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    Paradies: Hoffnung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Paradies: Hoffnung
    Von Robert Cherkowski

    Seit nunmehr 33 Jahren macht Ulrich Seidl als Regisseur schonungsloser Doku- und Spielfilme von sich reden. In Dokumentationen wie „Tierische Liebe", „Die letzten Männer" oder „Good News" ging er ähnlich hart an seine Themen, seine Protagonisten und sein Publikum heran wie in seinen Spielfilmen „Hundstage", „Models" oder „Import Export". Auch wenn er dabei nie voyeuristisch oder gar niederträchtig arbeitet und stets eine humanistische Seite zu erkennen bleibt, geht man lieber in Deckung, wenn ein neuer Seidl auf die Kinos losgelassen wird. Ähnlich wie sein österreichischer Landsmann Michael Haneke („Das weiße Band", „Liebe") schaut Seidl eben sehr genau hin, wenn er die geistige, moralische und emotionale Beschaffenheit des modernen Menschen filmisch ergründet. Dabei findet er oft regelrecht desolate Zustände vor, die er in konzentrierter, meist zugespitzter und doch stets realistisch wirkender Form wiedergibt. Mit seiner lose verbundenen „Paradies"-Trilogie, die 2012 in Cannes mit „Paradies: Liebe" begann, sich in Venedig mit „Paradies: Glaube" fortsetzte und auf der Berlinale 2013 mit „Paradies: Hoffnung" ihren Abschluss feierte, hat er ein Meisterwerk abgeliefert. Eines, das sich vor auch vor Kryzstofs Kieslowskis „Drei Farben"-Trilogie nicht verstecken muss und einen kompromisslosen Künstler auf der Höhe seines Könnens zeigt. Mit seiner emotionalen Dringlichkeit und einem rabenschwarzen Humor steht „Paradies: Hoffnung" seinen Vorgängern in in nichts nach und rundet die Trilogie perfekt ab.

    Während ihre Mutter in Kenia Urlaub macht und ihre Tante in christlicher Mission unterwegs ist, wird die mürrische und etwas übergewichtige 13-jährige Melanie (Melanie Lenz) in ein Diät-Camp für Teenager verfrachtet, wo bei Sport und gesunder Ernährung die Pfunde purzeln und das Selbstbewusstsein wachsen sollen. Dabei stellt sich allerdings schnell großer Frust ein. Während sie vom dümmlich-selbstherrlichen Schleifer (Michael Thomas) geschunden werden, nehmen die „Insassen" fast jede Nacht Reißaus, um sich einen Mitternachtssnack zu gönnen. Für Melanie ist die Zeit eine triste Hölle. Einzig die Flirts mit dem Camp-Doktor (Joseph Lorenz), den sie ohne Grund immer wieder aufsucht, lassen sie Hoffnung auf Liebe und Aufmerksamkeit fassen. Dieser ist sich der prekären Situation durchaus bewusst, lässt jedoch zu, dass sich die harmlose Schwärmerei immer weiter zuspitzt. Mit jeder Annäherung geht es einen Schritt weiter und bald scheint klar, dass diese Liebe im besten Falle unglücklich bleibt und im schlimmsten Falle in der Ausnutzung einer Minderjährigen enden wird...

    Nein, schön sind Seidels Geschichten sicher nicht. Nie gehen die Träume seiner Antihelden in Erfüllung. Der Weg, den sie dabei gehen müssen, ist ein beklemmender Spießrutenlauf durch eine Gesellschaft, die gleichgültig oder gleich ausbeuterisch mit Menschen umgeht. Ein kaltschnäuziger Menschenfeind ist Seidl dennoch keineswegs. In der „Paradies"-Trilogie zeigt er seinen Protagonistinnen die Grenzen ihrer illusorischen Weltflucht auf, begleitet sie empathisch auf ihren schweren Lernwegen. Die daraus gezogenen Lehren sind alles andere als leichte Kost. So wie Teresa erfahren muss, dass die exotische „Liebe" auf dem schwarzen Kontinent Afrika vielmehr ein bloßes Geschäft mit Lust und Sehnsucht ist und Anna Marias starker „Glaube" eher einer Psychose gleichkommt, wird nun die „Hoffnung" Melanies nach allen Regeln der Kunst in Fetzen gerissen. Der Begriff signalisiert hier vor allem den Wunsch auf ein Leben voller wunderbarer Überraschungen und die Erfüllung romantischer Vorstellungen. Schon das Szenario jedoch macht klar, dass die Welt ihrerseits Erwartungen an Melanie stellt, denen sie zu entsprechen hat, wenn sich ihre Hoffnung auch nur ansatzweise erfüllen soll.

