mit „Macht und Ohnmacht" liefert TV-Regisseur Thomas Stiller nach „Der traurige König" den nächsten überzeugenden Münchener „Tatort" ab und hält die Spannung dabei bis zum Schluss auf hohem Niveau.

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