Der Linksterrorismus der späten 70er Jahre lässt die deutsche Filmindustrie auch nach dem stargespicktem Großprojekt „Der Baader Meinhof Komplex" nicht los. Einen anderen Ansatz als Uli Edel und Bernd Eichinger bei ihrem Terrorismus-Bilderbogen wählt Nina Grosse („Olgas Sommer", „Feuerreiter") dabei für ihr Drama „Das Wochenende". Ähnlich wie schon Susanne Schneider in „Es kommt der Tag", wird der heutige Umgang mit dem Erbe der RAF auf der privaten Ebene verhandelt. Doch auch wenn Grosse viele Gedankengänge und Figuren von Bernhard Schlinks überanalytischer Romanvorlage streicht, bleiben die Figuren trotz namhafter Darsteller kühl und leblos.
Die vorzeitige Begnadigung des ehemaligen RAF-Terroristen Jens Kessler (Sebastian Koch) kommt für seine Familie und Freunde überraschend. Während Jens 18 Jahre im Gefängnis saß, haben seine einstigen Kumpanen mit ihrer linken Vergangenheit abgeschlossen und sich in die bürgerliche Gesellschaft eingegliedert. Doch wie steht Jens heute zu seinen Idealen und vor allem: Bereut er seine Taten wirklich? Gerade seine fürsorgliche Schwester Tine (Barbara Auer) und seine einstige Geliebte Inga (Katja Riemann), die auch die Mutter seines Sohnes Gregor (Robert Gwisdek) ist, sehen einem Treffen mit dem undurchschaubaren Jens mit gemischten Gefühlen entgegen. Um Jens erstes Wochenende in Freiheit zu zelebrieren lädt Tine Inga und ihren Ehemann Ulrich (Tobias Moretti) sowie Jens alten Freund Henner (Sylvester Groth) auf ihr renovierungsbedürftiges, abgelegenes Anwesen ein. Doch Jens ist wenig begeistert vom Wiedersehen alter Weggefährten. Er will nur endlich erfahren, wer von seinen Vertrauten ihn an die Polizei verraten hat. Anschuldigungen werden ausgesprochen, alte Erinnerungen hervorgekramt und Ideale in Frage gestellt. Die überraschende Ankunft von Jens Sohn Gregor führt zu einer Eskalation der angespannten Situation...
Bernhard Schlinks („Der Vorleser") Romanvorlage wurde von vielen Kritikern vorgeworfen zu oberlehrerhaft zu sein, mit allzu penibel durchexerzierten Positionen von den Idealen und den Vergehen der RAF zu erzählen. Für ihre Adaption von Schlinks Roman entschlackte Autorin und Regisseurin Nina Grosse nicht nur das Figurenpersonal, sondern warf vor allem auch den fraglichen Versuch über Bord, den Terror der RAF irgendwo zwischen 68er-Idealismus, Nationalsozialismuserbe und Vorreitertum für den modernen Terrorismus zu verorten. Auf Grund dieser Schwerpunktverlagerung ist „Das Wochenende" vor allem ein intimes Familiendrama um die zeitlosen Themen Generationenkonflikt, Vertrauen und Vergebung.
Schauplatz der familiären Konfliktbewältigung ist ein renovierungsbedürftiger Landsitz in Brandenburg, der dem gediegen gefilmten Drama zusätzliche Schwere verleiht. Hier geraten besonders Jens und Ulrich aneinander: Auf der einen Seite der Ex-Terrorist, der seine Taten zwar reflektiert, aber nicht komplett ablehnt – eine Figur, die lose an das Leben von Christian Klar angelehnt ist – auf der anderen Seite der längst bürgerliche Unternehmer. Doch die beiden Alpha-Tiere streiten nicht nur um die Deutungshoheit, sondern eifern auch um Ingas Gunst, die einst mit dem Inhaftierten zusammen war und nun an der Seite ihres Ehemannes nach langen Jahren erstmals wieder auf Jens trifft.
Trotz der langen Jahre im Gefängnis ist Jens immer noch ein angriffslustiger und von seinen Idealen überzeugter Mann. Sebastian Koch („Das Leben der Anderen", „Black Book") spielt ihn mit großer Präsenz, aber auch mit Schwäche, gerade wenn es darum geht, seinem Sohn gegenüberzutreten. Doch so charismatisch Koch seine Rolle ausfüllt, eine größere schauspielerische Herausforderung wäre fraglos die im Roman gezeichnete Figur gewesen: Vom Leben gebrochen, von Jahren im Gefängnis gezeichnet und an den Idealen von einst zweifelnd.
Eine ähnlich starke Umwertung erfährt auch das Ehepaar Inga und Ulrich, das Grosse viel stärker ins Zentrum der Geschichte stellt, als es Schlink tat. Katja Riemann („Die Apothekerin") gibt die zwischen zwei Männern und zwei konträren Perspektiven stehende Inga von der ersten Szene an, als von Zweifeln zerrissene Frau mit perfekt aufgesetzter Leidensmiene. Überzeugender ist da ihr Zusammenspiel mit Tobias Moretti („Jud Süss – Film ohne Gewissen"), der den über ein Konditorei-Imperium verfügenden Geschäftsmann Ulrich mit Biss und ausgeprägtem Überlegenheitsgefühl gegen die Taten und Ideale des Exhäftlings anwettern lässt.
Und auch die Nachwuchsschauspieler Elisa Schlott („Draußen am See") als Ingas provozierend auftretende Tochter Doro , die mit jugendlicher Naivität und Durchtriebenheit kokettiert, und Robert Gwisdek („3 Zimmer/Küche/Bad") als von seinem leiblichen Vater zutiefst enttäuschter Gregor können in ihren Rollen überzeugen. Und auch wenn die Figuren insgesamt etwas an Tiefe vermissen lassen, entfaltet sich in den Konfrontation zwischen den Generationen, wenn etwa Gregor den Kampf seines Vaters pauschal als gescheitert anprangert oder Doro hinterfragt, ob Jens nicht letztlich nur ein Mörder sei, das ganze Drama. Doch so sehr einzelne Szenen überzeugen, so überzeugenden das Schauspielensemble auch agiert, wirklich greifbar werden die vielfältigen Konflikte dieses Familiendramas nur in Momenten.
Fazit: „Das Wochenende" erweist sich trotz Starbesetzung als gediegen fotografierte, aber etwas unterkühlte Familienzusammenführung auf dem Lande, die Schlinks Roman auf mehr oder weniger gelungene Weise in einen intimeren, familiären Wirkungskreis verschiebt. Die etwas blassen Figurenzeichnungen lassen dabei die emotionale Wucht des Zusammentreffens nur schwer greifbar werden.