    Die Behandlung der übergewichtigen Kinder erinnert dabei an die Soldaten-Ausbildung in Stanley Kubricks „Full Metal Jacket" – auch wenn der Befehlston vom österreichischen Dialekt dominiert wird. Die „Insassen" werden von oben herab behandelt und mit Fitness- und Ernährungs-Floskeln beschallt, deren unterschwellige Verachtung nicht zu überhören ist. Speziell Michael Thomas („Import Export") als Fitness-Drill-Sergeant stiehlt hier so manche Szene und steuert einen tiefschwarzen Humor bei. In ihm zeigt sich die selbstgerechte Dummheit der ästhetischen Ansprüche, die an die Heranwachsenden gestellt werden. Das Ziel: endlich ohne Scham Sexualität und Liebe erfahren dürfen. Sexualität bedeutet hier jedoch erstmal nur hohle Balz. Und Melanies Sehnsucht nach Liebe findet in ihren Schwärmereien für den Camp-Arzt einen mehr als unglücklichen Ausdruck. Wenn dieser ihre Avancen immer wieder sacht erwidert, wirkt das wie ein Verkehrsunfall in Zeitlupe. Mit jeder Begegnung der beiden geht ein Stück Distanz flöten. Dass sich hier trotz Melanies Träumereien ein Missbrauchsverhältnis entwickelt, ist ebenso absehbar wie der Umstand, dass es dabei nur Verlierer geben kann. Zur Katastrophe kommt es trotzdem nicht.

    In der Welt der „Paradies"-Filme klingen Geschichten einfach aus, eine Katastrophe, ein Ende mit Schrecken ist weder den Figuren noch dem Publikum vergönnt. Emotionale Durchschlagskraft hat der Film auch ohne laute Töne. Die Darsteller, vor allen anderen Newcomerin Melanie Lenz in der Hauptrolle, gehen hier bis an ihre Grenzen und liefern Performances ab, die tief unter die Haut gehen. Ebenso beeindruckend und entscheidend für das Gelingen des schwierigen Filmprojekts ist die erlesene Bildsprache der Kameramänner Ed Lachmann und Wolfgang Thaler („Hundstage", „Whore's Glory"). Eine Kamera-Einstellung geht hier immer mit einer intellektuellen und menschlichen Einstellung zum Gezeigten einher. Ihre Tableaus sind von theaterhafter Deutlichkeit, wenn man sich dem Geschehen im wahrsten Sinne des Wortes gegenübergestellt wiederfindet. Oft wirkt das, als würde man auf Tiere in einem Käfig blicken. Hier gibt es keinen toten Winkel, in dem sich die Protagonisten verstecken können und es fällt kein Schatten auf hässliche Details. Dabei ist es eben diese vordergründige Ordnung, in der sich das innere Chaos, die Banalität der kleinen Träume und die Dummheit der Fitnessmantras entfalten – Seidl, Lachman und Thaler sehen hin, auch wenn man selbst schon längst wegsehen will.

    Fazit: Mit seinem grandiosen dritten „Paradies"-Film mutet Ulrich Seidl seinem Publikum einmal mehr bitter-komische Blicke in den Abgrund zu. „Paradies: Hoffnung" ist eine harte, manchmal schmerzhafte und vor allem herausfordernde Filmerfahrung, die nicht genossen sondern ausgehalten werden muss.

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