Das Mädchen Wadjda
Im Vorfeld wurde in den verschiedenen Medien viel über diesen Film berichtet. Aus gutem Grund:
Haifaa al Mansour hat den ersten Saudi – Arabischen Kinofilm überhaupt gemacht. Dort gibt es nämlich nicht mal Kinos. Sie hat in ihrem Debüt nicht nur das Drehbuch geschrieben, Regie geführt und eine weibliche Hauptprotagonistin besetzt, sondern auch an Originalschauplätzen gedreht. Und das in einem Land, in dem weibliche Personen weder zu hören noch zu sehen sein sollen. Dabei geht sie äußerst kritisch mit ihrer Heimat und dem Islamismus im Allgemeinen um, ohne dabei zu verurteilen.
Ich war - und bin, um ehrlich zu sein - mir bis jetzt nicht ganz im Klaren, ob es sich bei „Das Mädchen Wadjda“ um einen reinen Kinderfilm handelt. Natürlich, die Hauptprotagonistin ist ein elf -jähriges Mädchen, dass sich nichts sehnlicher wünscht als ein Fahrrad und versucht mit Hilfe eines Koran-Wettbewerbs, das Geld dafür zusammen zu bekommen. Soweit, hört es sich nach einem regulären, nicht besonders innovativem Kinderfilm an. Aber dann kommt der Handlungsort ins Spiel.
Denn obwohl Wadjda schon sehr liberale Eltern zu haben scheint, immerhin trägt sie Converse unter ihrem bodenlangen Kleid und hört westliche Popmusik, verbieten auch die ihr, sich ein Fahrrad zu kaufen, um damit mit ihrem besten Freund Rennen zu fahren.
In Saudi – Arabien nämlich, gehört es sich nicht für eine Frau Fahrrad zu fahren. Wie auch Wadjda immer wieder erklärt wird, können angeblich Frauen die Fahrrad fahren keine Kinder bekommen und müssen sich offensichtlich auch große Sorgen um ihre Jungfräulichkeit machen. Der Wunsch nach dem Fahrrad wird so zum Symbol für die Freiheit. Auf sehr bildliche Art und Weise wird uns gezeigt, wie der Alltag für Frauen in Saudi – Arabien aussieht. Aussprüche wie: „Schämt ihr euch nicht laut zu lachen? Frauen darf man nicht hören,“ oder „Geht schnell ins Haus, sonst können euch die Männer sehen“, sind für Wadjda an der Tagesordnung. Auch dass ihr Vater überlegt, eine andere Frau zu nehmen, da ihre Mutter ihm keinen Sohn schenken kann, sind harte aber realistische Tatsachen. Bis hin zu Voll-Verschleierung, Zwangsehe und Selbstmordattentätern wird alles thematisiert. Da dies alles aber Teil von Wadjdas täglicher Welt ist, behält es eine kindliche Leichtigkeit in der sich die Grausamkeit zwischen den Zeilen und wahrscheinlich in seiner Tiefe, nur für Erwachsene erkennbar versteckt. Gleichzeitig haben wir, beispielsweise in der Mutter und der Schuldirektorin, streng gläubige Figuren, die darin auch nicht verurteilt werden. Lediglich für Wadjda steht fest, das dies ist nicht ihr Weg ist und dafür kämpft sie. Vielleicht ist gerade diese Objektivität noch beunruhigender als eine klare Positionierung es gewesen wäre.
Der Film ist über weite Strecken sehr ruhig gehalten, was ich als positiv empfunden habe, weil es genug gab, worüber man nachdenken musste. Für Action – gewohnte Kinder, könnte er allerdings stellenweise zu ruhig sein. Der einzige andere Negativ-Punkt war für mich, dass die Synchronisation extrem schlecht und hölzern ist, was gerade bei den Kindergesprächen sehr auffällt. Aber selbst als Hardcore-Fan des O-Tons, bin ich in diesem Falle natürlich doch ganz froh über die Übersetzung.
Fazit: Ein unbedingt sehenswerter Film, sowohl für Kinder als auch für Erwachsene, der uns eine uns völlig fremde Kultur ein ganzes Stück näher bringt. Aber gerade für Kinder, sollte im Nachhinein unbedingt die Möglichkeit des Gesprächs bestehen. Ich könnte mir den Film auch sehr gut für Klassenvorführungen mit anschließender Diskussion vorstellen. Er wird sowohl bei kleinen als auch bei großen Menschen Denkprozesse in Gang setzen und uns ein bisschen über unseren eigenen gut gefüllten Teller-Rand blicken lassen.
Denn in jedem Fall, ist es ein Film, der berührt. Und obwohl er ein schönes Ende hat, habe ich im Kino geweint. Um das Mädchen Wadjda, um ihre Mutter, um ihre Freiheit und um all die anderen Frauen da draußen und deren fremdbestimmtes Leben, von dem uns hier wahrscheinlich nur ein Bruchteil bewusst ist. Vielleicht ist es schon ein kleiner Hoffnungsschimmer, das dieser Film überhaupt entstehen konnte. Er bewegt und lässt einen lange nicht los.
Als mir vor dem Kino ein kleines Mädchen, völlig selbstverständlich, auf einem tollen pinken Fahrrad entgegen kam, traten mir gleich wieder Tränen in die Augen.
Wenn ihr also in den nächsten Wochen eine Frau seht, die auf ihr Fahrrad steigt und dabei in Tränen ausbricht, bin das wahrscheinlich ich...
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